Justiz

Warum der Paragraf 218 noch lange nicht abgeschafft wird

Warum der Paragraf 218 noch lange nicht abgeschafft wird

Warum der Paragraf 218 noch lange nicht abgeschafft wird

Simone Schnase/shz.de
Flensburg
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Eine neue Kommission soll Frieden in die Abschaffung des Paragrafen 218 beschäftigen. Helfen wird das den Frauen kaum. Foto: www.imago-images.de

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In Deutschland ist eine Abtreibung bis heute grundsätzlich verboten – mit Ausnahmen. Das führt unter anderem zu einer schlechten Ausbildung der Ärzte. Und zur Stigmatisierung der Frauen. Dennoch: eine Abschaffung ist nicht in Sicht.

Im Januar drohte die bayerische Sozial- und Familienministerin Ulrike Scharf (CSU) mit einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht, falls die Bundesregierung den Abtreibungsparagrafen 218 aus dem Strafgesetzbuch streichen sollte. Der Grund war die Äußerung von Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne), die eine Abschaffung von Paragraf 218 befürwortete: „Wer anders als die Schwangeren selbst sollten entscheiden, ob sie ein Kind austragen möchten oder können?“, fragte sie.

Dabei gibt es für die CSU gar keinen Grund zur Panik. Denn es scheint, als würde es noch sehr lange dauern, bis jener Paragraf endlich abgeschafft wird, nach dem Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland grundsätzlich verboten sind. Lediglich unter bestimmten Voraussetzungen können sie straffrei bleiben. Wenn es überhaupt je zu einer Abschaffung kommt.

Die Ausgangslage: Paragraf 218 sollte abgeschafft werden

Millionen von Frauen hatten viel Hoffnung in die Ampelkoalition gesetzt: Vor der Bundestagswahl warben SPD und Grüne in ihren Wahlprogrammen offensiv für eine Abschaffung des Paragrafen 218. Im Koalitionsvertrag ist dann aber lediglich das Vorhaben übrig geblieben, eine Kommission einzusetzen, die Regelungen für Schwangerschaftsabbrüche jenseits des Strafrechts prüfen soll.

Dennoch schien es Grund für Optimismus zu geben, denn im vergangenen Sommer beschloss die Bundesregierung die Abschaffung von Paragraf 219a, also des sogenannten Werbeverbots für Schwangerschaftsabbrüche. Nach diesem Paragraf machte sich jeder Gynäkologe strafbar, der Frauen über seine Homepage oder per Aufklärungs-Flyer darüber informierte, welche Methode er für einen Schwangerschaftsabbruch anwendet.

So einig wie hier war sich die Ampel beim Paragraf 218 aber leider nicht: Auch über ein Jahr nach der Bundestagswahl gab es die beschlossene Kommission noch immer nicht. Zur Begründung hieß es im Dezember aus dem Bundesgesundheitsministerium, dass „der Austausch innerhalb der Bundesregierung über die Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin noch nicht abgeschlossen ist.“

Kompromiss: Kommission prüft Regeln jenseits des Strafrechts

Erst jetzt, Anfang des Monats wurde die aus Juristen und Medizinern bestehende Kommission nun endlich präsentiert und zum ersten Mal zusammenkommen soll sie in den nächsten Tagen. Die Kommission soll prüfen, wie sich der Schwangerschaftsabbruch außerhalb des Strafgesetzbuchs regulieren ließe. Also ohne ungewollt Schwangere zu kriminalisieren. Und er soll außerdem über die Möglichkeit der Legalisierung der Eizellspende und Leihmutterschaft beraten.

In einem Jahr soll das Gremium Ergebnisse und Empfehlungen vorlegen. Ob dann aber noch genug Zeit bleibt, um bis zum Ende der Legislaturperiode im Jahr 2025 die Ergebnisse vernünftig auszuwerten, den Paragrafen 218 zu streichen und neue gesetzliche Regelungen einzuführen, ist mehr als fraglich.

Prognose: Welche Hürden stehen noch bevor

Noch fraglicher ist, ob diese Maßnahmen überhaupt Bestand hätten: Denn sollte die Ampelkoalition das Strafgesetzbuch ändern, könnte ein Viertel der Bundestagsabgeordneten oder jede Landesregierung das Bundesverfassungsgericht zur Prüfung auffordern. Mindestens CSU und CDU werden das tun, und ihre Chancen auf Erfolg stehen gar nicht schlecht.

Denn das Bundesverfassungsgericht hat bereits in der Vergangenheit eine Liberalisierung des deutschen Abtreibungsrechts verhindert. Nach der Wiedervereinigung musste es hier eine neue Regelung geben, weil die entsprechenden Gesetze in der DDR deutlich liberaler gewesen waren und in den neuen Bundesländern weiter galten. Ein 1992 erlassenes Gesetz sollte die Regelung der ehemaligen DDR mit den Gesetzen der alten Bundesländer zusammenführen und sah vor, dass Abtreibung in den ersten zwölf Wochen nach einer verpflichtenden Beratung nicht rechtswidrig sei.

Aber dieses Gesetz wurde nur ein Jahr später vom Bundesverfassungsgericht wieder gekippt. Mit Verweis auf das Grundgesetz, in dem das Recht auf körperliche Unversehrtheit festgeschrieben ist, entschied es, dass Abtreibung grundsätzlich nicht erlaubt werden dürfe. So ist es bis heute geblieben: Eine Abtreibung ist in den ersten zwölf Schwangerschaftswochen nach einem verpflichtenden psychologischen Beratungsgespräch zwar straffrei, bleibt aber rechtswidrig.

Die Konsequenzen aus dieser „Halblegalität“: Ein Schwangerschaftsabbruch, der nicht auf Grundlage einer medizinischen oder kriminologischen Indikation erfolgt, muss selbst bezahlt werden, denn er gilt nicht als sogenannte Gesundheitsleistung. Wäre er das, würde sich auch die medizinische Versorgungslage für die Frauen verbessern, denn Abtreibungen wären dann ein fester Teil der Aus- und Weiterbildung von Ärzten. Das sind sie aber nicht, was bedeutet, dass viel zu wenig Ärzte diese Leistung überhaupt anbieten.

Abtreibungen in Deutschland: Teuer, aufwändig, riskant

Gerade Frauen aus ländlichen oder stark katholisch geprägten Regionen müssen für einen Schwangerschaftsabbruch oft hunderte Kilometer fahren. Zudem ist die Qualität des medizinischen Eingriffs nicht gewährleistet. Eine Abtreibung in Deutschland ist teuer, aufwändig und ein gesundheitliches Risiko. Als wären Scham, Anfeindungen und der enorme innere Konflikt jeder Frau, die ungewollt schwanger ist, nicht schon schlimm und belastend genug.

Es braucht einen langen Atem und den Gang durch viele Instanzen, um endlich das Recht auf Selbstbestimmung für ungewollt Schwangere durchzusetzen. Das haben die letzten Jahrzehnte, in denen es immer wieder misslungen ist, den Paragrafen 218 abzuschaffen, zur Genüge bewiesen.

Deswegen wäre es dringend nötig gewesen, wenn die Ampel die im Koalitionsvertrag vorgesehene Kommission mit höchster Priorität unmittelbar nach Beginn ihrer Regierungsarbeit installiert hätte. Weil sie das versäumt hat, ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich in dieser Legislaturperiode noch etwas ändern wird, verschwindend gering. Das ist nicht nur ein Armutszeugnis für die selbsternannte „Fortschritts-Koalition“, sondern vor allem bitter für die Frauen in Deutschland.

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