Vor 100 und vor 50 Jahren

Chronik Februar 2021

Chronik Februar 2021

Chronik Februar 2021

Jürgen Ostwald
Jürgen Ostwald Freier Mitarbeiter
Nordschleswig
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Max Slevogt gehörte um 1900 mit Max Liebermann und Lovis Corinth zum Triumvirat der Berliner Sezession. Zu seinem Werk gehören zahlreiche berühmte Rollenporträts des Sängers Francisco d´Andrade, die zu den Inkunabeln des deutschen Impressionismus zählen. Wir zeigen hier die kleine Studie „Francisco d´Andrade als Zeitungsleser“, die der Nationalgalerie in Berlin gehört. Foto: wikipedia.de

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Vor 100 und vor 50 Jahren

Foto: DN

Vor 100 Jahren – Sonderburger Zeitung

Wir wechseln einmal wieder die Zeitung und legen das seit über einem Jahr berücksichtigte „Berliner Tageblatt“ zur Seite, auch wenn es damals zu den zwei, drei führenden deutschen Zeitungen zählte und auch in Nordschleswig (namentlich in den Zeitungsredaktionen) gelesen wurde. Wir kehren in die Heimat zurück und nehmen für die nächste Zeit die täglichen Ausgaben der „Sonderburger Zeitung“ zur Hand.
Die „Sonderburger Zeitung“ erschien damals bereits seit fast 50 Jahren: 1873 begann sie im Januar mit ihrer ersten Nummer. Sie erschien bis 1929. Sie war deutschgesinnt, aber moderat nationalliberal. Ihre Lage war jedoch nach der Abstimmung prekär. Die Marinestation wurde aufgelöst, deutsche Lehrer usw. verließen den Ort, Abonnenten fielen weg. Die sozialdemokratische Leserschaft wanderte zum neu gegründeten „Sönderjyllands Social-Demokrat“ ab.  Am 1. Februar 1929 gab die „Sonderburger Zeitung“ auf und fusionierte mit anderen nordschleswigschen Blättern (aus Tondern, Hadersleben und Apenrade) zur „Nordschleswigschen Zeitung“, der Vorläuferin des „Nordschleswigers“. Der Sonderburger Zeitungstitel blieb im Untertitel der nun in Apenrade erscheinenden Zeitung jedoch erhalten.

Von 1901 bis 1929 war Emil Kühler Redakteur des Blattes, ein eigenwilliger und gebildeter Zeitungsmann, der heute leider vergessen ist. Er war in den 30er Jahren an der „Nordschleswigschen Zeitung“ in Apenrade tätig, die dort die übelsten antisemitischen Ausfälle publizierte. Ein tatsächliches NS-Bekenntnis wie bei seinen Apenrader Zeitungs-Kollegen Harboe Kardel oder Jürgensen (der sich Asmus von der Heide nannte) lag bei ihm offenkundig nicht vor. Er war Jahrgang 1870, war also in der NS-Zeit Mitte 60, im Jahre 1940 wurde er 70. Eine Untersuchung über seine Generations-Kohorte und ihre Stellung zum Nationalsozialismus in Nordschleswig würde sich lohnen. Die in den nächsten Tagen erscheinende umfangreiche, um nicht zu sagen monumentale Biografie über seinen Generationskollegen Johannes Schmidt-Wodder (geb. 1869) von Peter Hopp wird wohl auch darüber neue Aufschlüsse geben.

 

Dienstag, 8. Februar 1921
Goethes Weltstellung
Im „Berliner Tageblatt“ schreibt der berühmte dänische Literaturhistoriker Georg Brandes über „Goethes Bedeutung für die ganze Welt“. Der Aufsatz kann gewissermaßen ein Trost für mancherlei sein; denn Goethe zeigt uns gleichsam den Weg, wie auch sein an äußerer Macht geschwächtes Deutschland wieder Weltgeltung erlangen kann.
Mit dem dann folgenden ausführlichen Bericht zeigt Emil Kühler seinen Standort und seine intellektuelle Herkunft. (Und uns zugleich, dass das „Berliner Tageblatt“ Referenz-Zeitung für ihn war.) Brandes war seit Jahrzehnten mit dem Chefredakteur des Berliner Blattes, Theodor Wolff, befreundet. Wir sind bereits früher mehrfach darauf eingegangen. Das „Berliner Tageblatt“ war Brandes´ Haupt-Gazette in Deutschland. Über Goethe hatte er sich bereits 1881 ausgesprochen, und zwar mit einem Aufsatz „Goethe und Dänemark“ im Weimarer Goethe-Jahrbuch. 1922 erschien seine 1915 in Kopenhagen publizierte bedeutende Goethe-Biografie auf Deutsch. Das Vorwort zur deutschen Ausgabe unterzeichnete Brandes mit „Kopenhagen, im August 1921“, und tatsächlich erschien das Werk bereits zur Herbstmesse vor 100 Jahren. Die 600 Seiten umfassende Monografie erreichte 1922 noch sieben weitere Auflagen! Emil Kühler wird früh ein Exemplar erworben haben.

