Leitartikel

„Das letzte Wort haben die Wählerinnen und Wähler“

Das letzte Wort haben die Wählerinnen und Wähler

Das letzte Wort haben die Wählerinnen und Wähler

Apenrade/Aabenraa
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Die Aussagen Staatsministerin Mette Frederiksen über neue Chancen zur Bildung einer Regierung über die Grenzen der seit Jahren starren politischen Blöcke hinweg deuten auf das Anlaufen des Vorwahlkampfes hin, meint „Nordschleswiger“-Redakteur Volker Heesch. Doch taktische Spielchen sind nicht allein ausschlaggebend für künftige Regierungsbildungen.

Nach dem Beginn der parlamentarischen Sommerpause in Dänemark hat nicht nur das Erreichen des dritten Jahrestags der jüngsten Folketingswahl am Grundgesetztag in Erinnerung gerufen, dass die aktuelle Legislaturperiode des Folketings nun weniger als ein Jahr währt.

Die sozialdemokratische Staatsministerin Mette Frederiksen hat den Stichtag 5. Juni geschickt dazu genutzt, um künftige Regierungskoalitionen auszuloten. Die Regierungschefin, die Neuwahlen ansetzen kann, wenn sie und ihr rein sozialdemokratisches Kabinett einen aus eigener Sicht günstigen Moment für einen Urnengang ins Auge fassen, hat in einem Interview erklärt, dass sie sich anstelle des bisher nur aus eigenen Parteigenossinnen und -genossen bestehenden Kabinetts eine „Sammlungsregierung“ über die Mitte hinweg vorstellen könne.

Die Staatsministerin, der seit ihren zunächst mit Anerkennung und Beifall quittierten Auftritten als Krisenmanagerin nach dem Beginn der Corona-Krise vermehrt vorgeworfen wurde, selbstherrlich und arrogant zu regieren, obwohl sie ja nur einer Minderheitsregierung vorsteht, lockt mit ihren Äußerungen die bürgerlichen Oppositionsparteien ebenso wie ihre linken Unterstützerparteien aus der Reserve.

Frederiksen tritt mit ihrer Idee einer breiten Regierung den blauen Parteispitzen auf die Füße, denn sie fordert diese zur Übernahme von Verantwortung für möglicherweise bald erforderliche Krisenabwehrentscheidungen auf. Niemand weiß schließlich, welche Konsequenzen die bisher schon schlimme Kriegssituation nach dem russischen Überfall auf die Ukraine noch nach sich ziehen wird. Teuerung, steigende Rüstungsetats und Unsicherheit, wie sich die Wirtschaft in den kommenden Monaten und Jahren weiterentwickeln wird, setzen Fragezeichen hinter die Planungen der dänischen Politik zur Sicherung des Wohlfahrtsstaates, des Ausbaus der Infrastruktur und auch der Energiewende.

Die blauen Spitzenleute haben die Idee Frederiksens sofort zurückgewiesen, hoffen sie doch auf eine Chance, angesichts mehrerer Probleme der Regierung, wie wahrscheinlich unangenehme Schlüsse der Kommission zur Massentötung der dänischen Zuchtnerze, die Sozialdemokraten bei den Folketingswahlen überflügeln zu können. Verstimmt reagieren auch die linken Unterstützer der  Minderheitsregierung, die mehrfach von Frederiksen über den Tisch gezogen und gedemütigt worden sind. Schließlich hat die Regierung laufend Vorhaben mit Unterstützung auch des rechten politischen Lagers durchgezogen. Ganz zu schweigen vom Festhalten an „rechter“ Politik in Sachen Ausländer oder Grenzkontrollen.

Die Chefin der Sozialistischen Volkspartei (SF), Pia Olsen Dyhr stellte umgehend fest, eine breite Regierung sei bereits von Venstre-Chef Jakob Ellemann-Jensen vom Tisch gefegt worden. Mai Villadsen von der Einheitsliste meinte, es laufe ihr kalt den Rücken runter, wenn sie sich eine Realisierung der jüngsten Frederiksen-Überlegungen vorstellt.

Mit ihrem Vorschlag folgt die Chefin der Sozialdemokraten auch Forderungen der Radikalen Venstre, die schon länger darauf drängt, trotz der bewährten dänischen Tradition, mit Minderheitsregierungen das Land zu lenken, eine Regierung auf breiterer Basis zu bilden. Natürlich auch, weil Radikalen-Chefin Sofie Carsten Nielsen wie in früheren Jahrzehnten am Kabinettstisch mitmischen möchte.

In Erinnerung rufen dürfen sich die Wählerinnen und Wähler jedoch auch die lange Periode, als die rechte Dänische Volkspartei (DF) Regierungen unter Venstre-Leitung mit populistischem Klamauk in der Manege herumführte. Ex-Venstre-Staatsminister Lars Løkke  Rasmussen hat diese Konstellation zur Genüge mitgestaltet, weshalb es sehr interessant wirkt, dass gerade dieser mit seiner neuen Partei, „Moderaterne“, als Brückenbauer zwischen den politischen Blöcken vor die Wählerschaft treten will.

Zum Glück haben die Wählerinnen und Wähler an der Wahlurne irgendwann in den kommenden Monaten das letzte Wort. Sie haben die Aufgabe, den politischen Kurs Dänemarks zu bestimmen, und nicht die Politspitzen mit ihren Beraterinnen und Beratern mit Einblick in taktische Spielchen.      

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