Russische Invasion

Krieg gegen die Ukraine: So ist die Lage

Krieg gegen die Ukraine: So ist die Lage

Krieg gegen die Ukraine: So ist die Lage

dpa
Washington
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Durch einen der heftigsten Luftangriffe in mehr als zwei Jahren Angriffskrieg hat Russland in der Vorwoche schwere Schäden am Energiesystem der Ukraine angerichtet. In der ostukrainischen Großstadt Charkiw fiel der Strom komplett aus. Foto: Yevhen Titov/AP/dpa

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Der russische Angriff auf die ukrainische Region Charkiw läuft weiterhin, doch es gibt Zeichen für eine Stabilisierung der Lage. Experten sehen mehrere Gründe dafür. Die News im Überblick.

Das Tempo der russischen Vorstöße in der ostukrainischen Region Charkiw scheint sich dem US-Institut für Kriegsstudien (ISW) zufolge verlangsamt zu haben. Das Muster der Militäraktivitäten in diesem Gebiet untermauere die Einschätzung des ISW, dass die russischen Streitkräfte der Schaffung einer «Pufferzone» an der Grenze zwischen Russland und der Ostukraine Vorrang vor einem tieferen Eindringen in die Region geben, schrieb die Denkfabrik mit Sitz in Washington in ihrem jüngsten Bericht.

Berichte von russischen und ukrainischen Quellen sowie Drohnenaufnahmen deuteten darauf hin, dass Russland in der Region mit kleinen Angriffsgruppen von jeweils nicht mehr als fünf Soldaten arbeite. Diese Taktik führe möglicherweise zu höheren Personal- und Materialverlusten und könne das Tempo des Vorstoßes insgesamt verlangsamen. Nach Schätzungen des ukrainischen Generalstabs hat Russland in dem Gebiet allein in den vergangenen Tagen etwa 1700 Soldaten verloren. Die Angaben seien nicht unabhängig überprüfbar, die Verlangsamung der Offensive könne aber auf die Verluste zurückzuführen sein, schrieb die US-Denkfabrik.

In der Nacht zum Dienstag habe die Ukraine zusätzliche Einheiten in das Gebiet verlegt, um sich gegen die russischen Angriffe zu verteidigen, berichtete das ISW weiter. Dies habe nach Angaben des Chefs des ukrainischen Militärgeheimdienstes HUR, Kyrylo Budanow, zu einer Stabilisierung der Lage geführt. In der Stadt Wowtschansk nahe der russischen Grenze hätten die ukrainischen Streitkräfte begonnen, russische Angriffsgruppen ins Visier zu nehmen.

Russland, das seit mehr als zwei Jahren einen Angriffskrieg gegen das Nachbarland Ukraine führt, hat in der vergangenen Woche in der Grenzregion die neue Offensive auf Charkiw begonnen. Infolgedessen besetzten russische Truppen auch mehrere ukrainische Dörfer. Für die Ukraine, die sich angesichts stockender westlicher Hilfen derzeit in einer besonders schweren Lage befindet, geht es nun darum, eine Ausweitung der Front zu verhindern.

Selenskyj sagt alle Auslandsreisen in kommenden Tagen ab

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat angesichts der russischen Offensive im Gebiet Charkiw für die kommenden Tage alle Auslandsreisen abgesagt. «Wolodymyr Selenskyj hat die Anweisung gegeben, alle internationalen Veranstaltungen mit seiner Beteiligung für die kommenden Tage zu verschieben», teilte sein Sprecher Serhij Nykyforow auf Facebook mit.

Für die abgesagten Reisen sollen demnach nun neue Termine gefunden werden. Nykyforow verwies in der Mitteilung auch auf die schwere Lage der ukrainischen Armee in Charkiw. 

Zuvor hatte bereits das spanische Königshaus ein für Freitag geplantes Treffen Selenskyjs mit König Felipe VI. in Madrid wieder von seiner Internetseite gelöscht. Auch eine Reise Selenskyjs nach Portugal war offenbar geplant gewesen und wurde nun gestrichen.

USA stellen Ukraine zwei Milliarden US-Dollar Militärhilfe bereit

Die US-Regierung stellt der Ukraine zwei Milliarden US-Dollar für militärische Zwecke zur Verfügung. Das kündigte US-Außenminister Antony Blinken bei seinem Besuch in Kiew an. Mit einem Teil des Geldes wolle man Waffenlieferungen an das von Russland angegriffenen Land finanzieren, sagte Blinken.

Ein weiterer Teil sei für Investitionen in die ukrainische Verteidigungsindustrie vorgesehen. Schließlich solle das Geld der Ukraine auch bei der Beschaffung militärischer Ausrüstung aus anderen Ländern helfen. 

Russisches Militär meldet erneute Eroberung von Ort in Südukraine

Das russische Militär nimmt für sich in Anspruch, erneut die Ortschaft Robotyne im Südosten der Ukraine unter Kontrolle genommen zu haben. «Einheiten der Heeresgruppe 'Dnepr' haben die Ortschaft Robotyne im Gebiet Saporischschja vollständig befreit», teilte das Verteidigungsministerium in Moskau in seinem Lagebericht mit. Kiew hat den angeblichen Verlust Robotynes bislang nicht kommentiert. Unabhängig lassen sich die Angaben aus Moskau ebenfalls nicht bestätigen.

