Folketingswahl

Wahlkampf ist Machtkampf: Ist Lars Løkke schon Geschichte?

Wahlkampf ist Machtkampf: Ist Lars Løkke schon Geschichte?

Wahlkampf ist Machtkampf: Ist Lars Løkke schon Geschichte?

Jan Diedrichsen
Jan Diedrichsen
Kopenhagen
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Lars Løkke Rasmussen hat die Folketingswahl noch nicht ausgeschrieben – bis zu 17. Juni muss sie stattgefunden haben. Foto: Jens Dresling / Ritzau Scanpix

Regierungschef Lars Løkke Rasmussen hat den Termin für die Folketingswahl 2019 immer noch nicht festgelegt. Unser Korrespondent Jan Diedrichsen vom deutschen Sekretariat in Kopenhagen fragt aus diesem Anlass: Ist die Zeit von Staatsminister Lars Løkke Rasmussen bereits abgelaufen?

Wenn sich eine Wahlperiode dem Ende entgegenneigt, laufen oft die Tastaturen der Journalisten heiß: Was bleibt? Was hat man erreicht? Wo ist man gescheitert? Noch ärger wird die politische Nachrufschreiberei, wenn sich eine Politiker-Karriere dem Ende nähert. Angela Merkel ist ein seltenes Beispiel dafür, dass es eine Politikerin schafft, ganz autonom ihren Austritt aus der Politik zu regeln. Sie ist zwar nur noch Kanzlerin auf Abruf, scheint aber beschwingt dem Ende ihrer Karriere entgegenzugehen.

Bis zum letzten Tag an die Macht geklammert?

Ganz anders sieht es bei unserem Regierungschef in Kopenhagen aus: Lars Løkke Rasmussen. Sein politisches Schicksal scheint für viele Kommentatoren bereits besiegelt. Ein Journalist witzelte kürzlich, dass Løkke vor allem in die Geschichtsbücher eingehen wird als der Regierungschef, der sich bis zum letztmöglichen Tag an der Macht festgeklammert habe.

In der Tat ist eines richtig: Noch nie in der Geschichte hat ein Regierungschef so lange gewartet, um die Wahlen auszuschreiben: Es sind noch 44 Tage, dann müssen die Wahlen spätestens stattfinden. Wir müssen bis ins Jahr 1964 zurück, als die Wahl zum Folketing genau 53 Tage vor dem letztmöglichen Termin stattfand. Da es mindestens 20 Tage (so die Auskunft der Folketingsverwaltung) benötigt, um eine Wahl rein technisch durchzuführen, wird Løkke diesen Rekord locker brechen.

Gesundheitsreform als Rohrkrepierer

Warum wartet Løkke so lange? Vieles deutet darauf hin, dass die Gesundheitsreform, die seine Eintrittskarte zum Wahlkampf werden sollte, sich als verspäteter Rohrkrepierer erwies. Derzeit sind die Umfragen so schlecht, dass man die Vermutung nicht loswird, dass Løkke einfach abwartet und hofft, dass bessere Zeiten kommen; dies wiederum wäre eine tragisch anmutende Verzweiflungsstrategie.

Er hat derzeit wahrlich keine gute Ausgangslage. Die Umfragewerte für seine Koalition aus Venstre, Konservativen und Liberaler Allianz sind verheerend. Auch die parlamentarischen Mehrheitsbeschaffer von der Dänischen Volkspartei schwächeln. Die parteipolitische Großwetterlage steht auf Wechsel. Die normalerweise in einen blauen (rechts von der Mitte) und roten (links von der Mitte) Block eingeordnete Parteienlandschaft ergibt derzeit eine deutliche Mehrheit für „den roten Block“.

Das dänische Parlament: Wer wird hier in der kommenden Wahlperiode regieren? Foto: Liselotte Sabroe/Scanpix Ritzau

Sozialdemokraten wollen weg von links

Doch so einfach ist das ganze Farben-Spiel nicht. Zum einen ist diese Aufteilung zwischen rotem und blauem Block seit dem Rechtsschwenk der Sozialdemokratie mehr oder weniger obsolet und hat eine Koalition bzw. Duldung allein aus dem „Roten Block“ unwahrscheinlich werden lassen. Die Linkssozialisten haben dementsprechend per Parteitagsbeschluss ausgeschlossen, eine Duldung einer sozialdemokratischen Regierung – wie in der gesamten Geschichte zuvor – sozusagen stillschweigend anzubieten, um die „bürgerliche Mehrheit“ zu verhindern. Die Sozialdemokraten seien keine Partei des „linken Lagers“ mehr, so die Linkssozialisten. Die Verhandlungen nach der Wahl werden für Mette Frederiksen keine einfache Aufgabe.

Stehaufmännchen par excellence

In diesem sich andeutenden Schisma des roten Blocks liegt auch die politische Chance von Lars Løkke Rasmussen. Bitte vergessen wir nie, dass Løkke das Phänomen eines politischen Stehaufmännchen par excellence verkörpert. Wie oft lag er am Boden und hatten sich bereits die politischen Aasgeier um ihn versammelt, um das Erbe zu verteilen? Man sollte ihn nicht abschreiben. Um ganz tief in die Klischee-Mottenkiste zu greifen: Lars Løkke hat keine Chance, und die wird er zu nutzen versuchen.

Wenn nach der Wahl die Sozialdemokraten aller Voraussicht nach die größte Fraktion stellen, wird Mette Frederiksen versuchen, eine Regierung mit stabiler Mehrheit zu verhandeln. Sie wird sicher auch ein Bündnis mit der Dänischen Volkspartei nicht prinzipiell ausschließen. Aber ein solches Bündnis zu verhandeln und in der Partei mehrheitsfähig zu gestalten, wird nicht weniger schwierig, als ein Bündnis oder eine Tolerierung durch die Parteien des „roten Blocks“ zu erreichen.

Mach schon, Lars Løkke

Währenddessen muss Lars Løkke versuchen, alle Angriffe auf seine Position, die unweigerlich nach der Wahl von „Parteifreunden“ auf ihn losprasseln werden, abzuwehren (wenn er nicht schon in der Wahlnacht zurücktritt). Dann muss er hoffen, dass Frederiksen an der Mehrheitsbeschaffung scheitert und er als zweiter Verhandlungsführer zum Zug kommt. Wenn er diese Möglichkeit erhält, ist nichts ausgeschlossen. Doch natürlich ist das alles nur Kaffeesatzleserei und Zeitvertreib, bevor es endlich losgeht. Also: Mach schon, Lars Løkke – wir wollen endlich diese Wahl!

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