Tourismus-Situation

„Werden nie wieder machen können, was uns ausmacht“

„Werden nie wieder machen können, was uns ausmacht“

„Werden nie wieder machen können, was uns ausmacht“

Michael Stitz/shz.de
Westerland
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Herbert Seckler auf der Terrasse seiner Sansibar. Foto: Michael Stitz

Herbert Seckler spricht in seiner leeren Sansibar über die Folgen des Lockdowns und den Tourismus auf Sylt.

Vor dem Eingang zur Sansibar steht ein Tisch quer. Hier muss warten, wer sein bestelltes Essen abholen möchte. Ein Service, den die Sansibar wie auch einige andere Sylter Restaurants, anbietet. „Wirtschaftlich ist das nicht“, sagt Herbert Seckler, „aber wir haben etwas zu tun und viele Gäste sind froh, dass es diesen Service gibt“. Einige Tage nach unserem Interview wird er erzählen, dass man versucht hat, ihn anzuzeigen, weil angeblich Abstandsregeln nicht eingehalten wurden. Es sind diese Erlebnisse, die Herbert Seckler noch mehr betrüben als die von Corona bestimmte Situation ohnehin. 

Mich macht es einfach traurig, dass wir uns jetzt auch noch gegenseitig mit Beschimpfungen und Verdächtigungen, mit Neid und Missgunst das Leben schwerer machen.

Herbert Seckler

Herr Seckler, wie kommen Sie ansonsten mit der Situation klar?

„Hmm“, sagt der 68-Jährige leise, „irgendwie muss man sich daran gewöhnen. Man fällt in so eine Art Winterschlaf“.

In der Sansibar sind Tische und Stühle zusammengestellt. Ein Teil des Restaurants ist zum Büro umfunktioniert, stehen Computer auf den weit auseinander gestellten Tischen. Nur wenige maskentragende Mitarbeiten sitzen an den Rechnern.

Aber der Betrieb wird ja noch mit einem Abholservice aufrecht erhalten.

„Nein, damit hält man unseren Betrieb nicht aufrecht, denn das ist doch nichts. Aber wir wollen das tun, was geht: für unsere Gäste und natürlich für unsere Mitarbeiter.“

Haben Sie Sorge darum wie es weitergeht?

„In meinem Alter und mit meinen Vorerkrankungen hat man natürlich Sorge. Die ist doch sehr berechtigt, wenn man hört, was passieren kann. Es geht um die Gesundheit. Dass es hier irgendwann weiter geht, davon gehe ich aus – aber dieses Jahr nicht mehr…“

…wie in diesem Jahr geht es gar nicht mehr weiter? Das ganze Jahr 2021 nicht?

„..ist weg. Wir werden nicht das wieder machen können, was uns als Sansibar ausmacht.“

Nämlich?

„Freiheit, keine Verbote oder Verordnungen, keine Distanz, freie Platzwahl, sich umarmen dürfen, eng zusammen sein – das ist unsere Stärke gewesen. Das ist weg und kommt in diesem Jahr auf gar keinen Fall wieder.“

Kommt es überhaupt jemals so wieder wie es einmal war?

„Wenn die Impfungen endlich mal losgehen und wirken, dann werden wir irgendwann eine Herdenimmunität haben, aber das dauert.“

Werden Sie sich impfen lassen?

„Klares Ja!“

Würden Sie auch Ihre Mitarbeiter anhalten, sich impfen zu lassen?

„Das darf jeder machen wie er will. Ich finde schon, dass es freiwillig sein muss.“

Wie wirkt sich der jetzt ja seit Monaten anhaltende Lockdown wirtschaftlich für Sie aus?

„Eine Katastrophe! Ich hoffe, dass wir durchkommen.“

Sie haben rund 180 Mitarbeiter. Bleiben diese Ihnen alle treu?

„Ich weiß nicht, ob sie alle zu mir halten, aber wo sollen sie hin?“

Sind Sie einverstanden mit all den Maßnahmen, die verordnet werden?

„Nun, wenn ich mich frage, was ich anders oder besser machen kann, fällt mir auch nicht viel ein. Hinterher kann man immer schlauer sein.“

Sehen Sie Licht am Ende des Tunnels?

„Nicht mehr in diesem Jahr.“

Und dann, werden sich die Menschen ändern in ihren Verhaltensweisen, ihren Wünschen und Ansprüchen?

Ich glaube, dass dieser lockere, freie Umgang miteinander, die Umarmungen und so weiter nicht mehr so gelebt werden. Das hat man sich möglicherweise dann abgewöhnt. Ich könnte mir auch denken, dass man sich in überfüllten Räumen nicht mehr wohl fühlt.

Herbert Seckler

Ziehen Sie daraus Konsequenzen?

