Vergleichsarbeiten

Bildungsministerin Prien wegen Leistungstests in der Kritik

Bildungsministerin Prien wegen Leistungstests in der Kritik

Bildungsministerin Prien wegen Leistungstests in der Kritik

Henning Baethge/shz.de
Kiel/Berlin
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Ende Februar hat in Schleswig-Holstein, wie hier in Kiel, wieder die Grundschule begonnen - und schon ab April sollen Vergleichsarbeiten geschrieben. Das stößt auf Kritik. Foto: Gregor Fischer

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Die Kieler Ressortchefin hält Vergleichsarbeiten auch in der Pandemie für wichtig – Lehrer und Eltern widersprechen.

Schon nächsten Monat soll es losgehen: Ab dem 21. April sollen die dritten Klassen an Schleswig-Holsteins Grundschulen die sogenannten „Vera“-Vergleichsarbeiten in Deutsch und Mathematik schreiben. „Die Termine für die Durchführung von Vera-3 werden von den Schulen innerhalb des verbindlichen Zeitraums 21. April bis 11.Mai 2021 festgelegt“, verkündet Landesbildungsministerin Karin Prien auf der Internetseite ihres Ressorts. Schon kurz darauf folgt bis Mitte Juni an 86 ausgewählten Grundschulen im Land der nächste Leistungstest für weitere 1500 Kinder: Das von den Ländern beauftragte Berliner Bildungsforschungsinstitut IQB lässt dann den alle fünf Jahre stattfindenden bundesweiten Ländervergleich der vierten Klassen schreiben, ebenfalls in Deutsch und Mathe.

Mit den Vergleichsarbeiten überprüfen Kultusminister ihre Politik

Mit den Vera-Arbeiten und dem IQB-Bildungstrend überprüfen und vergleichen die Kultusminister regelmäßig die Leistungen der Kinder und Jugendlichen – und damit ihre eigene Bildungspolitik. Schleswig-Holsteins Grundschüler schnitten zuletzt eher gut ab, die älteren Jugendlichen eher schlecht. Gerade in der Corona-Pandemie mit den schwierigen Unterrichtsbedingungen hält CDU-Ministerin Prien die Tests nun für besonders wichtig. „Vor dem Hintergrund des außergewöhnlichen Schuljahres ist es zentral, Erkenntnisse über die Lernstände der Schülerinnen und Schüler in Schleswig-Holstein zu gewinnen“, sagt sie. Die Vergleichstests könnten „wichtige Hinweise darauf geben, welche Bereiche im Unterricht im nächsten Schuljahr verstärkt in den Blick genommen werden müssen“.

Vor dem Hintergrund des außergewöhnlichen Schuljahres ist es zentral, Erkenntnisse über die Lernstände in Schleswig-Holstein zu gewinnen.

Karin Prien, Bildungsministerin in Schleswig-Holstein

Auch IQB-Forscherin Rebecca Schneider wirbt dafür, den Ländervergleich trotz Pandemie stattfinden zu lassen. „Gerade nach einer solchen Ausnahmesituation, die zum Testzeitpunkt im Sommer voraussichtlich weitgehend überwunden sein wird, stellt sich die Frage, wo die Kinder in ihrer Kompetenzentwicklung stehen“, sagt sie. So könne man anhand der Studiendaten prüfen, „ob sich soziale Ungleichheiten verstärkt haben und welche Gruppen von Schülerinnen und Schülern zusätzlich gefördert werden sollten“.

Das hat den Schulen gerade noch gefehlt! Die Kinder müssen sich erst mal wieder mit dem Schulalltag vertraut machen.

Bernd Schauer, Landesgeschäftsführer der Lehrergewerkschaft GEW

Dagegen lehnen Lehrkräfte und Eltern die Tests ab. „Das hat den Schulen gerade noch gefehlt!“, wettert Bernd Schauer, Landesgeschäftsführer der Lehrergewerkschaft GEW. Selbst wenn der Unterricht in den gerade erst wieder geöffneten Grundschulen gut anlaufen sollte, seien die Leistungstest „fehl am Platz“. Vielmehr müssten die Kinder „sich erst mal wieder mit dem Schulalltag vertraut machen“. Auch der Vorsitzende des Landeselternbeirats für Grundschulen, Volker Nötzold, hält die Vergleichstests für unnötig: „Um zu wissen, dass es wegen der Pandemie Lernrückstände gibt, brauche ich keine Tests“, kritisiert er. Akzeptabel seien die nur dann, „wenn man daraus Handlungen ableiten kann“.

Das geht allerdings nur begrenzt. Denn mit den Vergleichsarbeiten lässt sich zwar feststellen, ob Leistungen sich verbessert oder verschlechtert haben – aber nicht, was genau die Gründe dafür sind. Trotzdem halten die Kultusminister die Vergleichstests für einen Gewinn, weil die zumindest einen Einblick in das Ausmaß der Lernlücken geben, die in der Pandemie durch Schulschließungen und Homeschooling entstanden sind.

Die bisher einzige Studie über Lernlücken kommt aus Hamburg

Noch gibt es dazu kaum Daten. Die bisher einzige echte Studie kommt vom Institut für Bildungsmonitoring und Qualitätsentwicklung aus Hamburg. Es hat anhand von Vergleichsarbeiten in Deutsch und Mathe nach den Sommerferien die Folgen der ersten Schulschließungen im Frühjahr 2020 für die Leistungen von Hamburger Viert- und Fünftklässlern untersucht. Dabei kam es zu dem überraschenden Ergebnis, dass trotz der „coronabedingten Veränderungen im Unterrichtsgeschehen keine größeren Einbußen in den untersuchten Kompetenzen zu verzeichnen“ waren und „die Schulschließungen relativ gut kompensiert“ worden seien.

Ein ähnliches Bild hat eine Abfrage von Prien unter den Schulen im Herbst ergeben. Demnach betrafen Lernrückstände „vor allem einzelne Schülerinnen und Schüler und konnten kaum als flächendeckendes Problem beurteilt werden“, berichtet die Ministerin. Zu einem kritischeren Ergebnis kam im Sommer eine Umfrage des Berliner IQB unter gut 1400 Grundschul-Lehrerinnen und Lehrern in ganz Deutschland: Fast die Hälfte der Befragten sagte, dass mindestens jedes zweite Kind im Fernunterricht kleinere Lernfortschritte erzielt hatte, als es im Präsenzunterricht der Fall gewesen wäre.

Prien will spätestens nach Ostern endgültig entscheiden

Neue Daten für die jetzt beginnende Zeit nach dem zweiten Schul-Lockdown könnten die kritisierten Vergleichstests liefern – doch angesichts des Widerstands denkt Prien zumindest über die Vera-Arbeiten noch mal nach. „Noch stehen die Termine 21. April und 11. Mai“, lässt sie ihre Sprecherin ausrichten. „Ob sie gehalten werden können, gehört zu den Entscheidungen, die spätestens nach Ostern getroffen werden.“ Dann will Prien auch über die aufgeschobenen Vera-Arbeiten für die sechsten und achten Klassen befinden.

Der internationale Pisa-Test ist auf nächstes Jahr verschoben

Eine gute Nachricht für die Testkritiker gibt es immerhin schon jetzt: Den internationalen Schulleistungsvergleich „Pisa“ hat die Industriestaatenorganisation OECD aufs nächste Jahr verschoben.

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