Diese Woche in Kopenhagen

„Ich möchte Teil dieser Jugendbewegung sein“

Ich möchte Teil dieser Jugendbewegung sein

Ich möchte Teil dieser Jugendbewegung sein

Jan Diedrichsen
Jan Diedrichsen
Kopenhagen
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Die Kombination von Digitalisierung, Globalisierung, Klimawandel bereitet den jungen Klima-Protestlern zu Recht Sorge. Sie erleben eine politische Struktur, die nicht in der Lage ist, die existentiellen Probleme anzugehen oder gar zu lösen, meint der Leiter des Kopenhagener Sekretariats der deutschen Minderheit in Dänemark, Jan Diedrichsen.

Als wir in den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, im politisierten Übermut, in langen bierseligen Diskussionen, über die gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten und die Ausbeutung in der Welt philosophierten, lief dabei häufig ein Lied: „Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein“ von Tocotronic. Der Song der Hamburger Band wechselte sich nahtlos mit den Melodien der viel genutzten CD (ja, damals gab es noch CDs) „Hannes Wader singt Arbeiterlieder“ ab. Das ist über 20 Jahre her. Zu einer Jugendbewegung hat es unsere Generation jedoch nicht gebracht.

Anders ist das natürlich mit Blick auf die sprichwörtlich gewordene Jugendbewegung der 68er. Ohne Zweifel haben die 68er die Gesellschaft nachhaltig verändert, wenngleich die müden Kämpfer nach einem „langen Marsch durch die Institutionen“ mittlerweile alle in den Ruhestand getreten sind. Doch beiden Generationen wird man – so ist zu vermuten – mit Blick der Historiker vorwerfen, dass sie den schier explodierenden Wohlstand und die technischen Errungenschaften ihrer Zeit nicht genutzt haben, um eine bessere Welt zu hinterlassen. Ganz im Gegenteil: Klimawandel, Digitalisierung und Globalisierung scheinen sich derzeit zu einem gefährlichen Mix zusammenzubrauen, der die Zukunftsaussichten für die junge Generation gefährlich trübt.

Daher ist es vielleicht gar nicht so verwunderlich, dass sich nach einer langen Karenz derzeit eine neue Jugendbewegung zu formieren scheint. Sie sind jung und werden immer lauter und protestieren ganz anders, als wir „Alten“ dies uns erwarten. Sie entscheiden Wahlen und machen dem etablierten politischen Establishment eine Heidenangst. Es sind junge Menschen, die teilweise geboren wurden, als Tocotronic bereits den Zenit überschritten hatte. Sie heißen Greta Thunberg, Rezo, Luisa Neubauer, Rutger Bregman, Alexandria Ocasio-Cortez. Sie protestieren in „Friday for future“-Demonstrationen, sie bespielen die sozialen Medien wie eine Klaviatur, machen auf Missstände aufmerksam und legen dabei für die politischen Prozesse und Beschwichtigungen des Establishments eine wachsende Verachtung an den Tag. Es wird in einigen Medien bereits von den 19er gesprochen – sozusagen als Hommage an die 68er.

Die Kombination von Digitalisierung, Globalisierung, Klimawandel bereitet den jungen Protestlern zu Recht Sorge. Sie erleben eine politische Struktur, die nicht in der Lage ist, die existentiellen Probleme anzugehen oder gar zu lösen. Die Machtstrukturen – vor allem zusammengefasst in den politischen Parteien – finden wortwörtlich keine Sprache, um mit den Jugendlichen in Kontakt zu treten. Es ist derzeit gesellschaftlich vieles im Fluss. Wie so oft geht dies von den urbanen Zentren aus, reicht aber mittlerweile auch weit in die Fläche. Die Idee des guten Lebens ändert sich. Es ist nicht mehr das Haus, das Auto, die Statussymbole, der Vollzeitjob bei der Bank oder in der Fabrik, die das Leben ausmachen. Es sind andere Werte und Freiheiten, die im Zentrum stehen. Es wird gegen die Abschottungspolitik und die Ausbeutung der Natur, für das Tierwohl, die Geschlechtergerechtigkeit, Menschen- und Minderheitenrechte gestritten. Vieles mag einigen naiv und moralisierend daherkommen, aber immer mehr Menschen ist es sehr ernst mit ihrem politischen Engagement: von wegen, die Jugend sei apolitisch.

Natürlich ist nicht die ganze Jugend Teil dieser neuen Jugendbewegung. Es gibt Gegentendenzen und die Schwerpunkte sind auf das urbane Milieu im Westen Europas konzentriert. Auch die „Alten“ melden sich immer stärker kritisch zu Wort. Doch wenn es dem „politischen Establishment“ nicht gelingen sollte, Antworten und Gesprächsangebote zu formulieren, sowie die verkrusteten Strukturen der Willensbildung aufzubrechen, könnte sich in der Tat eine Protestbewegung festsetzen. Doch vielleicht ist es ja auch genau das, was wir derzeit brauchen?

Während des Schreibens dieser Kolumne habe ich wieder mal Tocotronic bei Spotify (einen CD-Player besitze ich nicht mehr) „aufgelegt“: „Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein“ klingt es und ich grüble darüber nach, ob die heutige Jugendbewegung einen alten Sack, mit über 40 Jahren kooptieren würde?

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