Leitartikel

„Das Krümelmonster-Experiment“

Das Krümelmonster-Experiment

Das Krümelmonster-Experiment

Kopenhagen
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Wenn eine Person Macht bekommt, ändert sie oder er die Persönlichkeit, und zwar augenblicklich. Ein guter Grund, Menschen mit Macht enge Zügel anzulegen, meint Walter Turnowsky.

Es gibt einen interessanten Versuch dazu, was passiert, wenn Menschen Macht bekommen.

In einer Gruppe wird eine zufällige Person zur Leiterin oder zum Leiter ernannt und soll eine Beurteilung der übrigen Mitglieder abgeben. Während die Gruppe arbeitet, wird diskret ein Teller auf den Tisch gestellt, auf dem genau ein Keks mehr liegt, als Gruppenmitglieder anwesend sind. Und wer ist nun meistens das Krümelmonster, das sich den überschüssigen Keks schnappt? Du hast es vermutlich schon erraten.

Es ist nur eine der Untersuchungen, die zeigen, dass Menschen, die Macht bekommen, an sich selbst denken, sich eher als andere über allgemeine Spielregeln und Moral erhaben fühlen.

Professor Dacher Keltner von der Berkeley Universität wird zu den führenden Forschern zur Sozialpsychologie der Macht gerechnet. Das Medium „Zetland“ berichtet, dass er auch in zwei weiteren Punkten wenig sympathische Veränderungen bei Personen mit Macht festgestellt hat.

Zum einen werden sie weniger empathisch. Die Fähigkeit, den Gesichtsausdruck anderer abzulesen und Gefühle zu erkennen, wird geringer.

Zum anderen werden sie auch unhöflicher, hören nicht zu, wenn andere reden und unterbrechen häufig.

Natürlich gibt es auch Ausnahmen. Namen wie Vaclav Havel, Nelson Mandela und Martin Luther King fallen einem ein. Doch bei den meisten von uns besteht ein hohes Risiko, dass wir zu Machtmissbrauch neigen.

Gute Leiterinnen und Leiter sind darauf aufmerksam, wie das Erlangen von Macht sie verändert. Sie versuchen, bescheiden zu sein, sich auf andere als sich selbst zu konzentrieren, zeigen Respekt und helfen Menschen, die sich machtlos fühlen.

Doch wie etwa die Stichworte Asylpaare, MeToo und Minks belegen, können wir uns als Gesellschaft darauf nicht verlassen.

Wir brauchen Kontrollmechanismen, die so effizient sind, dass Machtmissbrauch zum riskanten Unterfangen wird. Zu diesen Kontrollmechanismen zählen für den politischen Bereich das parlamentarische System, die Ombudsmann-Institution, Klageinstanzen, die Gerichte und die Medien.

Vor allem bedarf es jedoch einer kritischen Öffentlichkeit, die immer bereit ist, die Verwaltung von Macht zu hinterfragen.

Beim ersten Mal kann man dem Krümelmonster ja freundlich sagen, dass jemand anders den Energiezuschuss vielleicht nötiger braucht. Beim zweiten Mal sollte man ihm auf die Tatzen hauen. Macht es trotzdem weiter, muss man ihm irgendwann erzählen, dass es nun nicht mehr das Krümelmonster ist.

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