„Ja, ich würde mein Lokal nie mehr so voll machen. Das hat einen ja auch vorher schon bedrückt…“

Zu viel, zu voll, zu eng, war auch eine Klage, die manche auf Sylt nach dem ersten Lockdown angestimmt haben. Seitdem ist die Diskussion über die Zukunft von Sylt wieder stark in den Fokus gerückt Glauben Sie, dass sich der Tourismus auf Sylt verändern wird?

„Nein, eher umgekehrt. Die Nachfrage wird weiter wachsen. Das haben wir doch im vergangenen Jahr gesehen.“

Aber Sie nehmen wahr, dass die Diskussion um die Zukunft der Insel ein bestimmendes Thema ist?

Schon 1974, als ich auf der Insel kam, hat man über dieselben Themen wie heute diskutiert. Da gab es Aufkleber mit Sprüchen wie „Touris raus“ und ähnliches. Und viele von denen, da sich damals so geäußert haben, wurden dann selbst zu Vermietern oder Verkäufern ihrer Immobilien.

Herbert Seckler

…muss sich nicht trotzdem jetzt etwas ändern?

„Was will man denn ändern? Natürlich wäre es schön, wenn man die Insel ohne andere Menschen genießen könnte. Wir sind schon merkwürdige Wesen. Wenn wir glauben, es muss leer sein, dann sollen die anderen wegbleiben, aber doch nicht man selbst. Schon gar nicht, wenn man hier ein Geschäft hat. Dann will man vielleicht noch, dass die eigene Kundschaft, der eigene Gast es hier schön findet, aber die anderen stören dann, werden wie Feinde empfunden.“ 

Ich mag die Insel auch gern leer und möglichst noch sonnig. Aber ehrlich, wovon leben wir dann? Nicht nur wir Gastronomen, sondern auch die Handwerker, die Lehrer, die Ärzte, die Einzelhändler und, und, und. Und ganz ehrlich, wie oft ist die Insel denn so überlaufen, dass es überall zu voll ist? Vielleicht an zwanzig Tagen im Jahr. Ich kenne viele meiner Gäste, die sich trotz Hochsaison hier wohl fühlen, weil sie wissen, dass Sylt selbst dann noch stille, ruhige Ecken hat.

Herbert Seckler

Aber einfach weiter so, wird selbst diese stillen Ecken irgendwann verschwinden lassen.

„Es ist doch auch schon viel richtig gemacht worden. Der Naturschutz, der Dünenschutz, die Aktionen zum Erhalt der Heide oder der Küstenschutz sind doch alles Maßnahmen, die zeigen, dass die Verantwortlichen auf der Insel schon wissen, dass man ständig etwas tun muss, um die Insel und ihre Natur zu erhalten. Klar, es gibt Bausünden, es wird vielleicht auch immer noch zu viel gebaut, aber da wo heute neue Häuser entstehen, sind es oft doch sehr hochwertige, schöne Gebäude. Schau doch mal wie sich die Dörfer entwickelt haben, wie gepflegt und sauber es überall aussieht. Es bringt uns doch nix, wenn wir immer nur auf das gucken, was hässlich ist oder schiefläuft. Ich bin eigentlich sehr, sehr grün, ich liebe die Natur auf Sylt. Sie ist unser Kapital, das müssen wir pflegen und erhalten.“

Ist Sylt in der Gefahr, Gäste zu verlieren oder ist die Marke immer noch sehr stark?

„Ich habe vergangenes Jahr garantiert Gäste verloren.“

Wodurch?

„Durch mein Abwehrprogramm im letzten Jahr. Das war schon für viele Gäste eine Enttäuschung…“

…aber das haben Sie aufgrund der Verordnungen machen müssen.

„Ja, aber es hat mich depressiv gemacht, mich sehr belastet. Und wenn ich mir vorstelle, ich sitze im Sommer wieder da vorne und guck den ganzen Tag, dass meine Mitarbeiter und die Gäste alles richtig machen und muss ständig alle ermahnen, weil sie dies und das nicht dürfen. Wie oft bin ich darunter und hab‘ die Leute auseinander gejagt. Das war und ist alles ganz gegen meine Natur. Ich wüsste nicht, wenn ich das als Sansibar-Gast erlebt hätte, ob ich wieder kommen würde.“

Gab es nicht auch Gäste, die sich trotz all der Maßnahmen, hier wohl gefühlt haben?

„Doch ja, die gab es auch, das stimmt. Manche Gäste waren regelrecht dankbar, dass sie hier sein durften und haben mir auch gesagt, dass sie sich hier nicht nur wohl, sondern auch sicher gefühlt haben.“

Wie groß waren die Verluste auf der Grund der verordneten Sitzplatz-Reduzierung?

Wir hatten einen Umsatzeinbruch von etwa 50 Prozent. Dieses Jahr wird es sicher nicht besser.

Und dann?

Ich weiß es nicht. Die Insel war bis Corona kam mega attraktiv. Wir sollten alle alles dafür tun, dass sie es weiterhin bleibt.

 

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