 

Mittwoch, 9. Februar 1921
An der Apenrader Landstraße beim Lundsbergkrug stand ein Gedenkstein, der sog. „Gardestein“ zur Erinnerung an die Parade, welche König Wilhelm 1864 über die von der Erstürmung der Düppeler Schanzen nach Jütland ziehenden Garderegimenter abgehalten hat. Dieser Gedenkstein ist, wie das „Apenrader Tageblatt“ meldet, gesprengt worden. Das Blatt hat sich deswegen an die zuständige Behörde gewandt und wird später noch auf die Angelegenheit zurückkommen.

 

Dienstag, 15. Februar 1921
Oxbüll
Ein Schildbürgerstreich ist hier vollführt worden. In der hiesigen Kirche wurde ein altromanischer Grabstein aufbewahrt, der früher in der Kirchenmauer saß. Der Stein in den Ausmaßen von 130:50 Zentimeter zeigte auf der Bildseite ein Kreuz auf einer Kugel. Als man nun hier ein Denkmal für die „Wiedervereinigung“ errichten wollte, verfiel man laut „Hejmdal“ darauf, diesen Grabstein, der als Kunstdenkmal registriert und aufbewahrt war, zu nehmen und in den Querbalken des Kreuzes mit großen modernen Buchstaben die Worte „Genforening 9.7.1920“ einzuhauen. Es hätte sich leicht ein anderer Stein für den Denkstein finden lassen.
Diese Zerstörung eines romanischen Kulturdenkmals führte natürlich auch auf dänischer Seite zur Empörung. Jens Raben, Museumsleiter in Sonderburg vor wie nach der Abstimmung, wusste hier deutliche Worte zu sprechen. Es wäre zu untersuchen, wie es zu dieser Zerstörung kam. Der Pastor Heinrich Andreas Asmussen, der in Hamburg 1863 geboren worden war, hatte das Predigeramt in Oxbüll seit 1902 inne und starb plötzlich am 12. April 1919. Der neue dänische Pastor Nikolaj Blichfeldt, durch und durch Grundvigianer, hatte sein Amt am 13. August 1920 angetreten, also lange nach der Abstimmung. Wer schuf vollendete Tatsachen?

 

Mittwoch, 16. Februar 1921
Amerikanische Kriegsflotte
Nach einer Reutermeldung aus Washington heißt es in dem Bericht des Senatsausschusses für Flottenangelegenheiten, daß Großkampfschiffe auch zukünftig den Hauptteil jeder Seemacht darstellen müßten. Unterseeboote und Wasserflugzeuge bleiben Hilfsmittel.

Max Slevogt gehörte um 1900 mit Max Liebermann und Lovis Corinth zum Triumvirat der Berliner Sezession. Zu seinem Werk gehören zahlreiche berühmte Rollenporträts des Sängers Francisco d´Andrade, die zu den Inkunabeln des deutschen Impressionismus zählen. Wir zeigen hier die kleine Studie „Francisco d´Andrade als Zeitungsleser“, die der Nationalgalerie in Berlin gehört. Foto: wikipedia.de

Mittwoch, 16. Februar 1921
Francesco d´Andrade, der berühmte Bariton, ist einem Schlaganfall zum Opfer gefallen, den er vor einigen Tagen erlitten hatte. Der Sänger war am 11. Januar 1859 in Lissabon geboren; er studierte in Mailand bei Miraglia und Ronconi, trat 1882 in San Remo vor die Öffentlichkeit und gastierte seitdem viel gefeiert in den europäischen Hauptstädten.
Seit den 90er Jahren des 19. Jahrhunderts war der höchst gefeierte Sänger in Berlin ansässig. Seine größten Erfolge hatte er mit der Hochzeit des Figaro und dem Don Giovanni Mozarts. 1919 nahm er seinen Abschied von der Bühne in Berlin, wo er am 8., Februar starb.

