Leitartikel

„11. November 18-18“

„11. November 18-18“

„11. November 18-18“

Siegfried Matlok
Siegfried Matlok Senior-Korrespondent
Apenrade/Aabenraa
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100 Jahre nach dem Waffenstillstand: Dänische und deutsche Nordschleswiger kämpften und fielen im Ersten Weltkrieg Seit an Seit. Das Kriegsende 1918 ist auch heute eine Mahnung, meint Siegfried Matlok.

Im nordfranzösischen Braine wurde auch in Anwesenheit von Prinz Joachim auf „Den sønderjyske Kirkegaard“ der 5.323 Gefallenen aus Nordschleswig gedacht. Am 11. November 1918 um 11 Uhr schwiegen die Waffen im Ersten Weltkrieg –  zwei Tage zuvor hatte der Sozialdemokrat Philipp Scheidemann vom Balkon des Berliner Reichstagsgebäudes die Republik ausgerufen; neben ihm stand dabei sogar der Dänenführer H. P. Hanssen. Der Erste Weltkrieg zog eine blutige Spur durch Nordschleswig; die meisten Familien hatten Opfer zu beklagen, der Ort Feldstedt allein verzeichnete 89 Gefallene.  Die dänischen Verluste waren damit insgesamt wesentlich höher als bei den Kämpfen 1864, und im Gegensatz dazu (auch zum späteren Zweiten Weltkrieg) traf der Tod zwischen 1914-1918 nur Nordschleswig. 

In jenen November-Tagen vor 100 Jahren, als Nordschleswig neben Hunger auch von einer Grippe-Epidemie erfasst wurde, die zahlreiche Todesfälle verursachte, begann, was am 15. Juni 1920 als deutsche Minderheit (wider Willen) offiziell seinen Anfang nahm. Die deutsche Volksgruppe in Nordschleswig ist, wie es Pastor und Historiker Dr. Günther Weitling einst formulierte, eine „Geschichts-Minderheit“: Schon vor Annahme der Waffenstillstandsbedingungen, vor Ausrufung der Republik und der Abdankung des deutschen Kaisers – Kaiserin Auguste Viktoria stammte ja aus dem Hause Sonderburg-Augustenburg und starb 1921 im holländischen Exil – zeichneten sich dramatische Veränderungen ab, die mit dem Versailler Vertrag und den späteren Volksabstimmungen 1920 ihren vorläufigen Höhepunkt fanden.

Die in Hadersleben erscheinende „Schleswigsche Grenzpost“ veröffentlichte bereits am 2. November einen Aufruf vom „Vorstand  des Deutschen Vereins für das nördliche Schleswig“, in dem es u. a. hieß: „Im Augenblick schwerster Bedrängnis glaubt der Vertreter der Nordmark im Deutschen Reichstag, der Däne Hans Peter Hanssen, den Augenblick gekommen, das uralte deutsche Herzogtum Schleswig unter dänische Gewalt zu bringen.“  Hintergrund war die Äußerung von Außenminister Dr. Solf vom 24. Oktober im Reichstag über die Annahme des Programms von US-Präsident Wilson mit dem Selbstbestimmungsrecht der Völker als zentrale Grundlage. Am 17. November, auf einer von vielen Tausenden Dänen besuchten Veranstaltung im Apenrader Folkehjem, konnte Hanssen einen Brief von Dr. Solf vom 14. November „an den verehrten Abgeordneten“ verlesen, in dem Solf im Namen der deutschen Regierung versicherte, dass das Selbstbestimmungsrecht auch für die Nordschleswig-Frage gelte – auch in der Hoffnung auf ein künftig gutes deutsch-dänisches Verhältnis.

Nach 1864 war erstmalig der Weg frei, sich mit dem Wunsch nach Wiedervereinigung an die dänische Regierung zu wenden, so Hanssen. Pastor Schmidt-Wodder, der erste Sprecher der deutschen Minderheit nach 1920, sagte wenige Wochen später vor 500 Zuhörern in Apenrade voraus, dass Nordschleswig nun zu Dänemark zurückkehren werde. Er wünschte allerdings andere Bedingungen als jene, die durch den Versailler Vertrag bestimmt wurden und die 1920 von der deutschen Minderheit gleich mit der Forderung nach einer neuen Entscheidung bekämpft wurden.  Im Frieden steckte bereits der Keim des Unfriedens! 

Wenn in diesen Tagen der Toten auf den  Schlachtfeldern des Ersten Weltkrieges gedacht wird, so sollte man Folgendes korrekt beachten: Es fielen damals nicht nur dänische Landsleute, sondern auch – geschätzt – rund 2.000 deutschgesinnte Nordschleswiger.  Deutsch- und dänisch-gesinnte Soldaten kämpften kameradschaftlich Seit an Seit.

Der aus Nordschleswig stammende, spätere Bischof, H. Fuglsang-Damgaard, selbst Kriegsteilnehmer, berichtet, wie sie in den Schützengräben gemeinsam deutsche und dänische Weihnachtslieder gesungen haben. Die nationale Trennung kam nach 1920: Auf dänischer Seite war stets nur von „danske Sønderjyder“ die Rede. Nicht auf allen Friedhöfen wurde auch der gefallenen Deutschen gedacht, es ist das große Verdienst der Historikerin Inge Adriansen, dass bei der Renovierung des Friedhofes in Braine 2013 auf Gedenktafeln alle Toten –  Dänen  und Deutsche – namentlich erwähnt wurden. 

Wir verneigen uns 100 Jahre später vor allen nordschleswigschen Toten des Ersten Weltkrieges – auch wissend, dass es leider nicht die letzten  Kriegsopfer in Nordschleswig gewesen sind!     

Das Kriegsende 1918 ist auch heute eine Mahnung.
 

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