Leitartikel

„...und Løkke hat doch Recht“

...und Løkke hat doch Recht

...und Løkke hat doch Recht

Siegfried Matlok
Siegfried Matlok Senior-Korrespondent
Apenrade/Aabenraa
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Siegfried Matlok, ehemaliger Chefredakteur des „Nordschleswigers“, glaubt, dass Lars Løkke Rasmussen sich gut überlegen muss, ob er das Experiment, eine neue Partei zu gründen, wagen will.

Reden ist Silber – Schweigen ist Gold. Das weiß Lars Løkke Rasmussen nur zu gut. Zwar wird er sein am Montag neu erscheinendes Buch gewiss versilbern können, aber eine goldene Nase hat er politisch damit nicht verdient. Ein Orkan fegte am Wochenende über das politische Dänemark und mitten drin der sturmerprobte Løkke, der mit seiner Kritik an der jetzigen Venstre-Führung um Jakob Ellemann-Jensen jedoch den Bogen selbst für viele seiner langjährigen Anhänger und Weggefährten überspannt hat. Zur Wahrheit, zur medialen Dramaturgie gehört aber auch der Zufall.

Als Løkke sein Buch im schwedischen Sommerhaus abgeschlossen hatte, wusste er nicht, dass just Tage vor der Veröffentlichung die Venstre-Fraktion auf ihrer Sommersitzung in Sonderburg mit dem bisherigen Kurs des alten Vorsitzenden gebrochen hatte. Übrigens gleich in zweifacher Hinsicht:  Ellemann-Jensen hat nicht nur die Radikalen als Bündnispartner abgeschrieben, sondern auch eine zweite Idee von Løkke aus dem jüngsten Wahlkampf, nämlich die Regionen durch eine zentralisierte Gesundheitsreform abzuschaffen, ebenfalls vom Tisch gefegt; letzteres vor allem sehr zur Zufriedenheit der jütischen Venstre.

Zentraler Streitpunkt zwischen Ellemann und Løkke ist aber die Kursbestimmung Richtung Radikale Venstre. Diese Løkke-Linie, die Venstre viele Mandate brachte, hat Ellemann-Jensen auch noch nach der Wahl vertreten, aber nun hat er die Forderung im blauen Block erfüllt, sich als Oppositionsführer allein zur bürgerlichen Seite zu bekennen – und sich schwächelnd  gleichzeitig aus der Schusslinie genommen. 

Løkke wünscht hingegen, dass sich Venstre als liberale Kraft in der jetzigen parlamentarischen  Situation einen eigenen Spielraum sichert – einflussreich über die Mitte hinweg. Dass sein Angebot, eventuell sogar eine Regierung mit den Sozialdemokraten zu bilden, von Mette Frederiksen eiskalt abgewiesen wurde, ändert nichts an seiner Strategie. Sie beinhaltet nicht nur eine klar liberal-alternative Wirtschaftspolitik auch während Corona, die Partei soll sich gleichzeitig in der Ausländerpolitik nicht von extremen Positionen wie von „Ny Borgerlige“ abhängig machen.

Wenn man sieht und hört, wie sich Staatsministerin Mette Frederiksen, die zurzeit auf Wolke sieben schwebt, in der Ausländerpolitik zu Wort meldet, dann wäre ein Lars Løkke bei gleicher Wortwahl nicht nur von linken Meinungsmachern sofort „in die Hölle verbannt worden“. Hier droht – wie Løkke sehr wohl befürchtet – ein Überbietungswettbewerb des schlechten Geschmacks, den er nicht mitmachen will.  Dass nun sein Nachfolger, der bisher eher von der harten Støjbjerg-Linie abwich, die Radikale Venstre ganz ausschließt, jedoch gleichzeitig Pernille Vermund ins Boot holen will, ist eine Kehrtwendung, die auch im eigenen Venstre-Lager nicht unumstritten ist – ob man Løkke mit seinen Stärken und zahlreichen Schwächen mag oder nicht.

Løkke hat seine Karten überreizt. Der 56-Jährige ist ein politisches Kampfschwein, steckt nun aber in einer politischen, ja ­ – noch schlimmer – auch in einer menschlich-mentalen Sinnes-Krise. Die Herausforderungen, die er politisch und privat sucht, wird er bei Venstre nicht mehr finden, und als Hinterbänkler auf Christiansborg ist sein politisches Talent verschenkt.  Die Droge Politik lässt den „Süchtigen“ nicht los, und deshalb liegt natürlich der Gedanke nahe, dass er Venstre verlässt und möglicherweise sogar eine eigene Partei gründet.

1965 brachen zwei Venstre-Mitglieder  aus der Fraktion aus und gründeten „Liberalt Centrum“. Das war nicht von langer Dauer, und Løkke wird sich gut überlegen müssen, ob er dieses Experiment wagt, denn bei Venstre hat er nun mit seinen jüngsten Äußerungen selbst viele seiner engsten Freunde verärgert und sich damit auch menschlich weiter isoliert. 

Gewiss, Løkke hat das Startpotential, aber von nun an klebt der Verdacht des Verrats an der eigenen Partei an seinen Händen, zumal sie ihn nun für die V-Talfahrt mitverantwortlich macht.  

Und doch –  Løkke hat ja recht. Nur wenn die Radikale Venstre sich von der Liaison mit den Sozialdemokraten  trennt, wird es wieder einen Regierungswechsel geben. Nicht heute, nicht morgen, aber ohne eine Annäherung zwischen Venstre und Radikalen auch nicht übermorgen. Die Zukunft des Landes liegt nicht rechts, sondern in der Mitte!

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