Diese Woche in Kopenhagen

„Die Corona-Warte“

Die Corona-Warte

Die Corona-Warte

Kopenhagen
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Der moralisierende Ton von Regierung und Behörden fördert auch weniger schöne Seiten von uns. Dies kann auch langfristig unser Miteinander beschädigen, meint Walter Turnowsky, Korrespondent in Kopenhagen.

Als es uns am Montag vergangener Woche wieder gestattet wurde, gemeinsam in unserem Verein zu laufen, geschah dies selbstverständlich unter Einhaltung der Corona-Regeln. Jede Gruppe darf aus höchstens zehn Personen bestehen, und es werden zwei Meter Abstand gehalten.

Letzteres ist erst einmal gewöhnungsbedürftig. An einer Baustelle entstanden kurzzeitig Zweifel, wo es langgeht, und die Schlange schob sich etwas zusammen. Sofort fauchte uns eine Passantin an: „Das sind keine zwei Meter Abstand.“ Ihr persönlich waren wir nicht zu nah gekommen.

Als Laufgruppe werden wir es verkraften und legen jetzt unsere Routen so, dass wir möglichst wenigen begegnen. Aber jene Frau ist ja nicht die Einzige. Durch Corona fühlen sich einige Menschen bemüßigt, anderen zu erzählen, wie sie sich zu benehmen haben.

Ermutigt durch Mettes Zeigefinger

Ich behaupte, dass es vor allem jene sind, die andere schon immer gerne maßregeln wollten, die sich jetzt bestätigt fühlen und ihren inneren Abschnittsbevollmächtigten oder Blockwart ausgraben.

Schließlich machen es ihnen Regierung und Behörden ja vor. Von der ersten Pressekonferenz an war der moralisch erhobene Zeigefinger ein zentraler Teil der Kommunikation von Staatsministerin Mette Frederiksen (Soz.).

Bei sich selbst anfangen

Und seien wir mal ehrlich, sind wir nicht alle von dem Kontroll-Virus mehr oder weniger infiziert worden. Ich zumindest habe mich dabei ertappt, dass mir die Schelte schon auf der Zunge lag, wenn Leute etwas zu nahe herantreten oder jemand aus schlechter Gewohnheit auf die Straße spuckt.

Mir geht es hier nicht darum, die Richtlinien zur Vorbeugung infrage zu stellen. Und am Anfang der Krise war es sicher sinnvoll seitens der Regierung und Behörden, den Ernst der Lage und die Eigenverantwortung des Einzelnen zu verdeutlichen.

Es geht um den Virus – nicht um Regel

Dabei ist wichtig, festzuhalten, dass es bei der Bewältigung der Corona-Krise nicht in erster Linie darum geht, dass alle Bürger sämtliche Regeln und Empfehlungen zu jedem Zeitpunkt genauestens einhalten. Sondern es geht darum, die Anzahl der Infizierten und vor allem der schweren Erkrankungen möglichst niedrig zu halten. Und hier gehen die Zahlen weiterhin in die richtige Richtung.

Das Einhalten von Regeln darf gerade in einer so ernsten Krise nie zum Selbstzweck geraten.
Auf einem Redepapier von Staatsministerin Mette Frederiksen zu einer Pressekonferenz vom 18. März steht handschriftlich notiert, man solle jene, die nicht vernünftig sind, „beschämen“ (udskam). Dies hat ein Foto in „Politiken“ dokumentiert.

Ein aussagekräftiges Redepapier

Mette Frederiksen hat zwar abgestritten, dass dies Bestandteil der Strategie der Regierung sei. Hat man die Äußerungen von ihr und ihren Ministern verfolgt, darf man jedoch anzweifeln, ob diese Aussage stimmt.

Das eine Mal nach dem anderen wurde mit ernster Miene darauf hingewiesen, nicht alle würden die Richtlinien befolgen, oder auch, dass einige angefangen hätten, es damit wieder lockerer zu nehmen. Oft genug beruhten diese Aussagen auf anekdotischen Informationen oder Fotos, wo es stark auf den Blickwinkel des Fotografen ankommt.

Zahlen gehen in die richtige Richtung

Und um es noch einmal zu betonen, diese moralisierenden Aussagen kamen auch zu einem Zeitpunkt, als längst klar war, dass die Zahlen sich in die richtige Richtung entwickeln. Wo mit anderen Worten klar war, dass sich die Bevölkerung sich vernünftig und verantwortungsbewusst benimmt.

Vor allem die Jugend war immer wieder Ziel, wenn Mette Frederiksen, unterstützt vor allem von Gesundheitsminister Magnus Heunicke, ihre Moralpredigten vortrug.

Die Jugend von heute

Und die Behörden haben immer wieder nachgelegt.

Gerade vergangene Woche fühlte sich Chefvirologe Kaare Mølbak vom Serum Institut bemüßigt, Schelte an Teenagern zu üben, weil die Anzahl der Infizierten unter ihnen stark angestiegen war. Dabei ist er leicht darum hinweggegangen, dass sie immer noch die Altersgruppe sind, in der der Anteil der Angesteckten am niedrigsten ist.

Einige Tage davor war es Reichspolizeichef Thorkild Fogede, der das Verhalten von Jugendlichen kritisierte. Kurz darauf kamen die sogenannten „Hotspots“, wo von Versammlungen abgeraten wurde. Und kurz darauf dann auch die ersten Verbote und Geldbußen.

Auch hier fällt auf, dass bei den Hotspots Treffpunkte von Jugendlichen stark vertreten waren.
Mein Bild von dem Verhalten der meisten Jugendlichen ist ein anderes. In den Parks wird Abstand gehalten. Drei bis vier Freunde treffen sich im Freien auf ein Glas Wein, gerade um ein Treffen zu Hause zu vermeiden (und hier ist mir durchaus bewusst, dass auch dies auf anekdotischem Wissen basiert).

Der verlorene Sommer

Dass es auch anders geht als mit der ewigen Schelte, hat der norwegische Gesundheitsminister Bent Høje eindrucksvoll vorgemacht. In einer Rede dankte er der Jugend dafür, dass sie ihr Leben weitgehend auf Pause gestellt hat.

„Denn der Sommer, den du als 17-Jähriger verlierst, lässt sich nicht wiederholen“, so der Minister.

An der Art, wie die dänischen Minister und Behörden kommunizieren, werden wir wenig ändern können. An unserer Reaktion schon.

Denn ich befürchte, unser Miteinander kann auch langfristig Schaden nehmen, wenn wir hier nicht gegensteuern. Und hier können wir uns an Bent Høje ein Beispiel nehmen.
Dies geht unter anderem, indem wir die große Mehrheit loben, die sich vernünftig und verantwortungsbewusst verhält und auch im persönlichen Gespräch anerkennen, dass dies für viele eine schwierige Zeit ist.

Und die Blockwarte und Abschnittsbevollmächtigten – auch die inneren – sollten wir dorthin verweisen, wo sie hingehören: auf die Müllhalde der Geschichte.

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