Diese Woche in Kopenhagen

„Wie aus der Operation Rohrkolben der Spionage-Skandal wurde“

Wie aus der Operation Rohrkolben der Spionage-Skandal wurde

Wie aus der Operation Rohrkolben der Spionage-Skandal wurde

Kopenhagen
Zuletzt aktualisiert um:
Der Rohrkolben (Dunhammer) hat einer streng geheimen FE-Operation den Namen verliehen. Foto: Kjeld Olesen/Biofoto/Ritzau Scanpix

Diesen Artikel vorlesen lassen.

Mit resoluten Schritten wollten Geheimdienste, Anklagebehörde und Regierung verhindern, dass Informationen über die geheime Datenzusammenarbeit mit den USA an die Öffentlichkeit dringen. Erreicht haben sie das Gegenteil. Walter Turnowsky erklärt, wie es dazu kommen konnte.

Außer Kollateralschäden ist nix gewesen. Das war das Gefühl, nachdem die Staatsanwaltschaft am Mittwoch mitgeteilt hatte, dass sie aufgegeben hat, die Verfahren gegen Ex-Verteidigungsminister Claus Hjort Frederiksen und den beurlaubten Geheimdienstchef Lars Findsen durchzuführen.

Und während sich die schwerwiegenden Anklagen wegen Verrats von Staatsgeheimnissen in Luft auflösten, müssen wir feststellen, dass die Kollateralschäden einen verheerenden Umfang haben.

Komplizierter Fall

Sensible Informationen über die geheime Datenlinienzusammenarbeit mit den USA sind jetzt öffentliches Gemeingut. Das Ansehen der beiden Geheimdienste FE und PET ist im In- und Ausland beschädigt worden. Und – nicht zuletzt – fast zwei Jahre lang schwebten schwere Beschuldigungen als Damoklesschwert über zwei Personen. Zwei Personen, die als unschuldig gelten müssen.

Denn ganz gleich, wie viel die Anklagebehörde, der Geheimdienst PET und Justizminister Peter Hummelgaard (Soz.) von Gesetzeslücken reden, so gilt immer noch der rechtsstaatliche Grundsatz, man ist unschuldig, bis das Gegenteil bewiesen wurde. Und bewiesen ist von den schweren Anschuldigungen gar nichts – mit einer Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom vergangenen Freitag sogar eher das Gegenteil, worauf ich noch zurückkommen werde.

Doch so schwerwiegend der Fall ist, so kompliziert ist er auch. Lass mich deshalb die zentralen Fragen beantworten.

Worum geht es im Kern der Sache?

Es geht um eine Zusammenarbeit des militärischen Nachrichtendienstes FE mit dem US-Geheimdienst NSA zur Überwachung von Datenleitungen, die durch Dänemark laufen. Die NSA hat die Technologie zur Verfügung gestellt, kann dadurch jedoch auch Telefongespräche, SMS-Bescheide und den Internetverkehr von Spitzenpolitikerinnen und -politikern sowie von Personen in Dänemarks Nachbarländern überwachen. Der NSA hat über diesen Weg unter anderem Daten der ehemaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) abgeschöpft.

Woher wissen wir das?

Zunächst aus etlichen Medienberichten von „Politiken“, „Weekendavisen“, „Berlingske“ und „DR“ seit August 2020. Vergangenen Freitag hat niemand Geringerer als der Oberste Gerichtshof (Højesteret) in einer Entscheidung die Informationen bestätigt. Er begründet seine Entscheidung, die Verfahren gegen Findsen und Hjort sollen teilweise bei offenen Türen geführt werden müssen, damit, dass die Informationen über Datenlinienzusammenarbeit bekannt – und somit nicht mehr geheim sind. Die fünf Richterinnen und Richter erwähnen auch, wo die Ursprünge der ganzen Affäre zu suchen sind.

Wo liegen die Ursprünge des Falls?

Nachdem Edward Snowden 2013 Informationen über das umfassende Überwachungssystem der NSA enthüllt hat, entsteht bei FE die Sorge, der US-Geheimdienst würde illegal auch Menschen in Dänemark überwachen (die Überwachung von Menschen im Ausland ist in Dänemark wie in anderen Ländern auch ohne Gerichtsentscheid zulässig). FE entschließt sich, den Verdacht zu untersuchen, ohne der NSA davon zu erzählen. Die streng geheime Operation bekommt den Namen „Dunhammer“ (Rohrkolben).

Was kommt bei der Operation „Dunhammer“ heraus?

Der Bericht bestätigt nach Informationen von „DR“, dass die NSA mithilfe der Datenleitungszusammenarbeit Bürgerinnen und Bürger in den Nachbarländern ausgespäht hat. Die FE-Führung ist jedoch nicht der Ansicht, die NSA operiere rechtswidrig. Ein junger IT-Mitarbeiter sieht das laut „Politiken“ anders. Er versucht wiederholt, die Leitung davon zu überzeugen, und wendet sich letztendlich als Whistleblower an die Aufsichtsbehörde TET (Tilsynet med Efterretningstjenester). Die Behörde gelangt, ungewiss wie, auch in Besitz des Berichts der Operation „Dunhammer“.

