Diese Woche in Kopenhagen

„Eine politische Liebesgeschichte“

Eine politische Liebesgeschichte

Eine politische Liebesgeschichte

Kopenhagen
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Ein jetzt ehemaliger Abgeordneter der Radikalen liebt die SVM-Regierung so sehr, dass er deswegen die eigene Partei verlassen hat. Bei den Wählerinnen und Wählern ist es eher andersherum, meint Walter Turnowsky. Sie kehren drei Regierungsparteien den Rücken, weil sie die Konstellation so gar nicht lieben.

So allmählich läuft die politische Saison wieder an. Vorläufig haben wir es jedoch noch eher mit einigen lockeren Dehnübungen und Trainingsspielen zu tun.

Den Anfang machte ein Parteispringer, ein gewisser Christian Friis Bach. Der war bis Sonntag Abgeordneter von Radikale Venstre. Doch jetzt hat er das „Radikale“ fallen lassen und vertritt stattdessen Venstre.

Freude bei Venstre

Damit hat die Regierung wieder ihre eigene Mehrheit zurück, und darüber freut sie sich natürlich. Und noch mal mehr freut sich Venstre-Parteichef Troels Lund Poulsen – und das sollten wir ihm gönnen, denn so richtig was zum Freuen hatten sie bei Venstre seit Jahren nicht mehr.

Die Europawahl ist zwar weniger schlecht ausgefallen als erwartet. Die Tatsache, dass das als Erfolg gefeiert wurde, besagt schon einiges über den Zustand der Partei. Dass jedoch mal einer zur Tür hereinspaziert als immer nur heraus, ist natürlich eine schöne Sache. 

Doch ein einzelner Parteibeitritt macht noch keine Gezeitenwende für die traditionsreiche rechtsliberale Partei. Erst gibt es im nächsten Jahr noch eine Kommunalwahl etwas weniger hoch als befürchtet zu verlieren.

Kühler Abschied

Bei der Partei, die Friis Bach abgibt, wird naturgemäß ob des verlorenen Mandates nicht gerade gefeiert. Aber regelrechte Heulkrämpfe hört man aus deren Fraktionsräumen nun auch nicht. Sei man mit Venstre einiger als mit den Radikalen, gehöre man auch dorthin, so Parteichef Martin Lidegaard. 

Der Grund für den kühlen Abschied ist, dass es schon seit längerem Knatsch zwischen Friis Bach und der übrigen Fraktion gibt. Und zwar gibt es den seit dem Moment, als die Radikalen kurz vor Toresschluss dem Regierungsprojekt über die Mitte hinweg eine Absage erteilten. Der jetzt abtrünnige Abgeordnete hätte in der Regierung zu gern mitgemacht, das kann er jetzt – jedoch nicht mit der Politik der Radikalen, sondern der von Venstre.

Die veräppelte Wählerschaft

Und somit sind wir bei jenen angekommen, die sich so gar nicht freuen können: Den Wählerinnen und Wählern, die den Radikalen ihre Stimme gegeben haben, in der Erwartung, dass die Abgeordneten dann auch Radikale führen werden. Die dürften sich jetzt ziemlich verar…, äh, veräppelt vorkommen.

Insbesondere weil nur eine geringfügige Anzahl von ihnen, nämlich 1.489, Christian Friis Bach persönlich die Stimme gegeben haben. Und trotz der gemeinsamen liberalen Wurzeln gibt es nun einmal erhebliche politische Unterschiede zwischen den beiden Parteien.

Die Hauptperson selbst sagt, sie würde sich weiterhin für dieselben politischen Ziele wie eh und je einsetzen. Gleichzeitig versichert Friis Bach, er stehe uneingeschränkt hinter Venstres Politik. Eine Politik, die er – in Klammern bemerkt –, bis vor Kurzem noch kritisiert hat. Ein Prachtexemplar der Spezies Homo politicus saliris also, was ich an dieser Stelle bereits zuvor beschrieben habe.

Die Regierung leidet unter Liebesentzug

Während Christian Friis Bach die breite Regierung über die Mitte hinweg so sehr liebt, dass er dafür sogar seine bisherige Politik opfert, sieht das mit der Liebe bei der wählenden Bevölkerung etwas anders aus.

Um zu versuchen, das zu ändern, sitzen die Parteispitzen der Sozialdemokratie, von Venstre und den Moderaten in diesen Tagen beisammen – hinter dicht verriegelten Türen. Doch Riegel hin oder her ist absehbar, mit welchen Themen das Dreiergespann das Wahlvolk zurückgewinnen will.

Da wäre eine Gesundheitsreform sowie eine Ausbildungsreform, die Jugendlichen, deren Stärken nicht in den theoretischen Fächern liegen, größere Chancen eröffnen soll. Und da ist ja noch die grüne Landwirtschaftsabsprache, auf die man sich zwar geeinigt hat, aber noch nicht vom Folketing beraten worden ist.

Mögliche Regierungsumbildung

Auch werden sie besprechen, wen Dänemark als Kommissarin oder Kommissar zur EU schicken wird. Es steht so gut wie fest, dass es jemand aus der Sozialdemokratie wird. Der Name Dan Jørgensen fällt hier häufig. Er ist Minister für Entwicklungspolitik und globale Klimapolitik.

Nun lässt sich mit einem Kommissarsposten im fernen Brüssel innenpolitisch kein Blumentopf gewinnen. Doch ermöglicht so eine Ernennung eine Regierungsumbildung; bei Weitem nicht alle Ministerinnen und Minister haben auf ihren Posten überzeugt. Es ist jedoch noch vollkommen offen, ob die drei Parteien sich auf eine größere Rochade einigen können oder ob sie es bei einer Minimalvariante belassen. 

Natürlich ist auch denkbar, dass das Triumvirat hinter den verschlossenen Türen noch irgendein Kaninchen aus dem Hut zaubert. Es muss jedoch schon eher ein ziemlich wohlgenährter Feldhase sein, wollen die drei das anhaltende Umfragetief in ein sonniges Hoch verwandeln.

Eines wage ich jedoch mit großer Sicherheit zu prognostizieren: Dem Kopenhagen-Korrespondenten des „Nordschleswigers“ werden die Themen nicht so schnell ausgehen.

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