Umschwung

Kopenhagen: Vom Pleitegeier zur Boomtown

Kopenhagen: Vom Pleitegeier zur Boomtown

Kopenhagen: Vom Pleitegeier zur Boomtown

Kopenhagen
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Die Ørestad: Aus Jens Kramer Mikkelsens Sicht der wichtigste Baustein für den Umschwung Kopenhagens Foto: Lars Laursen/Biofoto/Ritzau Scanpix

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Als Jens Kramer Mikkelsen 1989 Oberbürgermeister der Hauptstadt wurde, stand sie am Rande des Konkurses. Als er den Posten 16 Jahre später verließ, boomte die Stadt – und tut es bis heute. Am Donnerstag ist eine Biografie über ihn erschienen.

Heute drehen sich an vielen Ecken Kopenhagens die Baukräne. Ganz neue Viertel sind aus der Erde gesprießt. Dabei kann leicht in Vergessenheit geraten, dass es einmal ganz anders war: In den 80ern war die Stadt arm und verwahrlost.

Heute sind die hohen Wohnungspreise eines der zentralen Themen des kommunalen Wahlkampfs. Damals packte, wer ein wenig Geld auf der hohen Kante hatte, dies schleunigst ein und verließ die Stadt.

Heute ist die Kommune beim kommunalen Ausgleich Nettozahler. Damals steuerte sie auf die Pleite zu. Die Arbeitslosigkeit war deutlich höher als im Rest des Landes.

Ohne Plan

Das war die Situation, als der Sozialdemokrat Jens Kramer Mikkelsen 1989 den Posten als Oberbürgermeister übernahm. Das am Donnerstag erschienene Buch „Jeg er københavner. Kramer og byens kraner“ des Journalisten Niels Frid-Nielsen berichtet über sein Leben, aber vor allem auch über den Wandel der Hauptstadt, wie er ihn sieht.

Der volle Umfang der finanziellen Probleme der Stadt wurde Kramer erst klar, nachdem er im Alter von 37 Jahren den Posten von seinem Vorgänger Egon Weidekamp (Soz.) übernommen hatte.

„Ich würde gerne sagen können, ich hätte einen goldenen Plan gehabt, um die Entwicklung umzukehren. Das würde in einem Buch wie diesem gut aussehen. Aber so war es leider nicht“, zitiert der Autor ihn.

Kopenhagen auf sich gestellt

Vom Staat war keine Hilfe zu erwarten, da der Rest des Landes sich gesträubt hätte, wenn mehr Geld in Kopenhagen hineingebuttert worden wäre. Also blieb nur der steinige Weg. Die Kommune musste kürzen, Personal entlassen und gleichzeitig die Steuern erhöhen. Die kommunalen Wohnungen wurden verkauft. Für eingefleischte Sozialdemokraten waren das keine Wunschträume.

Kürzungen allein konnten das Ruder jedoch nicht herumreißen, es musste auch eine Entwicklung, eine Perspektive her. Der einzige Kran in der Stadt sei der, von dem aus Wagemutige Bungeejumping machten, berichtet Kramer.

An der Kalvebod Brygge entstanden ein Hotel und Bürobauten. Foto: Walter Turnowsky

Der erste Schritt

So entstand der Gedanke, entlang des Hafens attraktive Grundstücke zu verkaufen. Der Blick fiel auf Kalvebod Brygge südöstlich von Christiansborg, denn das Gelände war kommunales Eigentum.

Das Hotel und die Bürobauten, die hier entstanden, sind unter Architekten und auch in der breiten Öffentlichkeit auf viel Kritik gestoßen. Zu fantasielos und abweisend seien die Gebäude. Kramer sieht das etwas anders.

Die Glaspaläste an der Kalvebod Brygge stoßen unter Architekten auf wenig Liebe. Foto: Walter Turnowsky

„Sie sind das Symbol des Turnarounds Kopenhagens“, so Kramer im Buch.