Zu welchem Ergebnis kommt die Aufsichtsbehörde?

TET schreibt am 24. August 2020 in einer Pressemitteilung, es bestehe das Risiko, dass über Überwachungskapazitäten von FE illegale Daten von dänischen Bürgerinnen und Bürgern abgeschöpft worden sind. Die Behörde meint auch, ihr sind „zentrale und entscheidende Informationen“ (gemeint ist der „Dunhammer“-Bericht) vorenthalten und „unrichtige Informationen“ weitergegeben worden.

Wie reagiert die zuständige Ministerin?

FE fällt in das Ressort von Verteidigungsministerin Trine Bramsen (Soz.). Sie segnet zunächst ab, dass die TET-Pressemitteilung versendet wird. Obwohl weder die Datenleitungszusammenarbeit noch die NSA erwähnt wird, soll es nur wenige Tage dauern, bevor Medien über den Zusammenhang berichten können.

Bramsen befreit FE-Chef Lars Findsen und vier weitere leitende FE-Mitarbeitende vom Dienst. Sie beauftragt eine Kommission, die Vorwürfe von TET genauer zu untersuchen. Der ehemalige langjährige Departementschef des Justizministeriums, Michael Lunn, soll das später gegenüber „Politiken“ als die ersten Schritte in einer „Kette von falschen Entscheidungen“ bezeichnen.

Was sind die Schlussfolgerungen der Untersuchungskommission?

Sie kommt am 13. Dezember 2021 zu dem Ergebnis, die Vorwürfe der TET-Behörde seien gegenstandslos. Findsen und der FE hätten innerhalb des gesetzlichen Rahmens agiert.

In der Zwischenzeit sind jedoch weitere Informationen über die Zusammenarbeit mit der NSA an die Öffentlichkeit gedrungen.

Wie reagieren die Behörden darauf, dass Informationen an die Medien durchgestochen werden?

Der polizeiliche Nachrichtendienst PET leitet eine umfassende Überwachung von FE-Chef Findsen – der übrigens in Augustenburg (Augustenborg) aufgewachsen ist – ein, da er ihn in Verdacht hat, eine der Quellen der Medien zu sein. Seine Telefone werden abgehört, und auch sein Wohnhaus und sein Ferienhaus sind verwanzt.

Am 8. Dezember 2021, also fünf Tage bevor die Untersuchungskommission ihn von den ursprünglichen Beschuldigungen freispricht, wird Findsen von einer Aktionseinheit der Polizei am Kopenhagener Flughafen festgenommen und in Untersuchungshaft gesteckt. Ihm wird vorgeworfen, einen ausgesprochen selten genutzten Paragrafen über den Verrat von Staatsgeheimnissen übertreten zu haben. Erst diese ernsten Vorwürfe haben es PET ermöglicht, ihn so umfassend zu überwachen. Erst am 17. Februar wird er wieder freigelassen.

Am 20. Dezember wird auch der ehemalige Verteidigungsminister Claus Hjort Frederiksen bezichtigt, denselben Paragrafen übertreten zu haben. In seinem Fall geht es um öffentliche Medienauftritte, bei denen er bestätigte, er habe von der Datenleitungszusammenarbeit gewusst und er gehe davon aus, dass dies auch für Trine Bramsen gelte.

Was ist die Rolle der Regierung bei den Vorwürfen gegen Findsen und Hjorth?

Die Entscheidung, eine Beschuldigung zu erheben, liegt beim Justizminister, das war zu dem Zeitpunkt Nick Hækkerup (Soz.). Dasselbe gilt für den späteren Beschluss, die Verfahren einzuleiten. Politische Beobachterinnen und Beobachter gehen davon aus, dass solche Entscheidungen nur unter Einbeziehung von Staatsministerin Mette Frederiksen (Soz.) getroffen werden können.

Warum will die Anklagebehörde die Prozesse jetzt doch nicht führen?

Am 12. Oktober entschied das Oberste Gericht, dass sämtliche Akten den Angeklagten ausgeliefert werden müssen und man keine Forderungen stellen kann, wie sie diese aufbewahren sollen. Am 27. Oktober entscheidet es dann auch, dass die Verfahren teilweise vor offenen Türen stattfinden sollen. Bei sensiblen Informationen könnten sie jedoch geschlossen werden.

Die beiden Beschlüsse führen dazu, dass FE mitteilt, man könne sensible Informationen nicht für das Verfahren zur Verfügung stellen. Die Anklagebehörde lässt das Verfahren fallen.

PET, der Reichsanwalt und Justizminister Peter Hummelgaard fordern daraufhin Gesetzesänderungen, da sie eine Gesetzeslücke ausgemacht haben wollen. Mehrere Juraexpertinnen und -experten widersprechen ihnen.

Mehr lesen

Kulturkommentar

Claudia Knauer
Claudia Knauer
„Verbindlich – Unverbindlich“