Diese Woche in Kopenhagen

„Abseits der Schlagzeilen ist auf Christiansborg einiges in Arbeit“

Abseits der Schlagzeilen ist auf Christiansborg einiges in Arbeit

Abseits der Schlagzeilen

Kopenhagen
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Die Abschaffung des Buß- und Bettages und die Anklage wegen Hochverrats gegen Ex-Verteidigungsminister Claus Hjort Frederiksen haben in dieser Woche die Nachrichtenlage beherrscht. Die Folketingsabgeordneten haben sich jedoch mit einer ganzen Reihe anderer Themen befasst, die es nicht in die Überschriften geschafft haben. Walter Turnowsky verschafft ihnen wenigstens in seiner Kolumne ein Plätzchen an der Sonne.

Es ist doch so: Wer kleine, gemütliche und schöne Plätze entdecken will, darf nicht nur auf den Hauptstraßen fahren, sondern muss sie entlang gewundener Wege finden (wie auch mein Rad-begeisterter Kollege Gerrit Hencke zu berichten weiß). In der Politik ist es nicht so viel anders – interessante und vielleicht etwas überraschende Themen muss man häufig abseits der lauten politischen Hauptverkehrsader suchen.

Entlang der politischen Autobahn leuchteten auch in dieser Woche wieder – Neonlichtern gleich – die Debatten über die geplante Abschaffung des Buß- und Bettages. Auch die Tatsache, dass der ehemalige Verteidigungsminister Claus Hjort Frederiksen (Venstre) wegen Hochverrats vor Gericht gestellt wird, weil er das nicht sehr geheime Geheimnis von der Zusammenarbeit mit den USA über Datenleitungen ausgeplaudert haben soll, hat es mühelos in die Schlagzeilen geschafft.

Rüge aus der Regie

In unserem eigenen kleinen Qualitätsmedium waren es wieder einmal die Grenzkontrollen, die den obersten Teil unserer Seite dominierten. Solltest du das Thema schon ein wenig überhaben, kann ich dich gut verstehen. Doch ist es nun mal so: Wir werden so lange nachfragen, wie es offene Fragen zu dem Thema gibt. Bislang gibt es davon noch ein paar.

„So, nun ist aber allmählich genug eingeleitet, Walter“, flüstert mir die Regie soeben ins Ohr. „Komm endlich zum Thema!“  OK, ich habe also ein wenig auf den politischen Nebenstraßen herumgestöbert. Und siehe da: Hier versteckten sich Themen, die für deinen und meinen Alltag mindestens so bedeutsam sind, wie die Krawallmacher in den Schlagzeilen.

Raus mit Öl- und Gasöfen

Da wäre zum Beispiel „forslag til lov om etablering af statsgaranti på lån til udskiftning af olie- eller gasfyr med en anden opvarmningskilde i landdistriktsområder uden for fjernvarmenettet“, der am Dienstag im Folketing in der ersten Lesung war. Das könnte in Nordschleswig durchaus so einige Häuschenbesitzerinnen und -besitzer interessieren. Denn nicht nur wird Öl und Gas immer teurer, dem Klima tun sie auch nicht gut, und Putins Mörderbanden will man ja ebenfalls nicht unbedingt unterstützen. Da kann eine Staatsgarantie für die Anleihe schon ganz gelegen kommen.

Camping im schönsten Wintersturm

Ein anderes Thema betrifft weniger Menschen, ist aber noch bodenständiger als das vorherige. Die Möglichkeiten für Wintercamping sollen erweitert werden – vorläufig jedoch nur als Versuchsregelung für zwei Jahre. Die Kommunen sollen genehmigen dürfen, dass bis zu 5 Prozent eines Campingplatzes auch im Winter bewohnt werden dürfen. Hast du also schon immer davon geträumt, Herbststürme und Dauerregen im Wohnwagen zu erleben, dann solltest du beobachten, was sich hier tut.

Geld für pflanzliche Ernährung

Und so können wir – schon fast elegant – den Bogen zurück zum Klima schlagen. Dem tut es bekanntlich gut, wenn wir weniger Rindviecher und mehr Hülsenfrüchte verspeisen. Doch solch eine Umstellung der Landwirtschaft vom Vieh zu Pflanzen läuft nicht von selbst. Also haben die Parteien sich geeinigt, einen Topf für pflanzliche Ernährung zu schaffen – 675 Millionen Kronen ist er schwer. Der Antrag sauste in dieser Woche glatt durch die zweite und dritte Lesung, und am Mittwoch tritt das Gesetz in Kraft.

