Gesellschaft

Schritt für Schritt gegen die Einsamkeit

Schritt für Schritt gegen die Einsamkeit

Schritt für Schritt gegen die Einsamkeit

Malte Cilsik
Dänemark/Apenrade
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Den Gepäckwagen voraus, zieht der Tross um Patrick Cakirli durch Apenrade. Foto: Malte Cilsik

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Im Dezember 2016 postete Patrick Cakirli eine Nachricht, die sein Leben veränderte: „Ich bin einsam und durchlebe die schwierigste Zeit meines Lebens. Ich suche dringend Leute, die mir helfen." Die Menschen kamen und motivierten ihn dazu, der Einsamkeit den Kampf anzusagen. Denn eines steht fest: Patrick ist mit seinen Problemen nicht allein.

„Von 14 bis 20 Uhr sitze ich auf der Treppe vor dem Kopenhagener Rathaus und trage eine schwarze Hose und eine Northface-Tasche", fügte Patrick Cakirli seiner damaligen Nachricht noch an. Genug Informationen für 17 fremde Leute, seinem Ruf zu folgen und ihm an diesem kalten Wintertag Gesellschaft zu leisten. Dankbar blickt der heute 31-Jährige auf diesen Nachmittag zurück: „Es war sehr surreal und überwältigend. Aber es war auch unglaublich schön, denn es waren viele Leute, die äußerten, dass sie auch mit dem Gefühl der Einsamkeit zu kämpfen hatten."

Der Schritt in die Öffentlichkeit

Sein Beitrag zog ein großes Echo nach sich. Über 1.400 Kommentare ergaben eine so positive und starke Resonanz, dass 2017 zahlreiche Medienauftritte folgten und Cakirli von jetzt auf gleich im ganzen Land bekannt wurde.

Etwas, mit dem der gebürtige Kopenhagener niemals gerechnet hatte – und das ein starkes Verantwortungsbewusstsein in ihm weckte. „Das war der Grund, warum ich mich im März 2017 entschieden habe, mein Studium als Webentwickler abzubrechen, um mich noch mehr diesem Thema widmen zu können."

Rede laut und ehrlich darüber, wie es dir geht. Bleib nicht allein damit.

Patrick Cakirli

Ein steiniger Weg

Dabei hatte Patrick zuvor stets genug damit zu tun, für sich selbst zu sorgen. Früh ließ sein Vater die stark übergewichtige Mutter mit drei Kindern allein. Im Alter von neun Jahren musste Patrick sein Zuhause verlassen. „Ich hatte eine sehr harte und turbulente Erziehung in wechselnden Wohn- und Pflegefamilien. Wandern war schon immer etwas sehr Therapeutisches für mich. Ich habe es oft benutzt, um der Realität zu entfliehen. Nun wollte ich meine Leidenschaft für das Wandern mit einem Fokus auf Einsamkeit verbinden", erklärt Patrick seinen nächsten Schritt.

Mit einem Smartphone auf dem Gepäckwagen lässt Patrick Cakirli in den sozialen Medien alle an seinem Marsch teilhaben. Foto: Malte Cilsik

Er überlegte sich ein einfaches Konzept: wandern, aber nicht allein. Quer durch Dänemark – und jedes Jahr wieder. In den sozialen Medien begleitet er seine Märsche und wirbt um Begleitung. Denn ohne die hat er sich überlegt, darf er keinen Meter gehen. In diesem Jahr sind es rund 1.600 Kilometer, von Bornholm bis nach Esberg (Esbjerg). Dabei bekommt er Unterstützung von den Kommunen, die er durchwandert, und dem Dansk Gymnastik og Idrætsforbund (DGI). Sei es eine Unterkunft, Verpflegung oder die simple, für Daniel aber essenzielle Begleitung auf seinem Weg.

Auch Apenrade (Aabenraa) lag in diesem Jahr auf der Route. „Der Nordschleswiger" hat die Gelegenheit genutzt und die kleine Wandergruppe ein Stück begleitet.

Geht es dir heute besser als an jenem Tag 2016 – und welchen Anteil hatten die Wanderungen daran?

