Diese Woche in Kopenhagen

„Neujahrsvorsatz: Entzug“

„Neujahrsvorsatz: Entzug“

„Neujahrsvorsatz: Entzug“

Jan Diedrichsen
Jan Diedrichsen
Kopenhagen
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Ein Kommentar zum Suchtfaktor von Sozialen Medien von Jan Diedrichsen, Leiter des Sekretariats der Deutschen Volksgruppe in Kopenhagen und Leiter der Vertretung des Schleswig-Holsteinischen Landtages bei der Europäischen Union in Brüssel.

Gibt es ein Leben nach den Sozialen Medien? Seit dem 1. Januar habe ich mich aus den großen Netzwerken abgemeldet: Facebook, Twitter, Instagram und Google-Account sind gelöscht. Wenn man sich gerade in Goa, Indien, an einem klischeehaft-schönen Sandstrand befindet (so wie ich), gibt es – zugegebenermaßen - einige Entzugserscheinungen. Vor allem das Foto mit der heiligen indischen Kuh am Strand, hätte viele Likes erhalten, da bin ich mir sicher. 

Mir ist es wahrlich kein Anliegen, irgendjemanden zu bekehren oder mich besser stellen zu wollen. Ich verstehe diejenigen gut, denen die Sozialen Medien ein wichtiger Bestandteil des Alltages sind. Sie stellen in der Tat eine enorme Erweiterung des Kontaktfeldes dar; man bleibt mit Menschen in Beziehung, die man sonst nie sehen würde, kann an verschiedenen politischen Diskursen teilnehmen, Gleichgesinnte oder Menschen mit ähnlichen Problemen / Krankheiten oder Interessen treffen, was früher undenkbar gewesen wäre. 

Die großen Anbieter der Sozialen Medien dominieren die Kommunikation weltweit und haben uns alle abhängig gemacht. Keine Firma, kein Politiker, keine Zeitung, kommen ohne die Sozialen Medien aus. Es hat eine Revolution solchen Ausmaßes stattgefunden, dass diese schwer in Worte zu fassen ist. Unser Leben - von Privatsphäre über Konsum, bis hin zur Politik - ist durch die Sozialen Medien grundlegend verändert worden. Es ist keine Medienrevolution, sondern eine gesellschaftliche Revolution, die weiterhin in vollem Gange und meiner Meinung nach sehr gefährlich ist.

Denn die Vorteile, werden durch die negativen Auswirkungen überschattet. So richtig der Dimension der Bedrohung bewusst, wurde ich durch die Lektüre von Jaron Laniers Buch „Zehn Gründe, warum du deine Social Media Accounts sofort löschen musst“. Lanier ist nicht irgendjemand, er gehört zu den Pionieren des Silicon Valley und hat an fast allen wichtigen Entwicklungen der letzten 20 Jahre maßgeblich mit-programmiert und entwickelt. Er hat ein flammendes, sachkundiges Plädoyer wider der Social Media-Macht geschrieben. Er zerlegt die Mechanismen der Plattformen mit philosophischer und technischer Brillanz und zeigt, wie Social Media uns überwacht, analysiert und als Datensätze verhökert. Ja, Lanier geht in die Vollen. Hier die Hauptargumente, die er in jeweils einem Kapitel kenntnisreich ausführt: 

Social Media macht Dich zum Arschloch, untergräbt die Wahrheit, macht was Du sagst bedeutungslos, tötet dein Mitgefühl, macht dich Unglücklich, befördert prekäre Arbeitsverhältnisse,  macht Politik unmöglich, hasst Deine Seele und vor allem, so Lanier, sorgt Social Media dafür, dass Du Deinen Willen verlierst. 

Mittlerweile gilt es als gesichert, dass die Wahl von Donald Trump durch Facebook und den anderen Sozialen Medien entschieden wurde. Auch der Brexit lässt sich wahrscheinlich auf Manipulation der sozialen Medien zurückführen. Der Völkermord an den Rohingyas in Burma wurde durch eine Facebook-Kampagne initiiert bzw. angefeuert. 

Lanier ruft zum Protest auf. Wir sollen unsere Accounts löschen, denn nur der Konsumentenprotest (Social Media Firmen haben nur eine Agenda: Geld verdienen und zwar an uns) wird die großen Anbieter zum Umdenken bewegen. Allein die Marktmacht wird sie zwingen, zu besseren Akteuren zu werden und Produkte zu schaffen, mit denen wir uns wieder guten Gewissens vernetzen können. Falls ein Konsumentenprotest Wirkung zeigen sollte, dann wäre das natürlich positiv. Aber wichtiger erscheint mir, dass 2019 endlich die Politik das Heft des Handelns in die Hand nimmt und das korrupte und korrumpierende Geschäftsmodell hinter den Sozialen Medien an die Kette legt.

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