 

Montag, 16. Februar 1921
Die Renaissance des Tanzes
Das englische Blatt „Dancing Times“ prophezeit eine Revolution oder richtiger, Reaktion auf dem Gebiete des Tanzes, indem die modernen Tänze bald von dem alten, aber doch ewig neuen Walzer abgelöst werden dürften. In den englischen Salons hat man schon den Walzer wieder in Gnaden aufgenommen, und die übrigen Länder werden sicher bald nachfolgen.
Die Prophezeiung wird sich nicht bewahrheiten. Oder nur zum Teil. Der moderne Tanz ist eines der Ingredenzien dessen, was wir „die Goldenen Zwanziger Jahre“ nennen – ohne Charleston nicht zu denken. Die Londoner „Dancing Times“ erschien übrigens seit Oktober 1910. Ihr Vorgängerblatt seit 1894. Und sie erscheint noch: als „Britain´s leading dance monthly“.

 

Mittwoch, 23. Februar 1921
Herzog Ernst Günther gestorben
Der Bruder der deutschen Kaiserin, Se. Hoheit Herzog Ernst Günther zu Schleswig-Holstein-Sonderburg-Augustenburg, ist heute nacht nach kurzem Krankheitslager einem Herzschlage erlegen.

 

Mittwoch, 23. Februar 1921
Nordschleswiger Verein in Plön
Am Sonntag, den 20. Februar wurden die in Plön wohnenden Nordschleswiger zu einer Versammlung eingeladen. Es erschienen 50 Personen, welche sich mit Begeisterung zu einem Verein der Nordschleswiger zusammenschlossen, um die Liebe zur alten Heimat zu pflegen. Mitteilungen über besondere Vorkommnisse in der alten Heimat nimmt dankend an: Friedrich Frank, Plön, Hamburger Straße 25. Mit herzlichem Gruß. „Up ewig ungedeelt!“. Die Landsleute in Plön (Holstein).
Aus den landsmannschaftlichen Vereinen entwickelten sich Zug um Zug die noch heute vielerorts bestehenden Patenschaften.

Edvard Munch und Helge Rode kannten einander bereits seit den 90er Jahren des 19. Jahrhunderts. Das Porträt Munchs, das heute dem Munch-Museum in Oslo gehört, entstand 1908, als Munch mit Rode und seiner umschwärmten Frau Edith Rode in Kopenhagen intensiven Kontakt hatte. In späteren Jahren verloren sie sich allerdings aus den Augen. Foto: wikipedia.de

Sonnabend, 26. Februar 1921
Ein Flensburg-Politiker auf dem Dichter-Abend
Einen dänischen Dichter-Abend veranstaltete der dänische Vortragsverein zu Sonderburg am Donnerstag im Festsaal der Staatsschule. Der dänische Dichter Helge Rode las eigene Lyrik und sein Festspiel „Moderen“ vor, das er zur „Genforening“ verfaßt hat. Es ist jüngst vom Königlichen Theater zu Kopenhagen aufgeführt worden. Der chauvinistische dänische Dichter Waldemar Rördam hat an dem Werk ausgesetzt, daß Helge Rode die Flensburg-Frage nicht erwähnt.
Emil Kühler, der den Abend in Sonderburg offenbar miterlebt hat, berichtet über Auseinandersetzungen dieses, wie Kritiker meinten, grenzlandpolitischen Mankos des Textes. Das tat der damaligen Wirkung keinen Abbruch. Rodes Text ist ein Langgedicht für die Komposition von Carl Nielsens „Moderen“, die den „Mor-Danmark“-Mythos bediente, und in einer Festaufführung am 8. Januar 1921 im Königlichen Theater in Kopenhagen erstmals über die Bühne gegangen war. Rode war in Deutschland nie richtig bekannt geworden. Um 1900 gab es einige Aufführungen seiner frühen Theaterstücke, etwa „Königskinder“. Kein geringerer als Alfred Kerr schrieb über sie. In seinen „Skandinavischen Persönlichkeiten“ schrieb Georg Brandes wohlwollend über Rode. Der Essay erschien 1903 auf Deutsch. Rode dankte es ihm nicht. Nach dem Krieg erging er sich in abfälligen, ja üblen persönlichen Invektiven gegen Brandes, die eines antisemitischen Untertons nicht entbehrten. In Deutschland sprach von ihm im Gegensatz zu Dänemark niemand mehr. Das Museum in Apenrade bewahrt übrigens eine Bronzebüste Rodes von der Hand Gunnar Hammerichs aus dem Jahr 1934.

