Geburtshilfe

Warum Hausgeburten auf Föhr so schwierig sind

Warum Hausgeburten auf Föhr so schwierig sind

Warum Hausgeburten auf Föhr so schwierig sind

Anna Goldbach/shz.de
Föhr
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Die Empfehlung des Kreises Nordfriesland? Vorgeburtliche Unterkünfte oder die Möglichkeit einer Hausgeburt auf dem Festland in Anspruch nehmen. Foto: Uli Deck/dpa

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Seit 2015 müssen schwangere Insulanerinnen für die Entbindung ihrer Kinder aufs Festland.

Hausgeburten auf Föhr könnten künftig wieder möglich sein, wie Hebamme Kerstin Lauterberg bestätigt. Durch eine Haftpflichtversicherung der auf der Insel ansässigen Gynäkologin Dr. Juliane Engel seien zwar die Voraussetzungen für die Versorgung von geburtshilflichen Notfällen gegeben – nicht aber die Versorgung für eine aktive Geburtshilfe. Dennoch: „Das macht es für mich jedoch theoretisch möglich Hausgeburten auf Föhr durchzuführen“, so die Föhrer Hebamme. Noch, so betont sie, kann sie jedoch keine Hausgeburten anbieten, dafür fehlen noch letzte rechtliche Absprachen.

Anders sieht das der Kreis: „Auf der Insel Föhr gibt es keine fachärztliche Versorgung für die aktive außerklinische Geburtshilfe. Frau Engel als Fachärztin hat gegenüber der Kreisverwaltung wiederholt erklärt, dass sie lediglich zur geburtshilflichen Notfallversorgung zur Verfügung steht“, so Kreissprecher Hans-Martin Slopianka auf Anfrage unserer Zeitung. Die Ärztin habe unmissverständlich angekündigt, von dem Vertrag mit dem Kreis über die geburtshilfliche Versorgung zurückzutreten, wenn sie unberechtigterweise als fachärztliche Versorgung für geplante Hausgeburten genutzt werden sollte.

Dabei ist es viel eher so, dass Juliane Engel eine fachärztliche Versorgung für geplante Hausgeburten nicht anbieten kann und darf. Ihre Versicherung decke diese nämlich nicht ab, berichtet die Gynäkologin. Denn die Voraussetzung, dass eine Klinik mit Geburtenstation im Fall eines Notfalls innerhalb eines vorgegebenen Zeitrahmens erreichbar sein muss, ist auf Föhr nicht gegeben. Konkret: Würde die Station also wieder geöffnet, sähe das anders aus. Dann würde Engels Versicherung auch bei geplanten Hausgeburten greifen.

Eine Grauzone?

Möglich seien Hausgeburten, trotz der Empfehlung des Kreises, diese nicht anzubieten, deshalb, weil bei einer Entbindung, sofern diese normal verläuft, kein Arzt anwesend sein muss. Laut Hebammenberufsverordnung beraten, betreuen und beobachten Hebammen Frauen während der Schwangerschaft, bei der Geburt, während des Wochenbettes und der Stillzeit selbständig. Eine ärztliche Begleitung sei demnach nur dann erforderlich, wenn es sich um einen Notfall handelt. Für eben diese Fälle sei die Versorgung von geburtshilflichen Notfällen gegeben. „Und in der Regel benötige ich ja niemanden“, erläutert auch Anke Bertram, Vorsitzende des Hebammenverbandes Schleswig-Holstein, die sich derzeit im Austausch mit dem Kreis befindet. Sie sagt, dass Hausgeburten durchaus sicher seien.

„Es gibt medizinische Befunde, die es erforderlich machen, unter der Geburt Hilfe in Anspruch zu nehmen, die über die Hebammenhilfe hinausgeht“, heißt es dazu vonseiten des Kreises. Rechtlich gesehen ist es so, dass eine Frau auch während der Entbindung einen Anspruch auf ärztliche Betreuung hat. Diese ärztliche Betreuung könne in den Kliniken auf Föhr und Sylt nicht garantiert werden, so Slopianka. „Diese Tatsache sowie die nicht zu garantierende zeitnahe Verlegungsmöglichkeit erfordern eine besonders sorgfältige Abwägung bei der Entscheidung über den Geburtsort. Die medizinische Expertise der Hebamme ist ein wichtiger, aber nicht der einzige Faktor in der Entscheidungsfindung.“ Er betont, dass grundsätzlich nichts gegen eine geplante Hausgeburt in der Nähe einer geeigneten Klinik spräche. Die Krux: Diese Nähe ist auf den Inseln in Nordfriesland nicht gegeben. „Geburten sollten daher nur auf dem Festland durchgeführt werden“, hebt Slopianka noch einmal hervor.

