Leitartikel

„Ausnahmezustand“

Ausnahmezustand

Ausnahmezustand

Siegfried Matlok
Siegfried Matlok Senior-Korrespondent
Apenrade/Aabenraa
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Als Staatsministerin Mette Frederiksen am Mittwochabend eine Art Ausnahmezustand über Dänemark verhängt, habe sie einen Nerv getroffen, meint Siegfried Matlok, ehemaliger Chefredakteur des „Nordschleswigers“.

Dänemark ist seit der Rede von Staatsministerin Mette Frederiksen am Mittwochabend noch immer das gleiche Land – aber nicht mehr dasselbe: Regierung und Parlament haben eine Art Ausnahmezustand verhängt im Kampf gegen den Coronavirus. Manche sprechen sogar drastisch von Notstandsgesetzgebung angesichts der im Eilverfahren auf Christiansborg durchgezogenen Sondergesetze, die verhindern sollen, dass die gesundheitliche Krise auch die Wirtschaft des Landes in schwere Mitleidenschaft zieht – zum Schaden aller.

Mit täglicher, ja stündlicher Verwunderung verfolgen wir, wie die Zahlen der Infizierten alarmierend in die Höhe schießen – von 35 Fällen am Montag bis über 600 am Donnerstagnachmittag. Der Schriftsteller Knud Romer mag ja gerne mal provozieren, aber er liegt richtig, wenn er als Nicht-Mediziner darauf hinweist, „dass viele von uns in Panik geraten, wenn uns die Beherrschung der Natur und die absolute Kontrolle unserer Umwelt aus den Händen gerissen wird, weil unsere Gesellschaft auf vorhersehbare Berechenbarkeit beruht“. In diesen Tagen werden wir daran erinnert, dass die Globalisierung auch ihre Risiken und Schattenseiten hat, dass unsere Welt heute wie kommunizierende Röhren miteinander verknüpft ist – von Wuhan bis Apenrade, auf Gedeih aber auch auf Verderben. Jetzt trifft die Schließung des Ladens Dänemark unseren Sicherheits-Nerv.

Dass in manchen dänischen Supermärkten Brot und Toilettenpapier gehamstert worden sind, erscheint so ungläubig wie die Tatsache, dass das dänische Parlament den Beschluss, Versammlungen mit mehr als 100 Personen zu untersagen, dadurch umging, dass die Zahl der anwesenden stimmberechtigten Folketingsmitglieder gestern freiwillig von 179 auf 95 reduziert worden ist. Ob das grundgesetzmäßig ganz einwandfrei ist, scheint fraglich, denn wer hat eigentlich das demokratische Mandat, darüber zu entscheiden, welcher/welche Abgeordnete nach Hause geschickt worden ist.

Staatsministerin Mette Frederiksen hat an den Gemeinschaftssinn appelliert. Man kann nur hoffen, dass die Dänen ihren bemerkenswerten Satz beherzigen mögen, dass der Zusammenhalt der Nation, der stets auf das enge Zusammenrücken basierte, nun dadurch gewährleistet werden muss, dass wir uns jetzt mal ein kleines Stück voneinander entfernen. Das ist mehr als nur ein gesundheitspolitischer Appell angesichts der verständlicherweise letztlich doch begrenzten Kapazitäten in den Krankenhäusern und im Gesundheitswesen, wo der Virus Covid-19 auch den Forschern weltweit noch immer Rätsel aufgibt.

Frederiksen hat die Notwendigkeit unterstrichen, den öffentlichen Sektor besonders zu schützen – auch mit einem ökonomischen Sicherheitsnetz für die Bediensteten. Für den gesellschaftlichen Zusammenhalt ist jedoch wichtig, dass hier keine Schieflage entsteht zwischen dem öffentlichen und dem privaten Sektor. Die Regierung hat bereits ein Gesamtpaket in Höhe von 125 Milliarden Kronen als Hilfestellung für besonders hart betroffene private Branchen angekündigt, und gestern hat Finanzminister Nicolai Wammen gerade den Aspekt, durch die Gesundheits-Krise nicht auch noch in eine schwere ökonomische Krise, ja vielleicht sogar in Rezession hineinzuschlittern, nachdrücklich hervorgehoben.

Dass nun – nach erfolgreichem deutschen Vorbild – Kurzarbeit-Geld für vorübergehend beschäftigungslose, freigestellte Arbeitnehmer zur Verfügung gestellt werden soll, damit sie nach Beendigung der Krise gleich wieder voll in ihrem Betrieb einsteigen können, ist ein Signal, das auch in der Wirtschaft gut angekommen ist. Ob darüber hinaus vielleicht noch ein Konjunkturprogramm beispielsweise für Infrastruktur-Projekte aufgelegt werden muss, bleibt abzuwarten, aber es ist in diesen ernsten Tagen beruhigend für die Menschen im Lande, dass Regierung und Parlament finanziell auch die Reserven angreifen wollen, notfalls auch Haushalts-Defizite hinnehmen werden, um Dänemark vor den schwersten Schäden zu bewahren. Das entspricht der sogenannten Erdbeben-Klausel in den EU-Verträgen. Hinzu kommt, dass die europäische Karte in dieser Situation stechen muss, dass alle Mitgliedsländer an einem Strang ziehen müssen. Damit nicht weiteres Vertrauen in Europa zerstört wird – auch nicht im transatlantischen Verhältnis durch den politischen Virus Trump.

Manche werden sich alptraumhaft noch an den Virus-Killerfilm „Outbreak“ aus dem Jahre 1995 mit Dustin Hoffman erinnern, andere spielen bereits mit apokalyptischen Szenarien, unter anderem mit dem Hinweis, dass 1711 die letzte Pestepidemie in Dänemark ein Drittel der Kopenhagener Bevölkerung das Leben kostete. Die wichtigste Botschaft dieser Stunde lautet: keine Panik! Aber die Lage ist ernst, doch wie ernst sie tatsächlich ist für den Einzelnen oder für unsere Gesellschaft, wissen zur Stunde weder die Mediziner noch die Politiker. Das beunruhigt, viele spüren bereits tägliche Veränderungen, die wir bisher nicht gekannt haben und auch gar nicht so für möglich gehalten haben. Wir stehen deshalb alle auch vor großen mentalen Herausforderungen; meistern wir sie hoffnungsvoll im nationalen und internationalen Schulterschluss!

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