Ukraine und Russland

Wie drei Flensburger Studentinnen die Lage in ihren Heimatländern bewerten

Wie drei Flensburger Studentinnen die Lage in ihren Heimatländern bewerten

Drei Flensburger Studentinnen über Lage in Heimatländern

SHZ
Flensburg
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Das ist keine Krise, das ist ein Krieg in ihrem Land, sagt die Ukrainerin Marta Shoimann. Das Bild vom gepanzerten Wagen der Außenministerin Annalena Baerbock im verlassenen Ort Schyrokyne an der Frontlinie zwischen der ukrainischen Armee und den von Russland unterstützten Separatisten zwischen zerstörten Gebäuden zeigt das eindrücklich. Foto: Bernd von Jutrczenka / SHZ

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Während Yuliia Parkhomenko die Gelassenheit der ukrainischen Regierung teilt, spricht Marta Shoimann von Krieg. Eine russische Studentin in Flensburg sieht die Ukraine als Spielball zwischen Russland und den USA.

Täglich gibt es neue Nachrichten zur Ukraine und Russland. Marta Shoimann ist 24 und kommt von der Schwarzmeerküste nahe Odessa. Sie hat gerade ihr Studium der European Cultures and Society an der Flensburger Europa-Universität (EUF) abgeschlossen und ist nach Leipzig gezogen. Flensburg bleibt sie unter anderem durch ihre Kunstaktionen mit der Norder 147 verbunden.

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Allein die Wortwahl beim Thema hält sie für „zerstörerisch für die internationale Wahrnehmung“ dessen, was an der ukrainischen Grenze tatsächlich passiert. „Es ist nicht einfach nur eine Krise in einem Land, es ist eine acht Jahre lange Präsenz russischer Truppen auf dem Territorium der Ukraine“, stellt Shoimann klar. Dies sei verbunden mit Bomben, Besetzung, Cyberattacken und mit Russland als „Aggressor“.

Keine Krise, sondern acht Jahre Krieg

Jahrelang wurden Menschen gezwungen, ihre Heimatstädte zu verlassen, weil sie weder unter einer Besetzung leben noch ihre Staatsbürgerschaft in die russische ändern möchten. „Man muss sich das einmal vorstellen, wenn dein Haus, in dem du aufgewachsen bist, nicht mehr existiert, weil es von einer Bombe zerstört worden ist“, sagt die junge Ukrainerin. Wenn das nicht rüberbringe, dass es sich hier um einen Krieg handele, dann wisse sie nicht, was sonst.


Ihre Landsleute, die damit leben, beschreibt sie als erschöpft und psychologisch ausgedörrt. Deshalb wünscht sie sich, dass die Menschen erkennen, was in der Ukraine geschieht. Die Hoffnung, dass der Westen die ganze Dimension verstünde, habe sie allerdings aufgegeben, resümiert die 24-Jährige.

Konfliktforscherin aus der Donezk-Region

Nicht ganz so drastisch schildert Yuliia Parkhomenko die Lage, obwohl auch sie schon beim Volleyballspielen in der Ferne Bomben hörte und die Familie eines Sommers monatelang ohne Wasser war. Parkhomenko ist 22 Jahre alt, kommt aus der Region Donezk und ist erst vor wenigen Tagen in Flensburg angekommen.


Hier macht sie bis Ende April ein Praktikum im Europäischen Minderheitenzentrum ECMI. Nach ihrem Bachelor in Kiew war sie vor zwei Jahren nach Glasgow gegangen für ein Masterprogramm in internationalen Beziehungen und Politikwissenschaft.


Anders als die Stadt Donezk sei die gleichnamige Region, aus der sie stammt, bislang nicht besetzt worden. Sie äußert sich weniger besorgt als manche ihrer ausländischen Freunde und erklärt das mit eigenen Erfahrungen und dem Regierungshandeln.

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Ihre Eltern hätten, wie schon 2014 zu Zeiten der Revolution, alle Dokumente und Notwendiges in Taschen gepackt, seien „organisiert“ für den Ernstfall. „Es ist nichts Neues. Wir haben das schon erlebt“, sagt Yuliia Parkhomenko.

Statt Invasion: Tag der nationalen Einheit

„Auch unsere Regierung ist ziemlich entspannt“, fügt sie hinzu. Wolodymyr Selenskyj nehme beinahe täglich Videoclips auf, in denen er die Leute beruhigt. Der ukrainische Präsident habe zudem das angenommene Datum einer möglichen Invasion, den 16. Februar, kurzerhand als Tag der nationalen Einheit ausgerufen. Das sei zwar symbolisch, aber dennoch, so hoffe sie, wahr und begründet, wenn die Regierung keine Panik schüre.