Regeln für die Ställe

Auch bei einem weiteren Gesetzesantrag ging es um die Landwirtschaft, das Vieh und das Klima. Der Umweltminister – Magnus Heunicke (Soz.) heißt er derzeit – soll ermächtigt werden, Regeln für Kuh- und Schweinställe zu erlassen, damit der Ausstoß des Klimagases Methan reduziert wird.

Abseits der medialen Autobahn wird auf der Burg ganz schön geschuftet.

Walter Turnowsky

„Wir müssen den Ausstoß der Klimagase so stark wie möglich, unter Rücksichtnahme auf eine wirtschaftlich nachhaltige Entwicklung des Gewerbes und der Wettbewerbsfähigkeit der dänischen Landwirtschaft, reduzieren“, sagte der Sprecher der liberalen Bauernpartei Venstre, Erling Bonnesen, bei der ersten Beratung. Seine Redenschreiberin oder sein Redenschreiber hätte ihm das zwar etwas mundgerechter aufschreiben können, aber wir verstehen, was er meint.

Gegen sexuelle Belästigung

Beim nächsten Gesetzesvorhaben, auf das ich gestoßen bin, geht es um eine Frage, die alle mit einem Job betrifft – oder zumindest betreffen sollte. Es geht darum, wie sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz verhindert werden kann. Eigentlich könnte ein solches Gesetz kurz und knapp formuliert werden: Mann (denn meistens ist es ein Mann) soll es einfach bleiben lassen.

Doch wie wir wissen, ist das leider nicht so einfach, denn eine Minderheit von Männern begreift das auch im Jahr 2023 noch nicht. Daher muss umfassendere Gesetzgebung her: deutlichere Verantwortlichkeit für die Arbeitgebenden, klarere Regeln, höhere Entschädigungen und besserer Schutz für Lehrlinge, Praktikantinnen und Praktikanten. Kann das Gesetzespaket dazu beitragen, dass übergriffigen Personen das Handwerk gelegt wird, werden alle anderen – Frauen wie Männer – angenehmere Arbeitsplätze bekommen.

Grooming

Ein noch ernsteres, jedoch verwandtes Problem will Justizminister Peter Hummelgaard mit einem Antrag angehen. Grooming soll kriminalisiert werden. Von Grooming (Anbahnung) spricht man, wenn eine erwachsene Person einen sexuellen Übergriff auf ein minderjähriges Opfer Schritt für Schritt vorbereitet. Verstärkt versuchen Täter, sich über das Netz bei den kommenden Opfern einzuschmeicheln und ihr Vertrauen zu gewinnen. Unterstützt das Folketing den Antrag, drohen ihnen bereits für diese Anbahnung bis zu zwei Jahre Gefängnis.

Verteidigungszusammenarbeit

Der letzte Vorschlag, den ich herausgesucht habe, ist weniger bürgernah. Es geht um Dänemarks Beitritt zur Europäischen Verteidigungsagentur zur Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit (PESCO). Wie der etwas sperrige Titel andeutet, geht es um die EU, und zwar um die Verteidigungszusammenarbeit. Der konnte Dänemark bekanntlich erst beitreten, nachdem eine große Mehrheit der Bevölkerung am 1. Juni vergangenen Jahres für eine Aufhebung des Verteidigungsvorbehalts gestimmt hatte.

Erst mit dem Beitritt zur Verteidigungsagentur und zu PESCO kann Dänemark sich auch an gemeinsamen EU-Rüstungsprojekten beteiligen. Die gemeinsamen Projekte reichen von der Entwicklung von Kampfhubschraubern über die Entwicklung von Militärtransporten über die Grenzen bis zum Aufbau von Cyber-Einsatzgruppen.

Die Beispiele waren nur ein Ausschnitt von den insgesamt 22 Punkten, die in dieser Woche im Plenarsaal beraten wurden. Hinzu kommen Anhörungen, parlamentarische Anfragen und nicht zuletzt die Ausschusssitzungen, in denen die eigentliche Arbeit stattfindet. Abseits der medialen Autobahn wird auf der Burg also ganz schön geschuftet.

Die Kolumne ist am 26.2. um 15.15 Uhr korrigiert worden. Magnus Heunicke war in der ursprünglichen Fassung fälschlicherweise zum Landwirtschaftsminister ernannt worden. 

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Cornelius von Tiedemann
Cornelius von Tiedemann Stellv. Chefredakteur
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