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Analyse: Votum kann Folgen für Prozess gegen Spionagechef haben

Analyse: Votum kann Folgen für Prozess gegen Spionagechef haben

„Votum kann Folgen für Prozess gegen Spionagechef haben“

Kopenhagen
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Der ehemalige Chef des Nachrichtendienstes FE, Lars Findsen, ist angeklagt, sensible Informationen der Presse und an Familienmitglieder verraten zu haben. Eine Entscheidung des Obersten Gerichts kann bedeuten, dass das Verfahren bei offenen Türen durchgeführt werden muss. Foto: Brian Karmark/Ritzau Scanpix

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Das Oberste Gericht entschied am Dienstag, dass der Prozess gegen einen ehemaligen Geheimdienstler bei offenen Türen stattfinden soll. Das kann auch Folgen für die anstehenden Verfahren gegen Ex-Spionagechef Lars Findsen und Ex-Verteidigungsminister Claus Hjort Frederiksen haben, so die Einschätzung von Walter Turnowsky.

Das Votum des Obersten Gerichts am Dienstag war eindeutig: Offenheit geht beim Prozessrecht gegenüber generellen Sicherheitsbedenken vor.

Es geht um den Fall eines 63-jährigen ehemaligen Mitarbeiters des polizeilichen Nachrichtendienstes PET. Ihm wird vorgeworfen, der Presse vertrauliches Material geliefert zu haben. Die Staatsanwaltschaft wollte das Verfahren hinter verschlossenen Türen führen, weil sie befürchtet, ein offenes Verfahren könne die Arbeit des Nachrichtendienstes beschädigen. Die Verteidigung des Mannes legte dagegen Einspruch ein.

Gericht fordert konkrete Begründungen

Das Gericht für Kopenhagen entschied zunächst zugunsten der Staatsanwaltschaft; das Landesgericht und jetzt das Oberste Gericht kamen zu einem gegenteiligen Ergebnis.

Interessant ist dabei die Begründung des Obersten Gerichts. Die Sicherheitsbedenken der Staatsanwaltschaft hätten einen zu allgemeinen Charakter, um vom Prinzip der Offenheit bei Gerichtsverfahren abzusehen.

Vier der fünf Richterinnen und Richter forderten, die Staatsanwaltschaft müsse benennen, welche Arbeitsmethoden oder Schwächen des Nachrichtendienstes entlarvt werden könnten, welche Personen gefährdet würden, und welche Schäden ein offenes Verfahren beim Verhältnis zu fremden Mächten auslösen kann.

Verfahren infrage gestellt

Doch stellt das Gericht auch klar, dass es Informationen geben kann, die nicht an die Öffentlichkeit dringen sollen. Damit ist auch klar, dass zumindest Teile eines möglichen Verfahrens unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden können. Wir dürfen sogar davon ausgehen, dass nicht sämtliche Informationen öffentlich präsentiert werden.

Das „möglichen“ in dem obigen Absatz ist mit Bedacht gewählt. Die Staatsanwaltschaft hat nämlich argumentiert, es bestehe das Risiko, dass sie das Verfahren aufgeben muss, wenn es bei offenen Türen stattfindet. Nach dem Urteil hat sie nur kurz und knapp mitgeteilt, sie werde überlegen, welche Bedeutung es habe.

Mögliche Bedeutung für Findsen und Hjorth

Und hiermit wären wir bei einem der Punkte angekommen, weshalb die Entscheidungen des Gerichts auch für die Verfahren gegen den ehemaligen Chef des militärischen Geheimdienstes, Lars Findsen, und des ehemaligen Verteidigungsministers Claus Hjorth Frederiksen (Venstre) Bedeutung haben kann. Hier argumentiert das Justizministerium (das in den Fällen die Rolle des Anklägers hat) nämlich ähnlich. Lässt die Staatsanwaltschaft das Verfahren gegen den PET-Mann fallen, kann es schwierig werden, die beiden anderen Verfahren zu begründen.

Hierbei müssen wir jedoch berücksichtigen, dass es zwar Parallelen zwischen den Fällen gibt, aber eben auch Unterschiede. Der 63-Jährige wurde gleichzeitig mit Findsen im Dezember 2021 verhaftet. In allen drei Fällen lautet der Vorwurf Hochverrat durch die Weitergabe von sensiblen Informationen – unter anderem an Journalistinnen und Journalisten.

Unterschiedliche Informationen

Die genauen Vorwürfe gegen den 63-Jährigen kennen wir nicht, doch ist laut Medienberichten recht klar, worum es geht: den Fall Ahmed Samsam. Er hat zu „DR gesagt“, der Nachrichtendienstler sei seine Kontaktperson zu PET gewesen, als Samsam den Islamischen Staat infiltriert hat. Er ist seither von einem spanischen Gericht wegen Terrorismus verurteilt worden.

Bei den Vorwürfen gegen Findsen und Hjorth Frederiksen geht es um die Zusammenarbeit mit dem US-Geheimdienst NSA zur Überwachung von Datenleitung. Das bedeutet, dass das Justizministerium, und damit letztlich Justizminister Peter Hummelgaard (Soz.), andere Argumente für verschlossene Türen vorbringen könnte, als die Staatsanwaltschaft es in dem aktuellen Fall getan hat.

Anwalt optimistisch

Wie die Begründung des obersten Gerichts zeigt, muss das Ministerium jedoch gegenüber dem Gericht sehr konkret nachweisen können, dass das Verhältnis zu den USA beschädigt würde oder wichtige Details über die Datenzusammenarbeit bekannt würden. Hjort Frederiksens Anwalt, René Offersen, ist zumindest überzeugt, die Entscheidung werde auch für den Fall Bedeutung haben.

Szenarien

Damit zeichnen sich jetzt mindestens vier unterschiedliche Szenarien ab:

1. Alle drei Verfahren werden fallen gelassen.

2. Die Staatsanwaltschaft lässt das Verfahren gegen den 63-Jährigen fallen; das Ministerium erreicht jedoch eine Türschließung in den Fällen Findsen und Hjorth Frederiksen.

3. Die Prozesse werden trotz offener Türen durchgezogen.

4. Der Fall gegen den 63-Jährigen wird fallen gelassen. Die beiden hoch profilierten Fälle jedoch trotz offener Türen durchgeführt.

Wir werden ein wenig schlauer werden, wenn die Staatsanwaltschaft entschieden hat, wie sie auf die Entscheidung des Obersten Gerichtes reagieren wird.

Der Prozess gegen Findsen soll nach Plan im Oktober, der gegen Hjort Frederiksen im November beginnen. Doch die Pläne können – wie beschrieben – umgeworfen werden.

Ergänzung am 30. Juni 8.20 Uhr: Das Gericht in Lyngby will im Juli entscheiden, ob der Prozess gegen Lars Findsen hinter offenen oder geschlossenen Türen stattfinden soll. Das Votum des Obersten Gerichts bedeutet, dass die Entscheidung verschoben werden musste.

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