Zwischenbilanz im Bundestag

Wirecard-Ausschuss: «Kollektives Organversagen»

Wirecard-Ausschuss: «Kollektives Organversagen»

Wirecard-Ausschuss: «Kollektives Organversagen»

dpa
Berlin
Zuletzt aktualisiert um:
Danyal Bayaz (l-r, Bündnis 90/Die Grünen), Fabio De Masi (Die Linke) und Florian Toncar (FDP), Obleute der Bundestagsfraktionen von Bündnis 90/Die Grünen, Die Linke, und FDP im Wirecard-Untersuchungsausschuss des 3. Bundestagsuntersuchungsausschusses. Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa

Wirecard spielte in der obersten Börsenliga - und allen Aufsehern jahrelang Theater vor. Ein Ausschuss im Bundestag untersucht den Fall - und zieht eine ernüchternde Zwischenbilanz.

Scharfe Fragen bis spät in die Nacht, Dutzende Zeugen bis hin zur Kanzlerin und Hunderte Gigabyte Daten: Im Bundestag versucht ein Untersuchungsausschuss den wohl größten Betrugsfall der Nachkriegsgeschichte aufzuklären.

Es geht um ein Milliarden- Bilanzloch, massive Schäden für Anleger und den beispiellosen Absturz eines Börsenstars. Die Zwischenbilanz mehrerer Fraktionen fällt am Mittwoch vernichtend aus: Der Skandal um Wirecard gehe nicht allein auf hohe kriminelle Energie Einzelner zurück, sondern auch auf gravierende Fehler von Aufsichtsbehörden und Bundesregierung.

Alle sechs Fraktionen sind der Meinung, dass der Ausschuss wichtige Zusammenhänge aufgedeckt habe. «In der Summe sieht man eines widerlegt: Dass das eine Naturkatastrophe war, dass hier kein Mensch Fehler gemacht hat», sagt der Finanzpolitiker der FDP, Florian Toncar. Sein Kollege von den Grünen, Danyal Bayaz, beschreibt drei für den mutmaßlichen Betrug entscheidende Faktoren: «eine Bande mit hoher krimineller Fantasie und Energie», ein «Kollektivversagen» bei Behörden und Aufsichtsorganen sowie ein ganzes Heer an Lobbyisten, «die Klinkenputzen waren um das Bild dieses Technologiestars an den Mann, an die Frau, an die Politik zu bringen».

Der Fall Wirecard: Das Unternehmen Wirecard war ein Dienstleister für bargeldlose Zahlungen an der Schnittstelle zwischen Händlern und Kreditkartenfirmen. Das Fintech spielte in der obersten Börsenliga - und machte den Wirtschaftsprüfern offenkundig jahrelang etwas vor. Im Sommer räumte Wirecard ein Bilanzloch von 1,9 Milliarden Euro ein - Geld aus Auslandsgeschäften, das zwar in den Bilanzen auftauchte, in Wahrheit aber wohl nie existierte. Das Unternehmen meldete Insolvenz an, Tausende Anleger verloren Geld. Vorstandschef Markus Braun wurde festgenommen, Manager Jan Marsalek ist auf der Flucht.

Monate bevor der Skandal aufflog hatte es bereits Hinweise und Berichte über Unregelmäßigkeiten bei Wirecard gegeben. Der Untersuchungsausschuss will nun herausfinden, warum der Fall über Jahre nicht aufflog und ob Wirecard als aufstrebendes Fintech von den Behörden mit Samthandschuhen angefasst wurde.

Die Frage der Verantwortung: Der Ausschuss habe «durch die Bank weg Probleme bei der Wahrnehmung von Verantwortung» gezeigt, beschreiben Linke, Grüne und FDP. Behörden hätten mehr auf Zuständigkeiten geschaut als in Zusammenhängen zu denken. «Wir konnten nichts anderes feststellen, als dass wir in Deutschland eine Kultur der Nicht-Verantwortung haben», sagt Toncar. Die Befragungen zeigten: E-Mails zur Zuständigkeit bei der Geldwäscheaufsicht blieben wochenlang unbeantwortet, ein Anruf bei der Whistleblower-Hotline wurde abgewürgt, kritische Hinweise wurden ignoriert. Der Fraktionsvize der Linken, Fabio De Masi, betont, staatliche Institutionen hätten eine hohe Bereitschaft gezeigt, «dieser kriminellen Bande auf den Leim zu gehen, weil sie eben Wirecard repräsentiert hat».