 

Montag, 28. Februar 1921
Die Postgebühren für den Inlandsverkehr werden von morgen ab erhöht, und zwar kosten Briefe bis zu 50 Gramm 20 Oere (Ortsgebiet 10 Oere), über 50 Gramm bis 250 Gramm 30 bzw. 15 Oere, über 250 Gramm bis 1 kg 60 Oere, Postkarten 15 Oere (Ortsgebiet 8 Oere), Antwortpostkarten 30 bzw. 16 Oere, Drucksachen bis zu 50 Gramm 10 bzw. 8 Oere, über 50-250m Gramm 15 bzw. 12 Oere, von 250 bis 1 kg 40 Oere.
In unserer Zeitung werden in diesen Tagen angeboten: Konfirmationsanzüge 85 Kronen, Damenkleider aus Seide 68 Kronen, 50 Kilo Nuss-Kohle für den Ofen 3,50 Kronen.

 
Foto: DN

Vor 50 Jahren – Der Nordschleswiger

Freitag, 5. Februar 1971
Der König stimmte zu
König Frederik teilte in einer Staatsratssitzung mit, er habe einer Eheschließung zwischen Prinz Christian und der Bürgerlichen Anne Dorte Maltoft-Nielsen zugestimmt.

Prinz Christian gab eine Erklärung ab, in der er vom Zeitpunkt seiner Eheschließung an auf sein eventuelles Erbrecht am dänischen Thron für sich und seine Angehörigen sowie Nachkommen ebenso verzichtet sowie auf die Prädikate „Hoheit“ und „Prinz zu Dänemark“  einschließlich aller daraus folgenden Rechte.

Der Prinz und seine zukünftige Frau erhalten stattdessen die Titel Graf und Gräfin Rosenborg, ihre Kinder werden Grafen und Comtessen sein.
Am 23. Februar heiratete das Paar in der Kirche von Lyngby. Ihnen wurde als Wohnort das Schloss Sorgenfri zugewiesen, wo übrigens König Frederik geboren worden war.

 

Mittwoch, 17. Februar 1971
Mord an Antik-Andersen noch immer ungesühnt
Die Einwohner Sonderburgs müssen sich damit abfinden, dass sich unter ihnen möglicherweise ein Mörder befindet. Heute, auf den Tag genau vier Jahre nach dem Mord an dem damals 77jährigen Antiquitätenhändler Kristian Andersen, steht die Kriminalpolizei diesem Fall noch genauso hilflos gegenüber wie in den ersten Stunden, obwohl sie alles andere als untätig gewesen war. Die Beamten überprüften mit Kopenhagener Unterstützung fast 4.000 Hinweise ohne eine Spur zu finden, die zum Täter hätte führen können. Selbst eine Fernsehfahndung nach dem Vorbild der deutschen Sendung „X Y … ungelöst“ brachte die Polizei nicht weiter.
Der ungeklärte Mordfall wird auch in den späteren Jahren die Polizei beschäftigen. Viele Jahre später nahm sich unser damaliger Chefredakteur Siegfried Matlok noch einmal den Fall vor und berichtete im Dezember 2012 über alte und neue polizeiliche Untersuchungen.

 

Sonnabend, 27. Februar 1971
„Im alten Tingleff lagen meine reichen Lebensjahre ...“
Die älteste Volkshochschul-Leiterin, Fräulein Martha Werther, wird am 2. März 90 Jahre alt. Kein Volkshochschullehrer ist ein langes Leben hindurch mit dem Volkshochschulgedanken so verknüpft gewesen wie sie. Diese Feststellung lenkt den Blick auf Tingleff, denn dort entstand bekanntlich vor über 65 Jahren die erste Heimvolkshochschule Deutschlands, jene Schule, der Frau Werther 35 Jahre ihres Lebens widmete. Sie hat in dieser Zeit vielen nordschleswigschen Familien über die Frauen ihr Gepräge aufgedrückt. Die Aufgabe hat zugleich aus ihr eine Nordschleswigerin gemacht. Ihr ganzes Herz schlägt für Nordschleswig und für Tingleff, das zu ihrer eigentlichen Heimat wurde.
Eine Biografie mit Würdigung ihrer Arbeit ist im Netz leicht über „nordschleswigwiki.info“ zu finden.

 

Zusammengestellt und kommentiert von Jürgen Ostwald.

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