Ihm ist die Kritik durchaus bewusst, doch sei es damals vorrangig darum gegangen, Arbeitsplätze und Entwicklung zu schaffen.

 „Es ist und bleibt geschichtslos, Bauten, die während der größten Krise Kopenhagens gebaut wurden, mit Bauten zu vergleichen, die während der Hochkonjunktur vor und nach der Finanzkrise errichtet wurden,“ so der Ex-OB.

Kramer an der häufig gescholtenen Kalvebod Brygge Foto: Søren Bidstrup / Ritzau Scanpix

Metro und Ørestad

Die Kalvebod Brygge war jedoch nur der relativ bescheidene erste Schritt. Der aus Kramers Sicht wichtigste Wendepunkt war ein Entschluss über ein bisher unbebautes, etwas vergessenes Gebiet auf Amager, das dem Staat und der Kommune gemeinsam gehörte. Ein staatlicher Ausschuss schlug vor, eine gemeinsame Gesellschaft zu gründen, um dort einen neuen Stadtteil zu schaffen.

Die Ørestad und die Metro sind zwei Seiten derselben Sache.

Jens Kramer Mikkelsen (Soz.), ehemaliger Oberbürgermeister Kopenhagens

Diese wurde nicht zuletzt wegen der geplanten Öresundquerung aktuell, denn sie konnte eine Entwicklung fördern. Doch dazu musste auf der Kopenhagener Seite etwas entstehen, sollte die Kommune nicht lediglich eine Transitstrecke werden.

Amager fehlte eine vernünftige Verkehrsverbindung, der Kommune jedoch auch das Geld, sie zu bauen. Und so entstand die Idee, die beiden Projekte zu kombinieren. Der Verkauf der Grundstücke in der Ørestad finanzierte die Metro nach Vestamager und zum Flughafen. Aus Kramers Sicht ein Ei des Kolumbus.

„Die Ørestad und die Metro sind zwei Seiten derselben Sache. Die Ørestad war von der Metro abhängig, und es gab keinen besseren Anlass, die Metro zu bauen als ein neuer Stadtteil auf dem westlichen Amager.“

Kultur als Motor

Das Modell „Baugrundstücke finanzieren Metro“ wurde und wird auch beim weiteren Ausbau des öffentlichen Verkehrs und der Stadt genutzt. Es ist auch außerhalb der Grenzen Dänemarks mit Interesse verfolgt worden.

Ich muss leider gestehen, dass, was hinter den Mauern der Kulturinstitutionen passierte, mich weniger interessierte.

Jens Kramer Mikkelsen (Soz.), ehemaliger Oberbürgermeister Kopenhagens

Kramer war jedoch bewusst, dass Stahl und Beton allein Kopenhagen nicht zu einer attraktiveren Stadt machen würden. Die Stadt und ihre Bewohner brauchten neues Selbstvertrauen, und hierfür entdeckte Kramer die Kultur als einen Motor.

Für ihn spielt dabei eine zentrale Rolle, dass Kopenhagen 1996 europäische Kulturhauptstadt wurde. Der Beschluss, sich dafür zu bewerben, war zu einem Zeitpunkt, als die Kasse der Kommune noch leer war, nicht unumstritten.

„Bei meinem Engagement für die Kulturhauptstadt ging es mir vor allem darum, spektakuläre Projekte von ambitiösen Architekten zu schaffen. Ich muss leider gestehen, dass, was hinter den Mauern der Kulturinstitutionen passierte, mich weniger interessierte.“

Die Stadt wird attraktiver

So entstanden dann der Schwarze Diamant und der Zubau des Staatlichen Kunstmuseums. Seither kamen das neue Schauspielhaus und, als Donation des Reeders A. P. Møller, die Oper dazu. Drei der vier Bauten liegen am ehemaligen Hafen.