Der Finanzpolitiker der SPD, Jens Zimmermann, zeigte sich erschrocken, dass selbst renommierte Wirtschaftsprüfer dem Betrug nicht auf die Schliche kamen. Jahr für Jahr hätten sie «mit ihrem Stempel auf den Bilanzen den Glauben an das Erfolgsmärchen Wirecard weiter gestärkt». Der CDU-Finanzpolitiker Matthias Hauer dagegen greift andere an: «Es gab bei Bafin und Bundesfinanzministerium eine eklatante Kultur des Wegsehens - bei Bilanzkontrolle, Finanzaufsicht, Geldwäscheaufsicht und Mitarbeitergeschäften.»

Eine angebliche Erpressung und ein Leerverkaufsverbot: Bereits Anfang 2019 hatte es Manipulationsvorwürfe gegen Wirecard gegeben, der Aktienkurs war in Turbulenzen geraten. Die Finanzaufsicht Bafin verhängte daraufhin ein zweimonatiges Leerverkaufsverbot, verbot also Spekulationen auf fallende Kurse des Unternehmens. Das festigte bei Investoren den Eindruck, Wirecard sei Opfer einer gezielten Attacke.

Wie im Ausschuss herauskam, spielte auch die Staatsanwaltschaft bei diesem Verbot eine Rolle: Sie glaubte Anwälten des Unternehmens, dass Wirecard erpresst werde, und gab diese Informationen an die Bafin weiter. Die SPD ist überzeugt, dass die angebliche Erpressung «eine von Jan Marsalek erfundene Räuberpistole» war, durch die sich die Bafin zum Handeln gezwungen sah. Bayaz meint: Ohne das Verbot wäre der Betrug vermutlich sehr viel früher aufgedeckt worden.

Lobbyismus: Karl Theodor zu Guttenberg, ein früherer bayerischer Polizeipräsident, ein Geheimdienstkoordinator: Viele haben sich an hoher Stelle für Wirecard ins Zeug gelegt, sogar direkt bei Kanzlerin Angela Merkel (CDU). «Namhafte Politiker und Persönlichkeiten haben sich von Wirecard als Lobbyisten einspannen lassen und damit viel Geld verdient», kritisiert Zimmermann.

Personelle Konsequenzen: In einer Tabelle listet die SPD Rücktritte und Entlassungen im Zusammenhang mit dem Ausschuss auf. Die Liste ist lang, von Bafin-Präsident Felix Hufeld über die «Bilanzpolizei» DPR bis hin zum Deutschlandchef der Wirtschaftsprüfergesellschaft EY. Die personellen Konsequenzen seien Ergebnis der fraktionsübergreifenden Zusammenarbeit, betont Hauer. Der AfD wäre allerdings am liebsten, es würde dabei nicht bleiben. «Unsere Forderung, dass Finanzminister Scholz auch die Verantwortung übernehmen und zurücktreten muss, werden wir bis zum Ende aufrechterhalten», kündigt der Ausschussvorsitzende und AfD-Politiker Kay Gottschalk an.

Offene Fragen und ein mögliches furioses Finale: Viele Fragen vor allem zur Rolle der Bundesregierung sind noch offen. In welche Entscheidungen war die Führungsebene des Finanzministeriums eingeweiht? Warum hakte der zuständige Staatssekretär nicht genauer nach? Warum ließ man selbst nach Auffliegen des Skandals noch einen Rettungsplan für Wirecard entwerfen? Das Finanzministerium habe einen «sehr wohlwollenden Blick auf Wirecard» gehabt, kritisiert Toncar. Vieles spreche dafür, dass man auch Vizekanzler Olaf Scholz den Vorwurf machen könne, sich nicht genug eingesetzt zu haben. Seiner Ankündigung von maximaler Aufklärung sei der Finanzminister bislang jedenfalls nicht gerecht geworden, sagt Hauer. Im April hat Scholz die Gelegenheit, dies vor dem Ausschuss gerade zu rücken. Einen Tag später wird Kanzlerin Angela Merkel befragt.

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