Energiekrise

So befreien wir uns von Putins Gas

So befreien wir uns von Putins Gas

So befreien wir uns von Putins Gas

Kopenhagen
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Die Gas-Verdichterstation in Mallnow nahe der deutsch-polnischen Grenze Foto: Filip Singer/EPA/Ritzau Scanpix

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In einem „Grünbuch“ beschreibt der Think Tank „Mandagmorgen“, wie Dänemark und Europa so schnell wie möglich von den fossilen Brennstoffen loskommen können. Es bedürfe dafür jedoch eines Einsatzes wie zu Winston Churchills Zeiten, so Autor Bjarke Møller.

Spätestens seit Russlands Angriff auf die Ukraine wissen wir, dass die Abhängigkeit von Öl, Gas und Kohle nicht allein ein Problem für das Klima ist, sie bedroht auch unsere Sicherheit und finanziert Wladimir Putins Kriegsmaschine.

Der Think Tank „Mandagmorgen“ hat in einem „Grünbuch“ dargelegt, wie wir so schnell wie möglich von Putins Öl und Gas loskommen. Dafür müssten wir uns jedoch auf eine „Kriegszonenmentalität“ wie während des Zweiten Weltkrieges einstellen, statt langsame Reformen wie zu Friedenszeiten betreiben, so der Hauptautor der Publikation, Bjarke Møller.

„Damals mobilisierte Churchill die Britinnen und Briten im Kampf gegen die Nazis, und die ganze Nation zog mit. Jeden dritten Tag wurde ein Kriegsschiffe produziert. Das ist das Tempo, das wir einlegen müssen, wenn wir den Energiekrieg gewinnen wollen“, so Møller, der Direktor im Rat für Grüne Umstellung (Rådet for Grøn Omstilling) ist.

Neues Energiesystem

Die Ziele sind ein schneller Ausbau von Wind- und Sonnenenergie sowie massive Energieeinsparungen und -effektivierungen.

„Die Politikerinnen und Politiker haben den Ernst der Lage noch nicht vollständig erkannt und handeln zu zögerlich. Vieles ist nur ein grüner Anstrich von ‚Business as usual‘. Notwendig ist, dass wir unser Energiesystem von Grund auf neu denken“, meint Møller.

Einsparungen könnten Gas ersetzen

Der Vorschlag des „Grünbuches“ lautet, dass EU-weit bis 2030 20 Prozent der Energie eingespart werden sollen. Dänemark soll mit 23 bis 25 Prozent sogar noch extra Tempo machen. Das deutsche Fraunhofer-Institut hat errechnet, dass Einsparungen von 20 bis 21 Prozent innerhalb der EU gewinnbringend wären. Das würde fast das gesamte russische Gas ersetzen.

Das „Grünbuch“ enthält eine Reihe von konkreten Vorschlägen dazu, wie wir die fossilen Brennstoffe loswerden. Foto: Walter Turnowsky

Ein weiterer Vorteil von Einsparungen: Sie können zum Teil schnell umgesetzt werden und so helfen, uns über den kommenden Winter zu bringen.

„Unsere Botschaft ist, dass Energieeinsparungen zu den wichtigsten Instrumenten gehören, um uns aus der akuten Notlage zu befreien. Wir brauchen groß angelegte Kampagnen, um die Menschen zu animieren, weniger Energie zu verbrauchen“, lautet die Aufforderung des Direktors des Rats für Grüne Umstellung.

Er hat Verständnis dafür, dass es notwendig ist, als Notlösung Kohlekraftwerke wieder hochzufahren, betont jedoch, durch Einsparungen von 23 Prozent könnte die EU innerhalb von fünf bis sechs Jahren vollständig auf das russische Gas verzichten.

Offshore-Strom für den Export

Møller schlägt vor, dass alle Öl- und Gasheizungen bis 2027 aus dänischen Haushalten verschwunden sind. Bis 2030 soll die Wärmeproduktion ganz ohne fossile Brennstoffe auskommen.

Außerdem soll sich Dänemark mit landbasierten und küstennahen Windkraft- und Solaranlagen zu 100 Prozent selbst mit Energie versorgen. Die Offshore-Windkraftanlagen sollen ausschließlich dem Export dienen, und es anderen EU-Ländern, nicht zuletzt Deutschland, ermöglichen, sich von Putins Gas zu befreien.

