Dansk-Tysk med Matlok

„Berlingske“-Redakteur Collignon: Deutschland nutzt seine Geschichte heute als Vorwand

„Deutschland nutzt seine Geschichte heute als Vorwand“

„Deutschland nutzt seine Geschichte heute als Vorwand“

DN
Kopenhagen
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Pierre Collognon und Siegfried Matlok beim Interview in den historischen Räumen des Berlingske-Gebäudes in der Pilestrœde, im Hintergrund die Büste des Zeitungsgründers Ernst August Berling, der 1749 aus Mecklenburg kommend „Berlingske Tidende“ gründete und die Zeitung damals in dänischer, deutscher und französischer Sprache herausgab. Foto: DK4

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Pierre Collignon, ein namhafter Journalist von „Berlingske“, ist nicht zufrieden mit der deutschen Positionierung in Europa. Sicherheitspolitisch erwartet er, dass sich die deutsche Regierung künftig nicht mehr wegen der eigenen dunklen Vergangenheit vor der Verantwortung drückt, auch nicht in der Ukraine.

Zur Person

Pierre Collignon, geb. 1972 in Caen in der Normandie, Vater Franzose, Mutter Dänin, hatte bei Kriegsspielen in seiner französischen Kindheit das Glück, nicht als  „Niete“ die Rolle des „bösen Deutschen“ spielen zu müssen. Kam als Zehnjähriger nach Dänemark. Er hat eine beachtliche journalistische Laufbahn aufzuweisen: Korrespondent für Jyllands Posten in Brüssel, Berlin und Moskau, Chefredakteur bei Jyllands Posten in Aarhus von 2012 bis 2016, seit April 2018 „Debatredaktør“ und auch Leitartikler bei Berlingske. Collignon bezeichnet sich selbst als „französisch-dänisch“.  

Bundeskanzler Scholz soll „mutiger auftreten als seine Vorgängerin“, wünscht sich der bekannte Redakteur von „Berlingske“, Pierre Collignon, der in Fernsehsendung „Dansk-tysk med Matlok“ auf DK4 die deutsche Politik kritisiert.  Nach seiner Meinung werden die  Schatten der Vergangenheit nur als Vorwand genutzt,  um sich sicherheitspolitisch vor der Verantwortung zu drücken.

Auf die Frage, ob angesichts der deutschen Geschichte das Berliner Handeln nicht auch heute noch verständlich sei, antwortet Collignon: Im Gegenteil, daraus erwachse für Deutschland eine besondere Verantwortung  als wichtigste europäische Macht.

Man denke in Berlin nicht militärstrategisch, man mache sich abhängig von Putins Gasleitung und sei nicht bereit, europäische Werte zu verteidigen, wenn sie sicherheitspolitisch unter Druck geraten. 

Es sei falsch, sich stets an die Entschuldigungen wegen der Nazi-Zeit zu klammern. In Wirklichkeit sei dies eine schlechte Entschuldigung, denn wenn deutsche Politiker heute darauf verweisen, dass sie aus historischen Gründen keine Waffen in Konfliktzonen – z. B. nicht in die Ukraine – liefern können, dann sollte man dieses Argument lieber auf den Kopf stellen und stattdessen sagen: Gerade, weil die deutsche Wehrmacht soviel Schaden in der Ukraine angerichtet hat, haben die Deutschen eine besondere moralische Verantwortung zu helfen, meint Collignon.

Luftschlösser Europa

Im Interview in der neuen Serie „Tyskland og Europa efter Merkel“ nimmt Collignon auch Stellung zu den Plänen der neuen deutschen Regierung,  auf einen föderalen europäischen Bundesstaat hinzuarbeiten.  Seine kurze Antwort: Wenn Deutschland und Frankreich unbedingt eine Union bilden wollen, bitte schön, dann können die beiden Länder sich doch zusammenlegen und damit selbst anfangen.

Collignon bezeichnet die Ampel-Pläne für die „Vereinigten Staaten von Europa“ als „Luftschlösser“. Als Korrespondent hat er damals selbst am europäischen Konvent teilgenommen, der eine neue europäische Verfassung ausarbeiten sollte.

Im Europa-Parlament sei Beethovens „Ode an die Freude“ gespielt worden, und es habe große Emotionen gegeben. Tatsächlich hätten die Politikerinnen und Politiker aber nur Striche gezeichnet, die mit der Wirklichkeit nichts zu tun gehabt hätten, denn die europäischen Bürger würden an ihren Nationen kleben, an den Nationalstaaten und an ihrer jeweiligen nationalen Identität. 

Entscheidende Änderungen in den Verträgen müssten durch die jeweiligen Parlamente und werden sicherlich auch nicht ohne Volksabstimmungen möglich sein, aber das sei doch viel zu riskant, so Collignon.

„Dänemark hat grundlegend eine Skepsis gegenüber großen europäischen Bauwerken, und das hat sich auch nicht geändert, denn selbst vernünftige Justierungen waren ja nicht einmal durchführbar“, so Collignon.

Nach 50 Jahren dänischer EU-Mitgliedschaft ist die dänische Souveränität nach seiner  Ansicht stärker geworden durch die EU, aber es gelte, die  richtige Balance zwischen der nationalen und der europäischen Souveränität zu sichern. „Die entscheidenden Bauklötze sind die Nationen und daran wird sich auch nichts ändern“, so Collignon.  

Das gesamte Interview:

 

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