Leitartikel

„,Beauty‘, aber nicht schön“

Beauty, aber nicht schön

,Beauty‘, aber nicht schön

Siegfried Matlok
Siegfried Matlok Senior-Korrespondent
Apenrade/Aabenraa
Zuletzt aktualisiert um:

Die Unruhen bei Venstre gehen weiter. Die Partei kann an der Spitze weder auf Lars Løkke Rasmussen, noch auf Kristian Jensen verzichten. Eine unschöne Geschichte, findet Siegfried Madlok.

Während Ex-Staatsminister Lars Løkke in seiner Wohnung im Nyhavn via Facebook den zehnjährigen Geburtstag seines Hundes „Beauty“ mit einem Wurstkuchen feierte, ist der großen Venstre-Gemeinde der Appetit vergangen. Vorbei die Siegeslaune der Partei nach zwei historischen Wahlerfolgen – jetzt hat sie nicht nur die Macht im Lande verloren, sondern muss auch um den inneren Zusammenhalt bangen. Als der frühere Verteidigungsminister Carl Holst bei seinem Abgang auf Christiansborg von einer „dysfunktionalen“ Partei sprach, da gab es viele, die seinen Kommentar eher als Mischung aus Enttäuschung, Bitterkeit und Rache einstuften, aber was zurzeit an der Spitze von Venstre abläuft, ist wohl doch mehr als nur eine Funktionsstörung.


Ein Blick in die Geschichte der 1870 als „Vereinigte Venstre“ gegründete Partei, die sich von den damaligen Konservativen („Højre“) abtrennte, zeigt, dass Macht- und Richtungskämpfe zur eigenen DNA gehören. Früher waren die Sitten sogar noch rauer; es ist die Geschichte einer liberalen Bewegung mit turbulenter Vergangenheit. Der erste Venstre-Staatsminister nach 1945, der Bauer Knud Kristensen aus Ringkøbing, führte seine private Südschleswig-Politik mit dem Ziel einer Wiedervereinigung. Ihm gelang damit zwar 1947 ein großer Wahlsieg, aber er wurde gestürzt – schließlich auch von seinen eigenen Leuten, sodass er sich schmollend zurückzog. 1953 verließ er Venstre und gründete 1956 eine neue rechte Partei unter dem Namen „De Uafhængige“, die aber in der dänischen Politik keine Fingerabdrücke hinterließ.

Die zweite große Venstre-Krise kam in den 50er und 60er Jahren. Mit dem Bauern Erik Eriksen aus Ringe übernahm Venstre die Regierung von 1950-53. Sein Meisterstück war das noch heute geltende Grundgesetz („Grundloven“ vom 5. Juni 1953), das er gegen große Widerstände – auch noch von Knud Kristensen – durchsetzte.  Seine enge Zusammenarbeit mit den Konservativen kostete aber die innere Einheit, der hoch geschätzte Finanzminister Thorkild Kristensen verließ die Partei, um eine eigene liberale Gruppe zu gründen. Als Erik Eriksen jedoch weiterhin an  dem engen Schulterschluss  mit den Konservativen festhielt, ja sogar eine bürgerlich-liberale Fusion zwischen den beiden Parteien vorschlug, da zog 1965 die eigene Fraktion ihm die Beine weg, und „Erik fra Ringe“ ging von Bord.

Hier steckt das historische Problem der Venstre-Partei: Sie ist bürgerlich-liberal, aber wie weit soll sie sich strecken, um vor allem in Blutsbrüderschaft mit den Konservativen reine bürgerliche Politik zu machen. Seit 2001 sind die Karten neu gemischt: Die Konservativen, die einst Venstre keineswegs nur mit Liebesgefühlen begegneten, sind seit der Ära Schlüter durch innere Streitigkeiten abgestiegen. Venstre ist unter Anders Fogh Rasmussen, der mit einem dreifachen Wahlerfolg historische Maßstäbe setzte  und unter Lars Løkke zur führenden bürgerlichen Kraft geworden, auch wenn DF vorübergehend sogar mandatsmäßig stärker war. Dass Venstre trotz eines imponierenden Wahlergebnisses in der Opposition gelandet ist, war nicht überraschend, aber nun müssen sich ihre machtgewohnten Politiker an sparsamere (Karriere-)Zeiten gewöhnen.

Schwierig für Ego-Ambitionen, nicht zuletzt für das Spitzenduo Løkke-Jensen, das unter Funktionsstörungen leidet, die „Chirurg“ Hjort offengelegt hat. Kristian Jensen hat sich als politischer Schlappschwanz erwiesen, dessen eigenes  Urteilsvermögen selbst seine Anhänger erschüttert, aber das alles ändert nichts an der für die Partei entscheidenden Frage, wo sie sich unter Løkkes Führung weiterhin platzieren soll. Dass es nicht auf Anhieb zu einer Regierung mit den Sozialdemokraten kommen würde, hat Løkke gewusst, aber seine Strategie baut darauf,  dass es keine Oppositions-Regierung gibt, also keine Verpflichtung, mit den anderen Parteien im bürgerlichen Lager en-bloc abzustimmen.

Løkke will seinen eigenen Weg gehen, das heißt, die Minderheits-Regierung testen, abwarten, sogar mit Mette Frederiksen bei Krisen zusammenarbeiten, um sich sozusagen als Retter der Nation für die nächste Wahl bereitzuhalten. Strategisch geht es Løkke eigentlich nicht mal um die Sozialdemokratie, sondern darum, die Radikale Venstre als Zünglein an der Waage wieder ins eigene Boot zu holen.

Venstre kann hier und jetzt nicht auf Løkke verzichten, allerdings auch nicht auf jene Kräfte um Kristian Jensen, die eine neue bürgerliche Alternative unter Venstres Führung schmieden wollen.  Jensens Politik dürfte dabei in der Partei sogar mehr Unterstützung finden als der wechselflexible Løkke, aber der hat hingegen den größeren Anhang dort, wo es zählt: in der Wählerschaft. Venstre 2019 – alles andere als „Beauty“!  

 

 

 

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