Diese Woche in Kopenhagen

„Kultureller Genozid: Was unternimmt Kopenhagen?“

Kultureller Genozid: Was unternimmt Kopenhagen?

Kultureller Genozid: Was unternimmt Kopenhagen?

Jan Diedrichsen
Jan Diedrichsen
Kopenhagen
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Menschenrechte haben in den letzten Jahren in der internationalen Politik massiv an Bedeutung verloren, meint der Leiter des Kopenhagener Sekretariats der deutschen Minderheit in Dänemark, Jan Diedrichsen. Das zeigt vor allem der Fall der Uiguren in China.

Wer sich mit dem Minderheitenschutz und den Menschenrechten weltweit beschäftigt, für den ist Frustration kein unbekanntes Gefühl. Menschenrechte haben in den letzten Jahren in der internationalen Politik massiv an Bedeutung verloren. Wir erinnern uns daran, dass die dänische Regierung vor nicht allzu langer Zeit versuchte, die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) zu ändern; eine der großen Errungenschaften Europas und Inspiration für den weltweiten Schutz der Menschenrechte.

Die Vereinigten Staaten von Amerika haben durch den Präsidenten bereits ankündigen lassen, dass auch die Menschenrechte als Verhandlungsmasse in den Handelsgesprächen mit China einzusetzen sind. Wirtschaft hat Konjunktur, Menschenrechte nicht.

Die Europäische Union ist seit Jahren mit sich selbst beschäftigt (siehe Brexit) und weit davon entfernt, die Lücke zwischen eigenem moralischem Anspruch und machtpolitischem Handeln für die Menschrechte zu schließen.

Die Autokraten und Diktatoren weltweit freut diese westliche Passivität. Die Menschenrechtsverletzungen nehmen zu, und jeder der dagegen aufbegehrt, wird drangsaliert oder eingeschüchtert. Ein Beispiel habe ich miterleben können, als sich die chinesische Regierung vehement dafür einsetzte, der Gesellschaft für bedrohte Völker (GFBV) die Akkreditierung als Nichtregierungsorganisation (NGO) bei den Vereinten Nationen in New York entziehen zu lassen. Hintergrund: Seit Jahren verhelfen wir den Uiguren vor der UNO zu Rederecht. Sehr zum Ärgernis der Chinesen.

Schicksal der Uiguren, Kasachen und Kirgisen

GfbV-Mitglied Dolkun Isa berichtet seit Jahren in New York über das Schicksal der Uiguren, Kasachen und Kirgisen, die von der chinesischen Regierung willkürlich in Umerziehungslager verschleppt und dort einer systematischen Gehirnwäsche unterzogen werden. Als Dolkun Isa im Mai dieses Jahres seine Rede vor der UNO beendet hatte, stand ein Vertreter der chinesischen Regierung auf und beschimpfte ihn als Terroristen. Vertreter Deutschlands und der USA widersprachen.

„Alle Aspekte der uigurischen Identität werden von der chinesischen Regierung bedroht: unsere Sprache, Geschichte, Kultur und die muslimische Religion der Uiguren. Unsere Identität droht vollständig zu verschwinden“, erklärte Isa in New York.

Im Mai 2018 erfuhr Dolkun Isa, dass seine eigene Mutter Ayhan Memet in einem der inzwischen 1.300 Lager verstorben war. „Über zwei Jahre hatte ich ihre Stimme nicht hören können, über 20 Jahre konnte ich sie nicht treffen“, berichtete Isa damals.

Seit Jahren prangert die GfbV die Menschenrechtsverletzungen gegen die Uiguren an. Mit den weltweiten Medienenthüllungen der vergangenen Tage wird bestätigt, was schon lange bekannt war: In Umerziehungslager werden Uiguren und andere muslimische Minderheiten willkürlich inhaftiert und indoktriniert. Es findet ein kultureller Genozid statt.

Ideologien unterwerfen

Vertrauliche Dokumente der kommunistischen Partei Chinas belegen das geheime Vorhaben. Die Inhaftierten sollen ihrer Religion abschwören und sich der Ideologie der kommunistischen Partei unterwerfen.

Die „New York Times“ hatte interne Dokumente der chinesischen Regierung veröffentlicht, und am Wochenende zog ein investigatives Reporterkollektiv aus britischen und deutschen Journalisten mit einer umfangreichen Recherche nach. Das ganze schreckliche Ausmaß lässt sich unter anderem bei der BBC oder der „Süddeutschen Zeitung“ (auch online) nachlesen.

Ich bin gespannt, wie sich die Politik in Kopenhagen verhalten wird. Wird sich die Regierung von Mette Frederiksen äußern, gar auf europäischer Ebene für eine deutliche Reaktion gegenüber China streiten? Minderheitenschutz und Menschenrechte als Kern der dänischen Außenpolitik? Werden die Oppositionsparteien mit den Unterstützerparteien der Regierung vom linken Flügel in Kopenhagen die Regierung drängen, sich der schrecklichen Menschenrechtsverletzungen in China anzunehmen? Eher nicht. Menschenrechte haben derzeit weltweit halt keine Konjunktur.

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Leitartikel

Cornelius von Tiedemann
Cornelius von Tiedemann Stellv. Chefredakteur
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