Krieg

Forscher: Atomkraftwerke in der Ukraine zunächst keine Gefahr für Dänemark

Forscher: Atomkraftwerke in der Ukraine zunächst keine Gefahr für Dänemark

Forscher: AKWs in der Ukraine zunächst keine Gefahr

cvt/dpa/videnskab.dk
Kopenhagen/Hamburg/Apenrade
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Die Aufnahmen einer Überwachungskamera zeigen eine Leuchtrakete, die während des Beschusses des Kernkraftwerks Saporischschja in Enerhodar in der ukrainischen Oblast Saporischschja am 4. März 2022 landet (Screenshot eines Videos aus sozialen Medien). Foto: Zaporizhzhya Npp/Reuters/Ritzau Scanpix

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Dänische und deutsche Experten beruhigen: Das kürzlich angegriffene AKW Saporischschja sei gut abgesichert. Etwas anders sehen es die Expertinnen und Experten von Greenpeace, die vor einer Katastrophe warnen.

Der Krieg in der Ukraine macht vielen auch in Dänemark große Sorgen. Besonders die Nachricht, dass das ukrainische Atomkraftwerk Saporischschja angegriffen wurde, hat für Aufhorchen gesorgt. Dänische Wissenschaftler geben jedoch Entwarnung: Zunächst bestehe zumindest für Dänemark keine Gefahr, sagen sie dem Wissenschaftsportal videnskab.dk.

Ein Leck in dem Werk würde unmittelbar „für uns keine Folgen haben“, sagt Bent Lauritzen, Sektionsleiter für Strahlungsphysik am Physikinstitut der technischen Universität DTU.

Er könne sich nicht vorstellen, dass Russland oder die Ukraine „Interesse daran haben, eine Umweltkatastrophe zu veranstalten“, so der Forscher.

Das denkt auch sein emeritierter Kollege Sven Poul Nielsen vom DTU-Institut für Wasser- und Umwelttechnik. Das Strahlungsniveau sei normal und es bestehe keine Gefahr – „schon gar nicht in Dänemark“.

„Tschernobyl war eine ganz andere Geschichte“

Doch wie gefährlich wäre es, wenn nächstes Mal nicht ein Anbau, sondern das eigentliche Kraftwerk in Flammen gerät? Gedanken an die Katastrophe von Tschernobyl 1986 werden bei vielen wach.

„Der Brand in Tschernobyl war eine ganz andere Geschichte“, sagt Nielsen. Das Atomkraftwerk Saporischschja sei modern und mit „wesentlich verbesserter Sicherheit im Vergleich zu Tschernobyl“ gebaut worden.

Einen Vorfall wie in Tschernobyl könne es also gar nicht wieder geben, auch deshalb, weil es sich um einen Druckwasserreaktor handelt. Dieser ist durch eine Stahlbetonhülle geschützt.

Laut Bent Lauritzen ist Saporischschja zwar von Russen entwickelt worden, entspreche aber westlichem Standard.

Ein Beschuss der Anlage müsse nicht zwangsläufig zu einem kerntechnischen Unfall führen, sagt auch Atomtechnik-Experte Sebastian Stransky von der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) zur „dpa“: „Damit es zu einem solchen Unfall kommt, muss das Kühlsystem beschädigt sein.“

Selbst bei Beschädigung noch keine Katastrophe

Die sicherheitstechnisch wichtigen Anlagen seien in geschützten Gebäuden untergebracht. Und diese „würden einem Beschuss durchaus standhalten können, das hängt allerdings auch von der Schwere des Beschusses ab“, so Stransky.

Die Stahlbetonhülle des Reaktors könne selbst den Absturz eines kleinen Flugzeugs aushalten. „Selbst wenn er beschädigt ist, bedeutet das nicht automatisch, dass es zu einem kerntechnischen Unfall kommt“, stagt Stransky.  Erst wenn dauerhaft der Strom ausfallen und das gesicherte Kühlwassersystem versagen würde und auch sämtliche Notstromaggregate ausfallen würden, würde es letzten Endes zu einem Ausfall der Nachkühlung kommen. Dies könne zu einer Kernschmelze führen. 

Der Atomtechnik-Experte betont, dass in den vergangenen Jahren viel für die Erhöhung der Sicherheit in den ukrainischen Anlagen getan wurde.

Dänischer Experte: Gesundheitsgefahr in Dänemark schnell überwunden

Im konkreten Fall des ukrainischen AKWs Saporischschja weisen die Experten auf einen wichtigen Unterschied zu Anlagen im japanischen Fukushima und auch im ukrainischen Tschernobyl hin: Die Anlage in Saporischschja habe anders als Tschernobyl einen getrennten Kühlkreislauf und eine besondere Schutzschicht, um zu verhindern, dass Radioaktivität freigesetzt wird.

Unmöglich sei ein Strahlungsaustritt dennoch nicht – doch die Wahrscheinlichkeit sei bei modernen Atomkraftwerken deutlich geringer – und zudem würde wahrscheinlich weniger Strahlung freigesetzt werden als bei alten Modellen, sagt  Bent Lauritzen zu „videnskab.dk“.

Im Falle eines Lecks in der Anlage in Saporischschja beispielsweise müsste der Fallout zudem zunächst die fast 2.000 Kilometer bis nach Nordschleswig zurücklegen. Aufgrund der Entfernung würden die radioaktiven Stoffe unterwegs verdünnt werden, erklärt der Medizintechniker und Gesundheitsphysiker Mikkel Øberg in „videnskab.dk“.

„Es ist wie eine aufziehende Wolke - sie wird vom Wind verdünnt und zerstreut, bevor sie ankommt“, erklärt er.

In der unmittelbaren Umgebung könne ein radioaktiver Austritt katastrophale Folgen haben, und die Folgen können sich über viele Jahre hinweg auf die Gesundheit und die Umwelt auswirken. Aber in weiter entfernten Gebieten wäre die potenzielle Gesundheitsgefahr schnell überwunden.

Greenpeace: Risiken nicht unterschätzen

Die Umweltschutzorganisation Greenpeace warnt unterdessen davor, die Gefahren zu unterschätzen. Schließlich seien einige der Reaktoren bereits über ihre eigentliche Lebensdauer von 40 Jahren hinaus.

„Das größte Risiko besteht darin, dass abgebrannte Brennelemente von einer Rakete getroffen werden oder aufgrund des deaktivierten Energiesystems nicht gekühlt werden können“, sagt Roger Spautz, Atomexperte bei Greenpeace Frankreich und Luxemburg, laut greenpeace.de

Und die Organisation weist darauf hin, dass Saporischschja längst nicht das einzige Atomkraftwerk in der Ukraine sei. Die AKWs in Riwne und Chmelnyzkyjky seien aktuell besonders bedroht. Bei Riwne 1 und 2 handele es sich um Druckwasserreaktoren, die nicht über einen sekundären Sicherheitsbehälter verfügen und daher besonders anfällig seien.

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