Von Robotyne sind inzwischen nur noch Ruinen übrig, allerdings besitzt die Ortschaft hohe symbolische Bedeutung. Bei der letztendlich gescheiterten Sommeroffensive Kiews im Jahr 2023 war Robotyne die einzige Ortschaft in dem Frontabschnitt, die die Ukrainer befreien konnten.

Russland meldet abgewehrte Raketenangriffe über Krim

Russland hat über einen ukrainischen Raketenangriff auf die annektierte Schwarzmeer-Halbinsel Krim berichtet. Von der eigenen Flugabwehr seien in der Nacht auf Mittwoch zehn Raketen vom US-Typ ATACMS abgeschossen worden, teilte das Verteidigungsministerium in Moskau mit. Unabhängig überprüft werden konnte das nicht. In ukrainischen Medien veröffentlichte Videos zeigen allerdings Einschläge und schwere Brände, die vom Militärflugplatz Belbek stammen sollen.

Auch der dem russischen Verteidigungsministerium nahestehende Militärblog Rybar bestätigte später, dass «eine oder zwei Raketen» eingeschlagen seien. Die Folgen seien leider durch das Durchsickern von Überwachungsvideos zu erkennen. Der nationalistische Blog forderte daher härtere Strafen für die Weitergabe solcher Informationen an die Ukraine.

Die russische Seite sprach zudem von 17 ukrainischen Drohnen und anderen Geschossen, die über den Grenzregionen Belgorod, Kursk und Brjansk abgewehrt worden seien. Der Gouverneur von Belgorod, Wjatscheslaw Gladkow, berichtete auf seinem Telegramkanal hingegen von Einschlägen in mehreren Ortschaften. Es habe zwei Verletzte und Sachschäden gegeben, schrieb er.

Beloussow: Keine Mobilisierung geplant

Russlands designierter Verteidigungsminister Andrej Beloussow trat derweil Befürchtungen der eigenen Bevölkerung über eine möglicherweise geplante neue Mobilisierungswelle entgegen. Zwar sei die Rekrutierung neuer Kämpfer eine wichtige Aufgabe, sagte der 65-Jährige laut der Agentur Interfax während einer Anhörung im Oberhaus des russischen Parlaments, das offiziell über seine Ernennung entscheiden wird. «Ich möchte besonders betonen, dass nicht die Rede von einer Mobilmachung und von irgendwelchen außerplanmäßigen Maßnahmen ist», fügte er dann aber hinzu.

Angesichts des Arbeitskräftemangels in der Ukraine infolge des Krieges denkt die Bundesregierung darüber nach, wie von dort geflüchtete Menschen bei einer Rückkehr in ihre Heimat unterstützt werden können. «Es gibt Überlegungen, wie wir die Menschen bei ihrem Neuanfang in der Ukraine unterstützen könnten», antwortete Entwicklungsministerin Svenja Schulze dem «Tagesspiegel» (Mittwoch) auf die Frage, ob finanzielle Anreize für Geflüchtete geplant seien. «Denkbar sind auch Modelle der sogenannten zirkulären Migration, also einer zeitweisen Rückkehr.»

Tschechiens Präsident zweifelt an Rückeroberung ukrainischer Gebiete

Der tschechische Präsident Petr Pavel hat vor unrealistischen Erwartungen im ukrainischen Abwehrkrieg gegen Russland gewarnt. «Es wäre naiv zu glauben, dass die Ukraine in absehbarer Zeit vollständig die Kontrolle über ihr Territorium zurückgewinnen kann», sagte der frühere tschechische Generalstabschef im Sender Sky News. Russland werde die besetzten Gebiete nicht aufgeben. «Was wir tun müssen, ist, den Krieg zu stoppen», forderte der 62-Jährige. Anschließend könne man über eine künftige Vereinbarung verhandeln. Einen Kompromiss könne es indes nur mit Zustimmung der Ukraine und Russlands sowie mit der Hilfe von Garantiestaaten geben.

Hoffnungen auf einen baldigen Nato-Beitritt der Ukraine dämpfte Pavel. «Ich denke, das kommt nicht infrage, solange der Krieg in der Ukraine andauert», betonte der Präsident. Zunächst müsse der Frieden in der Region wiederhergestellt werden. Auch die Überlegungen des französischen Präsidenten Emmanuel Macron zur Entsendung westlicher Truppen in die Ukraine wies Pavel zurück. Das würde seiner Ansicht nach unmittelbar eine direkte Konfrontation zwischen der Nato und Russland verursachen. «Niemand will einen solchen Konflikt in Europa», sagte Pavel.

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Leitartikel

Cornelius von Tiedemann
Cornelius von Tiedemann Stellv. Chefredakteur
„Orbáns Schatten reicht bis zu uns ins Grenzland“