Sylter Vergangenheit
So reiste man vor über 100 Jahren nach Sylt
So reiste man vor über 100 Jahren nach Sylt
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Wer im Jahr 1921 auf die Insel wollte, musste einige Unwegsamkeiten auf sich nehmen. So auch Victor Auburtin.
Victor Auburtin war ein weitgereister Mann. 1870 in Berlin geboren, arbeitete er nach dem Studium der Germanistik, Kunst- und Literaturgeschichte für verschiedene renommierte Zeitungen, wobei er viele Jahre als Reiseschriftsteller und freier Korrespondent in Europa unterwegs war.
Vor genau hundert Jahren führte ihn eine seiner Exkursionen nach Sylt. Auburtins anschauliche Schilderungen geben einen kleinen Eindruck einer Ära wider, die man angesichts der heutigen Entwicklung der Insel nur noch schwerlich erahnen kann.
Grenzlinie wurde verlegt
Schon die Anreise nach Sylt war 1921 recht umständlich. Denn als es ein Jahr zuvor als Folge des Ersten Weltkriegs im deutsch-dänischen Grenzgebiet zu einer Volksabstimmung über die Nationalität kam, wurde die Grenzlinie wurde daraufhin einige Kilometer weiter südlich auf die heutige Höhe verlegt.
Was daraus resultierte, beschrieb Victor Auburtin so:
Wer jetzt mit der Eisenbahn nach Sylt fährt, der muss durch ein Stück des neuen Dänemark hindurch. Bei Süderlügum kommt der Schaffner mit einer großen Zange und knipst an jede Tür des Zuges ein Bleisiegel, wobei er einige Witze macht.
Victor Auburtin
Und weiter: "In Hoyerschleuse werden wir durch eine dänische Mannschaft in die große Wartehalle geführt und dort in Ketten gelegt. Das heißt, es bekommt nicht etwa jeder einzelne Ketten an die Hände, sondern es werden vor die Tür Ketten gespannt, und an jede Tür tritt ein Posten. Dieser Posten hat für alle Fälle eine Flinte bei sich, und so bewaffnet hütet er uns Deutsche, die in der Halle warten müssen, bis der deutsche Fährdampfer kommt, und die sich die Zeit damit vertreiben, dass sie dänische Postkarten schreiben."
Mit der Inselbahn ins Zentrum
Am Munkmarscher Hafen endlich angekommen, ging es mit der Inselbahn ins Inselzentrum: "In Westerland auf Sylt sind schon viele elegante Leute anwesend. Die große Sturmflut dieses Winters hat eine Strecke der Strandmauer eingerissen, die jetzt wieder hergestellt wird und in einigen Tagen fertig sein kann. Wir haben Nachmittagstees und abends schluchzen die Tanzdielen, denen man schöne Namen wie Trocadero, Bristol oder Astoria gegeben hat."
Außerhalb von Westerland herrscht seinerzeit noch Ruhe. Außer Wenningstedt hat der Fremdenverkehr die Inseldörfer noch nicht erfasst, wie auch Auburtin registriert:
Die Insel ist so groß, sie setzt dicht bei den letzten Häusern Westerlands mit solcher wilden Meereseinsamkeit ein, dass auch der abseitige Schwärmer finden kann, was er sucht. Und wer ein wenig geschickt ist, der kann billig leben. Die Nordseebäder sind nicht so kostspielig, wie ich es mir gedacht habe.
Victor Auburtin
Ein Ausflug führt den Reiseschriftsteller auch nach List. Schon seit Jahrhunderten hatten die Sylter dort Austernbänke abgefischt; mit Beginn des 20. Jahrhunderts erhöhten sich die Erträge durch eine planmäßige Züchtung sprunghaft – die "Königlich Preußische Austernfischerei-Pachtungsgesellschaft" exportierte jährlich bis zu mehrere Hunderttausend Schalentiere aufs Festland.
Über die Sylter Austernbänke
Victor Auburtin freilich genoss die Meeresfrüchte natürlich direkt vor Ort: "Am äußersten Nordende der Insel befinden sich die Sylter Austernbänke. In einem verhutzelten, alten Gasthaus werden die Austern aus einem Meeresbecken geholt und mir von einem friesischen Mädchen gebracht. Die Schalen der gegessenen Tiere würden später auf die Felder geworfen, erzählt sie mir, wo sie mittlerweile schon ganze Haufen bilden."
Nach Sylt kehrte Auburtin nicht mehr zurück. Er verstarb sieben Jahre später am anderen geografischen Ende des Deutschen Reichs in Garmisch-Partenkirchen.