„Mir geht es besser als noch 2016. Daran besteht kein Zweifel. Aber die Einsamkeit ist resistent und bei mir ein dauerhafter Zustand.

Wahrscheinlich ist es ein Symptom meiner Erziehung, dass ich grundsätzlich das Gefühl habe, allein zu sein. Ich habe keine sichere Basis, wie viele andere Leute sie haben, keine Familie, die mich in schwierigen Zeiten auffangen kann und durch meine vielen Umzüge auch keinen festen Freundeskreis.

Mein berufliches Netzwerk ist sehr groß. Aber dadurch fiel es mir schwer, eine Work-Life-Balance zu finden und die vielen Beziehungen zu pflegen.

Durch die erfolgreichen Erfahrungen der Märsche habe ich mich dennoch als Mensch unglaublich weiterentwickelt. Dieses Gespräch hier zu führen, wäre für mich vor ein paar Jahren wirklich schwierig gewesen."

Heute spricht Patrick Cakirli ganz unbefangen vor größeren Menschengruppen und auch mit den Medien – das war aber nicht immer so. Foto: Malte Cilsik

Laut dem dänischen Roten Kreuz fühlen sich landesweit 8 Prozent der Bürgerinnen und Bürger über 18 Jahre einsam – welche Rolle spielen deiner Meinung nach dabei die sozialen Medien?

„In Social Media erscheint das Leben anderer oft perfekt. Reisen, Partys, Feiern und so weiter. Doch das sind Hochglanzbilder, und wir sprechen nicht über die schlechten Dinge.

So suggerieren wir ein falsches Bild von der Realität. Ein Bild, das viele neidisch werden lässt und die sich dann noch einsamer fühlen."

Die meisten von uns wissen, wie man einen Fuß vor den anderen setzt, und auf diese Weise ist die Initiative sehr integrativ.

Patrick Cakirli

Was empfiehlst du Menschen, die sich einsam fühlen?

„Ich war in den vergangenen Jahren mit mehreren Tausend Menschen im Dialog und habe unglaublich viele Geschichten gehört. Ich glaube nicht, dass es die eine Lösung gibt, die ich allen sagen kann. Ich denke, mein bester Rat ist, einfach Kontakt aufzunehmen. Rede laut und ehrlich darüber, wie es dir geht. Bleib nicht allein damit."

Was hältst du davon, dass deine Wanderung politisiert wird, indem dich zum Beispiel die Bürgermeister einiger Kommunen begleiten?

„Meine Idee ist es, niemanden auszugrenzen. An manchen Tagen begleiten mich sehr junge Leute, an manchen Tagen ist der Altersdurchschnitt höher.

Die meisten von uns wissen, wie man einen Fuß vor den anderen setzt, und auf diese Weise ist die Initiative sehr integrativ.

In diesem Jahr weiß ich, dass etwas mehr als 30 Bürgermeister dazukommen und auch ein Minister bereits dazugekommen ist. Auch in den vergangenen Jahren hatte ich große politische Unterstützung. Das freut mich. Es ist mein Ziel, dass der Marsch gegen die Einsamkeit ein fester Bestandteil im Jahreszyklus der Kommunen und ihrer Bildungseinrichtungen wird."

Die kleine Gruppe, die Patrick Cakirli (l.) auf der Etappe von Apenrade nach Hadersleben begleitete. Foto: Malte Cilsik

Ist es bereits vorgekommen, dass du auf deinem Marsch allein warst und nicht weiterwandern konntest?

„Dieses Jahr noch nicht. Aber ich habe es 2017 zweimal erlebt und 2018 einmal. Damals stand ich etwa anderthalb Stunden am Stück still. Ich bat auf Social Media, also

vor allem Facebook, um Hilfe. Dann kam jemand zur Rettung."

Wie anstregend sind die langen Etappen körperlich?

„Schon sehr, aber ich kann mich nicht beschweren. Je nach Zusammensetzung der Gruppe legen wir etwa vier Kilometer in der Stunde zurück. Ich laufe unglaublich viel, achte aber stark auf meine Ernährung. Meine Beine sind in einer guten Verfassung."

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