Milliarden-Betrug

„Wünschenswert, wenn sich die Länder untereinander warnen“

„Wünschenswert, wenn sich die Länder untereinander warnen“

„Wünschenswert, wenn sich die Länder untereinander warnen“

Kopenhagen
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Foto: Byline: Michael Eisenberg/Scanpix

Die Betrugsbranche globalisiert sich, sagt der Finanzexperte Esben von Holstein. Nachbarländer sollten sich umfassender gegenseitig informieren. An Europas Regierungen richtet er konkrete Vorschläge.

Deutsche Behörden haben, wie berichtet,  seit 2012 von möglichen Plänen für Steuerschwindel in Dänemark gewusst. Doch gewarnt wurden Behörden im Nachbarland nicht. Eine Reihe von vertraulichen Dokumenten belegt, dass die deutsche Polizei bereits bei Razzien im Jahre 2012 Papiere fand, die darauf hinwiesen, dass Dänemark und andere Länder als Ziele von Steuerbetrügern auserkoren waren.

„Steuern sind zwar Staatssache. Aber es wäre doch wünschenswert, wenn sich die Länder untereinander warnen, wenn sie auf Betrugshinweise stoßen“, sagt Esben von Holstein, der als Dozent und Experte für Finanz- und Geldpolitik am Institut für Grenzforschung der Süddänischen Universität lehrt.

Trotz der Hinweise hat Deutschland die Behörden in Dänemark nicht gewarnt. Die Folge: in den folgenden drei Jahren verschwanden mehr als 12,7 Milliarden Kronen aus der dänischen Staatskasse. Warum die deutschen Behörden schwiegen, ist nicht bekannt.

Holstein: Sollte Normalität sein, Informationen zukommen zu lassen

„Ich könnte mir vorstellen, dass Polizei und Staatsanwaltschaft die Dimensionen dieser Betrugsmasche nicht einschätzen konnten und daher keine Meldung ins Nachbarland gemacht haben“, sagt Holstein. „Leider sieht man an dem Beispiel, wie sehr die Grenzen noch vorhanden sind. Es sollte Normalität sein, den benachbarten Steuerbehörden Informationen zukommen zu lassen, wenn Betrugsfälle entdeckt werden.“

Dänemarks Steuerminister Karsten Lauritzen (Venstre) ist entsetzt darüber, dass die deutschen Behörden ihren Nachbarn nichts gesagt haben. „Es ist fürchterlich, dass dies nicht passiert ist. Wenn die dänischen Steuerbehörden 2012, 2013 oder 2014 Bescheid bekommen hätten, wäre das Ganze vielleicht zu stoppen gewesen“, so der Minister zu DR.

Wie jüngste Ermittlungen zeigen, haben die Betrüger durch Dividendensteuerbetrug mittlerweile insgesamt rund 410 Milliarden Kronen in mehreren Ländern Europas erbeutet. Alle diese Länder sollen laut DR und Politiken in den Dokumenten genannt worden sein, die 2012 von der deutschen Polizei beschlagnahmt wurden.

Der Nordschleswiger hat den Finanzexperten und SDU-Dozenten Esben von Holstein um seine Einschätzung gebeten. Holstein hat früher selbst als Investmentberater in einer dänischen Bank gearbeitet, heute lehrt er zum Thema.

Welche Folgen wird dieser Betrugsfall für die Steuersysteme in Europa haben? „Wenn man zynisch sein will, kann man sagen, dass einige Betrüger gefasst werden und einige Gesetzeslöcher gestopft werden. Aber auch, dass sich die Aufregung schnell wieder legen wird. Die Finanzwirtschaft dreht sich weiter und die Betrüger werden neue Wege finden, Gesetzeslücken auszunutzen. Es liegt nun an jedem Land selbst, ihre Gesetzeslücke zu schließen, um die Rückerstattungen von Steuermitteln besser zu schützen und zu kontrollieren.“

Ist eine besser vernetzte europäische Steuerpolitik notwendig?
„Steuerpolitik ist Ländersache. Das lässt sich niemand aus der Hand nehmen. Staatsminister Lars Løkke Rasmussen fordert nun ja auch eine engere Zusammenarbeit. Aber im Grunde ist es eine nationale Angelegenheit, die jede Steuerbehörde selbst in den Griff kriegen muss. Es ist aber sicher bemerkenswert, dass die Betrugsmethode in so vielen Ländern funktionieren konnte. Die Betrügerbranche ist mittlerweile eben auch globalisiert. Daher sollten alle in Europa daran interessiert sein, gemeinsame Werkzeuge zu entwickeln, wie man die Kontrollen verbessern, das Meldesystem optimieren kann. Wenn ein Verbrecher über die Grenze fährt, bittet man die Polizei ja auch um Hilfe. Das sollte in Steuerangelegenheit ebenfalls eine Selbstverständlichkeit werden.“

Beteiligte der sogenannten Cum-Ex-Deals sagen, sie hätten legal gehandelt und Gesetzeslücken ausgenutzt. Könne sich die Betrüger, die sich gezielt an Steuergelder bereichert haben, mit dieser Behauptung rausreden? „Nicht alle Beteiligten in der Wertschöpfungskette waren in alles eingeweiht. Aber die meisten müssen sich darüber im Klaren gewesen sein, dass es nicht rechtens ist, sich auf diese Weise Steuergelder auszahlen zu lassen, auf die man eigentlich gar kein Anrecht hat. Sicher ist, dass so manch Mitarbeiter in den Banken wissen musste, dass etwas nicht in Ordnung ist. Wenn beispielsweise Personen für eine knappe Dreiviertelstunde Besitzer von Aktien oder Dividenden sind, für die sie dann Rückerstattungen erhalten. Da wurden in den Banken jede Menge Bescheinigungen ausgestellt, die man nicht mal mit ganz viel Naivität gutheißen konnte, ohne sich zu wundern."

Muss Europa die Finanzpolitik stärker regulieren? „Wir brauchen die freien, unabhängigen Finanzmärkte. Niemand wünscht sich, dass die Staaten selbst die Banken übernehmen und betreiben. Aber besser abgestimmte und gemeinsam erarbeitete europäische Regeln in der internationalen Finanzpolitik wären eine große Hilfe, um Betrügern das Leben schwerer zu machen. Aber es ist nun mal so, dass man als Bankmitarbeiter nicht für das Zahlen der Steuern verantwortlich ist, wenn die Kunden kommen und Geld anlegen wollen. Wenn der Kunde den Wunsch hat, Geld von einem Londoner Geschäft anzulegen, dann rät ihm der Bankmitarbeiter vielleicht eher zu einem Konto in Luxemburg, als zu einem in Dänemark. Hier müssen die Banken selbst Regeln aufstellen. Denn vieles ist moralisch grenzwertig."

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