Kriminalstatistik für SH

Mehr häusliche Gewalt und Internet-Betrug in der Pandemie

Mehr häusliche Gewalt und Internet-Betrug in der Pandemie

Mehr häusliche Gewalt und Internet-Betrug in der Pandemie

Eckard Gehm/shz.de
Kiel
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Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack (CDU) stellte am Mittwoch im Kieler Landeshaus die Kriminalstatistik für das Jahr 2020 vor. Foto: Eckard Gehm

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Die Zahl der Straftaten im Norden ist gesunken, aber nicht innerhalb der eigenen vier Wände.

Versandhändler Amazon hat vergangenes Jahr dank Corona Rekordgewinne eingefahren. Aber auch Kriminelle machten gutes Geld mit krummen Internet-Geschäften. „Im Online-Handel stiegen die Zahlen bei Delikten, in denen der Verkäufer der Täter ist“, sagte Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack (CDU) am Mittwoch bei der Vorstellung der Kriminalstatistik für 2020.

15.250 Straftaten mit Tätern im Ausland wurden von der Polizei erfasst – noch einmal weit mehr als 2019 (11.596 Delikte). Sütterlin-Waack: „Häufig werden Waren aus dem Ausland heraus besonders günstig angeboten.“ Nach Zahlung erhält der Käufer keine, gefälschte oder minderwertige Ware.

Immer mehr Internet-Verkäufer als Täter

Schlagzeilen machten Fake-Shops mit Corona-Schutzmasken oder Spielekonsolen. Beim Internet-Betrug innerhalb Deutschlands gab es 8333 Taten (plus 15 Prozent). Der Blick auf den Bereich „Verkäufer als Täter“ zeigt einen Anstieg um 32,4 Prozent. Die Zahl der Taten, bei denen Käufer Online-Händler abzocken wollten, sank hingegen um 11,5 Prozent.

Auch ein Corona-Phänomen: Der hundertprozentige Anstieg beim Subventionsbetrug. „Im Zusammenhang mit der Gewährung von Corona-Soforthilfen wurden 169 Fälle erfasst“, so Sütterlin-Waack. Mit einer „fast gleich großen Anzahl“, rechnet die Ministerin für 2021.

Mit 173.929 Straftaten (minus 9500 Fälle) ist die Zahl der Straftaten im Land auf den niedrigsten Stand seit 43 Jahren gesunken. Von positiven Folgen der Pandemie zu sprechen, klingt zynisch. Bei der Kriminalstatistik ist es jedoch augenfällig und das Corona-Virus hatte einen Anteil daran. „Maßgeblich ist die Statistik durch pandemiebedingte Faktoren geprägt“, erklärte Sütterlin-Waack.

Weniger Wohnungseinbrüche und Ladendiebstähle

Die Lockdowns nebst Homeoffice sorgten für 27 Prozent weniger Wohnungseinbrüche (minus 1208 Taten) sowie zwölf Prozent weniger Ladendiebstähle, ein Minus von 1534 Delikten. Die Straßenkriminalität nahm um 5,2 Prozent ab (minus 2155 Fälle) und es gab 5,5 Prozent weniger gefährliche und schwere Körperverletzungen (minus 237 Delikte). Ebenfalls positiv: Die Aufklärungsquote stieg auf 55,8 Prozent, die beste seit Statistik-Beginn 1963.

Mehr häusliche Gewalt und Sexualdelikte

Die Schattenseiten des Corona-Jahres: Mehr häusliche Gewalt und mehr Sexualdelikte. Wie die Ministerin sagte, hätten die Lockdown-Zumutungen „den Druck in belasteten Partnerschaften massiv erhöht“. Von Frauenberatungsstellen und dem Weißen Ring habe es bereits entsprechende Hinweise gegeben.

„Das wird nun leider durch die offiziellen Zahlen bestätigt“, erklärte Sütterlin-Waack. „Es gab einen Anstieg um 3,7 Prozent, das sind 180 Betroffene mehr als im Vorjahr.“ Und für Oktober bis Dezember 2020, die Kernphase des zweiten Lockdowns, seien Fälle möglicherweise noch in Bearbeitung und damit noch nicht Teil der Statistik.

Es gab zudem 288 angezeigte Vergewaltigungen, 39 (15,7 Prozent) mehr als im Vorjahr. Beim sexuellen Missbrauch von Kindern wurden 521 Fälle bekannt, 71 (15,8 Prozent) mehr als 2019. Den größten Anstieg gab es mit 33,4 Prozent bei der Verbreitung kinderpornografischer Schriften. Hier wurden 811 Delikte aktenkundig, 203 mehr als im Vorjahr.

Wie Rolfpeter Ott, beim Landeskriminalamt (LKA) für die Kriminalstatistik zuständig, sagte, erkläre sich dieser Anstieg allerdings auch mit der Aufklärung des Dunkelfeldes durch Polizeiarbeit. So wurden zuletzt etwa ein Drittel der Vorgänge durch das „National Center for Missing and Exploited Children“ in den USA angestoßen. Diese Kinderschutzorganisation bekommt verdächtiges Material deutscher User automatisch von den Internet-Konzernen.

Viele Quarantäne-Brecher

Ein hundertprozentiger Anstieg ist bei den erstmals gelisteten Vergehen nach dem Infektionsschutzgesetz zu verzeichnen. „Hier gab es 281 Straftaten“, so Sütterlin-Waack. Mehrheitlich ging es um Quarantäne-Brecher oder Fälle von nicht erlaubten Geschäftsöffnungen. „Nur vereinzelt gab es Fälle von Gewalt bei der Durchsetzung von Abstandsgebot, Maskenpflicht oder Kontaktbeschränkungen.“

 

Kommentar von Eckardt Gehm

Schlaglichter im Lockdown

Die Innenministerin ist klug genug, den signifikanten Rückgang bei den Straftaten nicht als positiven Trend zu verkaufen. Zu gewichtig ist der Anteil der Corona-Faktoren. CDU-Parteikollege Tim Brockmann hingegen sieht einen Erfolg der Jamaika-Koalition, die die Polizei gestärkt habe. Ob das so stimmt, wird sich erst in normalen Jahren zeigen.

Auffällig ist, dass es die größten Anstiege in Bereichen gibt, in denen Menschen für ihr Handeln selbst verantwortlich sind. Wenn jemand auf einen Internet-Betrug hereinfällt, deutet das auf eine fehlende Kenntnis digitaler Gefahren hin. Da kann Polizei nur bedingt helfen.

Auch bei der häuslichen Gewalt kann Polizei allenfalls akute Situationen entschärfen, das Problem bleibt. Somit hat die Statistik diesmal ein Schlaglicht auf gesamtgesellschaftliche Aufgaben geworfen, die es zu lösen gilt.

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