Es gibt medizinische Befunde, die es erforderlich machen, unter der Geburt Hilfe in Anspruch zu nehmen, die über die Hebammenhilfe hinausgeht.

Hans-Martin Slopianka, Kreis Nordfriesland

Nach Schließung der Geburtsstationen in der Klinik auf der Insel Föhr im Jahr 2015 hat das Land Schleswig-Holstein die Geburtenstationen nicht mehr in seinem Krankenhausplan verankert. Die „suboptimalen Zustände“ in der geburtshilflichen Versorgung verhindern demnach eine geplante Geburt auf den Inseln Amrum, Föhr und Sylt. „Durch die vom Kreis Nordfriesland gemeinsam mit weiteren Partnern geschaffenen Alternativen und Maßnahmen konnten zwar Qualitätsverbesserungen in der Versorgung von geburtshilflichen Notfällen erreicht werden – mehr war und ist dort jedoch nicht möglich“, so Slopianka. Konkret bedeute das, dass insbesondere aufgrund der Insellage und der nicht zu unterschätzenden Gefahr, dass geeignete Rettungsmittel nicht zeitnah zur Verfügung stehen, ein deutlich erhöhtes medizinisches Risiko bestehe.

Auf Föhr stehen also nach wie vor keine geeigneten medizinischen Voraussetzungen für eine klinische Geburt zur Verfügung. Das hatte kurzzeitig anders ausgesehen: Mit dem Projekt „Babynest Föhr“, einem Geburtshaus auf der Insel, sollte Schwangeren ermöglicht werden, die Insel zur Geburt nicht verlassen zu müssen. Das Projekt scheiterte jedoch 2019, weil der Hauptsponsor seine Zahlungen aufgrund von ungeklärten Mietverhältnisse vorläufig eingestellt hatte und der Verein „Inselgeburt“ Insolvenz anmelden musste.

Anfragen steigen während der Pandemie

Dabei sei ein Geburtshaus die optimale Lösung, wie Kerstin Lauterberg, die das „Babynest Föhr“ hätte führen sollen, findet. „Sicher würden sich dann noch mehr Frauen für eine Insel-Geburt entscheiden“, so die Hebamme. Auch die Zahlen sprechen für sich: Weil werdende Mütter ein Infektionsrisiko im Krankenhaus vermeiden wollen, setzen sie, laut Einschätzung des Hebammenverbandes Schleswig-Holstein, immer häufiger auf eine außerklinische Entbindung. Die Rate für außerklinische Geburten habe vor der Pandemie noch bei etwa ein bis zwei Prozent gelegen, erklärt die Verbands-Vorsitzende, die von einer Verdoppelung der Zahlen ausgeht. Auch Kerstin Lauterberg erhält immer wieder Anfragen von Insulanerinnen, die in ihren eigenen vier Wänden entbinden wollen. „Aber die Geburtshilfe wird wie immer wieder hinten angestellt“, sagt sie.

Doch auch in Geburtshäusern könnten jederzeit Komplikationen und Gesundheitsgefährdungen für Mutter und Kind auftreten. „In diesen Fällen verlegen Geburtshäuser die werdende Mutter umgehend in eine geeignete Klinik – die es jedoch nur auf dem Festland gibt“, erläutert der Kreissprecher. Bei rund 15 Prozent aller außerklinisch begonnenen Geburten würden Komplikationen auftreten, die wiederum eine Verlegung in eine Klinik erforderlich machten. Dort erst könne der weitere Geburtsvorgang dann von einem qualifizierten Team von Ärzten und Pflegekräften begleitet werden. „Das betrifft also etwa jede sechste außerklinisch begonnene Geburt. Dies ist aus Sicht des Kreises Nordfriesland Grund genug, an unseren Empfehlungen festzuhalten“, so Slopianka weiter. Denn im Vordergrund aller Überlegungen müsse eines stehen: die Gesundheit von Mutter und Kind.

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