Die Kulturinstitutionen trugen dazu bei, Familien der Mittelklasse nach Kopenhagen zu ziehen, beziehungsweise sie nach beendeter Ausbildung und Familiengründung dort zu halten.

Auch die Entwicklung von Freizeitmöglichkeiten im ehemals stark verschmutzten Industriehafen, wie zum Beispiel die Hafenbäder, haben Kopenhagen attraktiver gemacht. Gleiches gilt für das Strandbad auf Amager.

Der Nordhafen ist das derzeit größte Stadtentwicklungsgebiet Kopenhagens. Foto: Walter Turnowsky

Søren Pind als Konkurrent und Verbündeter 

Nach 16 Jahren trat Kramer als Oberbürgermeister zurück. Er betont, dass die Wende Kopenhagens bei Weitem nicht nur sein Werk ist, sondern dass viele Menschen dazu beigetragen haben. Dabei ist ihm zugutegekommen, dass er, im Gegensatz zu seinem Vorgänger Weidekamp, großes Verhandlungsgeschick und den Willen zu breiten Kompromissen besitzt.

Hätten wir nicht zusammengefunden, wäre die Stadt eine ganze andere.

Søren Pind (Venstre) über die Zusammenarbeit mit Jens Kramer Mikkelsen

Und so wurde einer seiner wichtigsten Verbündeten ausgerechnet sein erbittertster Konkurrent, nämlich der Venstre-Politiker Søren Pind, der versuchte, ihm den OB-Sessel abzujagen. In der Öffentlichkeit behakten die beiden sich oft und gerne, doch hinter den Kulissen gingen die beiden Kopenhagener Jungs etliche Absprachen ein.

„Ich freue mich und bin stolz auf all das, das wir gemeinsam angeschoben haben. Alle, die nach uns kamen, haben darauf aufgebaut. Hätten wir nicht zusammengefunden, wäre die Stadt eine ganze andere“, so Pind zu Autor Frid-Nielsen.

Linke Kritik

Per Bregnegaard von der linken Einheitsliste war damals Schulbürgermeister. Er meint, die beiden Herren würden ihre Rolle beim Umschwung überbewerten.

Seiner Ansicht nach hätte der allgemeine Konjunkturwandel Kopenhagen von sich aus wieder auf die Beine geholfen. Er kritisiert, Menschen mit niedrigen Einkommen seien bewusst durch Sanierungen aus der Stadt verdrängt worden.

„Die Wiederbelebung der Kommune wäre unter allen Umständen geschehen, auch wenn man nicht so viele Arme und Menschen rausgeschmissen hätte“, sagt er in dem Buch.

Auf dem Umschlag des Buchs ist Kramer selbstverständlich mit seinen geliebten Kränen abgebildet. Foto: Politikens Forlag

Als Kramer 2004 die Politik verließ, bedeutete dies nicht, dass er sich von den Kränen der Stadt verabschiedet. Er wurde Direktor der staatlich-kommunalen Gesellschaft „By og Havn“, die aus der „Ørestadsselskabet“ hervorgegangen ist und nun die Entwicklung der Grundstücke betreibt.

So hat der ehemalige OB auch in seiner neuen Funktion entscheidend zur zweiten Etappe der Metro, dem City-Ring, sowie dem Ausbau des größten neuen Stadtteiles im Nordhafen beigetragen.

Wer übrigens den Autor dieser Zeilen auf den „Spuren durch die Hauptstadt“ begleitet hat, konnte so einige der neuen Stadtteile auf diese Weise besuchen.

Frid-Nielsen erzählt, auch wenn eine Reihe andere Akteure zu Wort kommen, den Weg Kopenhagens aus der Schmuddelecke, aus der Perspektive von Jens Kramer Mikkelsen.

„Jeg er københavner. Kramer og byens kraner“ von Niels Frid-Nielsen ist am 28. Oktober bei Politikens Forlag erschienen.

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