Parkhomenko ist zwar bewusst, dass der 44-jährige Jurist Selenskyj Erfahrungen im Showbusiness habe. „Er weiß, welche Gefühle er ansprechen muss. Aber es funktioniert.“ Anders als 2014 sei das Land samt Armee besser vorbereitet, glaubt sie. Als demoralisierend hingegen beschreibt die ECMI-Praktikantin den Moment, als mehrere Oligarchen mit ihren Familien das Land verlassen haben.

Leben in der Region Donezk

Das Leben in der Donezk-Region hat sich seit der Revolution verändert, beobachtet Yuliia Parkhomenko. 2014 ging sie noch zur Schule und wurde „ein bisschen gemobbt“, weil sich ihre Familie als einzige auf die Seite der Ukraine statt auf die russische schlug. „Doch dann veränderte sich die Situation plötzlich, als die Menschen sahen, wie die Machtverhältnisse sich änderten und die ukrainische Regierung stärker wurde“, erinnert sie sich.

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Auch ihre Lehrer, mit denen sie anfangs stritt, trugen zwei Jahre später die ukrainische Flagge. „Jetzt ist es nicht schwierig, dort zu leben“, resümiert Parkhomenko, auch weil die besetzten Gebiete inzwischen nicht mehr funktionierten: „kein Apple, kein Netflix, kein Bestellhandel, keine Verbindung zur Außenwelt außer zu Russland“, zählt sie auf. Das seien banale Dinge, aber wichtig für die Menschen.

Russischer Patriotismus

Olga (Name von der Redaktion geändert) studiert an der EUF in Flensburg und wurde vor 23 Jahren im russischen Kasan geboren. Als Kind kam sie nach Deutschland und verbringe jedes Jahr mehrere Monate in der Heimat, sagt die Studentin. Der Konflikt sei viel größer und betreffe nicht nur Russland und die Ukraine, sagt Olga.

Insbesondere die ältere Generation Russlands, so schätzt sie es ein, hätte ein starkes Vertrauen in Putin. Die russischen Truppen an der ukrainischen Grenze würden als Akt der Gleichstellung akzeptiert, um ein Gleichgewicht zum Agieren der USA herzustellen. Einen Krieg hält Olga für unwahrscheinlich, weil weder Sanktionen noch Opfer in Russland gewollt sind.

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Die Ukraine bezeichnet sie als „Spielball“ zwischen den USA und Russland. Wenn einer den Druck erhöhe, ziehe der andere nach. In ihrer weiteren Familie sehe man Russen und Ukrainer als ein Volk. Man sei patriotisch und grenze sich von Amerika ab, beobachtet die 23-jährige Studentin. Damit erklärt die Russin, dass die Annäherung an den Westen durch die Ukraine von den Russen übel genommen werde.

Minsker Abkommen von 2015

Auch ihre Familie habe Verwandte in Russland, berichtet Yuliia Parkhomenko. Ihre Eltern jedoch haben zu denen den Kontakt abgebrochen, weil alle Interaktionen in teils offensiven Streit ausarteten. Die ukrainische Bevölkerung hält das Minsker Abkommen von 2015, mit dem unter anderem eine gewisse Autonomie für die Menschen im Donbas vereinbart wurde, im Nachhinein für einen Fehler. Die Master-Studentin bezweifelt das praktische Interesse an einer Invasion russischer Truppen und die Fähigkeit, diese Macht zu behalten. Harte Sanktionen würden Russland davon abhalten.

Die Frage nach der deutschen Rolle sei sehr präsent in den ukrainischen Medien. Aus der Weigerung, mit Waffen zu helfen, würde die Bevölkerung schließen, „Deutschland ist gegen uns“ – zusammen genommen mit Nord Stream 2 und der Schröder-Putin-Verbindung.


Die ukrainische Künstlerin Marta Shoimann fordert vor allem eine wahrheitsgemäße Darstellung des Leids in ihrem Land. „Es gibt genug Tragödien in dieser Welt. Und die russische militärische Aggression gegen die Ukraine ist eine weitere Hölle auf Erden.“ Freunde und Verwandte haben ihr Leben verloren, weil ein „autoritärer Irrer einfach nicht aufhört, seine Träume vom ultimativen Imperium zu verfolgen.“

Die ukrainisch-russische Grenze sei näher an Europa als viele denken, erinnert Shoimann. Wenn die ukrainische Opposition fallen sollte, werde ein Diktatoren-Staat an die Tür der Europäischen Union klopfen. Auch die 24-Jährige stellt sich darauf ein, eines Tages vielleicht keine Heimat mehr zu haben.

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Leitartikel

Gwyn Nissen
Gwyn Nissen Chefredakteur
„Zusammenhalt: Es geht noch viel mehr in Nordschleswig“