Die fünf Ziele des „Grünbuches“

  1. 100 Prozent Selbstversorgung mit Strom durch erneuerbare Energieanlagen an Land. Die gesamte dänische Energieversorgung – inklusive neuer Power-to-X-Anlagen an Land – soll bis 2030 aus erneuerbaren Quellen stammen. Dafür muss in hohem Tempo die Produktion von grünem Strom auf das Siebenfache hochgefahren werden. Das erfordert Anlagen für 30 Gigawatt (GW) Solarenergie und 20 GW Windenergie an Land oder in Küstennähe.
  2. Massiver Ausbau der Offshore-Windkraftanlagen. Dänemark soll die Produktion bis 2030 auf das Dreizehnfache hochfahren und bis dahin mindestens 30 GW erreichen. 2035 sollen es 65 GW werden. Ein stärkerer marktwirtschaftlicher Zugang soll den schnellen Ausbau gewährleisten. Die Offshore-Energie soll der Versorgung der europäischen Nachbarn dienen.
  3. Keine Energie aus fossilen Quellen nach 2040. Spätestens ab dann soll Dänemark inklusive des Transportsektors zu 100 Prozent selbstversorgend mit erneuerbarer Energie aus Anlagen an Land und in Küstennähe sein. Dies soll mit einem neuen Fernwärmenetz mit niedrigen Temperaturen und minimalem Energieverlust gekoppelt werden. Die Offshore-Windenergie wird auf 100 GW hochgefahren und ausschließlich dem Export dienen. Das soll dazu beitragen, dass die EU-Staaten bis 2045 auf fossile Brennstoffe verzichten können.
  4. Energie-Effektivierung in Weltklasse. In der EU soll es eine Verpflichtung geben, binnen der 2020er 20 Prozent der Energie zu sparen. Dänemark soll als Vorzeigebeispiel 23 bis 25 Prozent einsparen. Bei einer EU-weiten Einsparung von 23 Prozent könnte Energie entsprechend dem russischen Gasimport gespart werden.
  5. Schnell Abkopplung der Wärmeversorgung vom Gas. Alle Öl- und Gasheizungen sollen bis 2027 aus dänischen Haushalten verschwunden sein. Sie sollen stattdessen ans Fernwärmenetz angeschlossen oder mit Wärmepumpen ausgerüstet werden. Bis 2030 soll die Wärmeversorgung ganz auf fossile Brennstoffe verzichten. EU-weit soll stärker auf Fernwärme umgestellt und es sollen mindestens 50 Millionen Wärmepumpen installiert werden.

Quelle: Grønbog for et bæredygtig energisystem – sådan frigør vi os fra Putins fossile brændsler. Tænketanken mandagmorgen. 

Møller lobt in dem Zusammenhang die Absprache zum Ausbau der Windenergie, die die dänische, deutsche, belgische und niederländische Regierung am 18. Mai in Esbjerg eingegangen sind. Demnach soll bis 2030 die Offshore-Produktion auf 65 GW, bis 2050 auf 150 GW hochgefahren werden. Er meint jedoch auch, es sei zu wenig und zu langsam.

„Die Ziele sind viel zu niedrig gesteckt. Wollen wir die EU ganz von Putins Gas befreien, brauchen wir 500 GW Offshore-Strom aus der Nordsee“, betont Møller.

Studien hätten gezeigt, dass dies machbar sei. Allerdings bräuchte es dafür massive Investitionen.

„In Dänemark können wir bis 2040 ganz auf fossile Brennstoffe verzichten, und das ist inklusive dem Transportsektor. Für die gesamte EU kann das nur wenige Jahre später auch glücken“, sagt Bjarke Møller.

Der Artikel wurde um 19.25 Uhr korrigiert. Die Anzahl von Churchills Kriegsschiffen war ein wenig zu hoch, und der europaweite Bedarf an Offshore-Wind war nicht korrekt angegeben. 

„Der Nordschleswiger“ wird in der kommenden Woche weitere Artikel zu dem Thema veröffentlichen. 

 

 

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