Leitartikel

„Ja zu Tempo 30 innerorts: Warum wir auf die Fakten hören sollten“

Ja zu Tempo 30 innerorts: Warum wir auf die Fakten hören sollten

Ja zu 30 km/h innerorts: Warum wir auf Fakten hören sollten

Apenrade/Aabenraa
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Kann Tempo 30 das neue Tempo 50 werden?
Kann Tempo 30 das neue Tempo 50 werden? Foto: Gerrit Hencke

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Der Radfahrendenverband sammelt derzeit Unterschriften, um das Verkehrsministerium zu einer Änderung des Straßenverkehrsgesetzes zu bewegen. Der Wunsch: In Innenstädten sollen künftig 30 statt 50 km/h die neue Regelgeschwindigkeit sein. Schaut man sich Erfolge im europäischen Ausland an, ist das nur zu begrüßen, schreibt Journalist Gerrit Hencke in seinem Leitartikel.

Der Radfahrendenverband (Cyklistforbundet) vertritt als Lobbyorganisation die Rechte von Radfahrerinnen und Radfahrern in Dänemark. Um die Verkehrssicherheit zu erhöhen, fordert er eine neue Regelgeschwindigkeit in Innenstädten. Gilt heute meist Tempo 50, sollen es künftig 30 km/h sein. Dazu sammelt der Verband derzeit Unterschriften, um damit ans Verkehrsministerium heranzutreten.  

Doch weil das Auto seit jeher als Inbegriff der Freiheit angesehen wird, gibt es für Tempo 30 immer auch massiven Gegenwind. Dabei ist die Skepsis rein von den Fakten her unbegründet.

Die Vorteile liegen auf der Hand: Wird langsamer gefahren, sind mehr Unfälle vermeidbar und die Folgen bei einem Crash für die Verkehrsteilnehmenden weniger folgenschwer. Gerade für Radfahrende, Fußgängerinnen und Fußgänger, aber vor allem Kinder würde ein Tempolimit die Stadt zu einem sichereren Ort machen. 

Dass Tempo 30 funktioniert, zeigen Zahlen aus der französischen Großstadt Lyon. Hier wurde 2021 flächendeckend 30 km/h als Höchstgeschwindigkeit eingeführt. Auf 80 Prozent der Straßen darf heute nicht schneller gefahren werden. Geschwindigkeitsübertretungen gehen zudem ins Geld. In der Folge sind die Unfallzahlen um 35 Prozent zurückgegangen. Schwere Unfälle mit Verletzten und Toten gingen binnen zwei Jahren um 39 Prozent zurück. Warum sollte man das nicht wollen?

Amsterdam, Brüssel, Paris: Es sind Großstädte, die mit Erfolg und großer Akzeptanz eine Vorreiterrolle einnehmen. Weniger Lärm freut zusätzlich die Anwohnerinnen und Anwohner und senkt das Risiko für lärmbedingte Erkrankungen. Das entlastet zusätzlich zu weniger Unfällen das Gesundheitssystem. Auch weil durch Tempo 30 unter anderem die CO₂-Emissionen – laut Berechnungen um 0,5 bis 5,5 Prozent – gemindert werden, ergeben sich Vorteile.

Zudem kann der Verkehrsfluss bei Tempo 30 sogar besser sein als bei Tempo 50. Das Umweltbundesamt schreibt in einer Studie: „Eine Senkung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit hat in den meisten Fällen keinen nennenswerten Einfluss auf die Leistungsfähigkeit einer Hauptverkehrsstraße für den Kfz-Verkehr.“ Auch die Reisezeitverluste halten sich demnach in Grenzen und betragen 0 bis 4 Sekunden auf 100 Meter.

Für ein Miteinander im Straßenverkehr hätte ein Tempolimit von 30 km/h auch einen weiteren Vorteil, denn die Differenzgeschwindigkeit vor allem zwischen Radfahrenden und Autofahrenden nimmt ab. Mit dem Rad ließe es sich dort, wo kein Radweg ist, einfacher im Verkehr mitschwimmen als bei Tempo 50. Die meisten bringen es mit E-Bikes heute locker auf Geschwindigkeiten um 25 km/h. Viele gefährliche Überholmanöver durch Autofahrende könnten der Vergangenheit angehören. 

Wünschenswert wäre in Europa noch eine Geschwindigkeitsfreigabe für Pedelecs auf 32 km/h, wie es sie in den USA gibt. Dann würde die Differenz nahezu verschwinden und das Pedelec endgültig zu einer gleichwertigen Alternative zum Auto aufsteigen – vorausgesetzt, die Verkehrsräume werden so aufgeteilt, dass auch Fußgängerinnen und Fußgänger nicht in Konflikt mit den schnelleren Rädern kommen.

Alles in allem würde ein Tempolimit von 30 km/h neue Möglichkeiten bieten, Städte wieder zu Orten zu machen, wo Menschen sich sicher und frei bewegen können. Die Dominanz des Autos einzuschränken, erhöht nicht nur die Aufenthalts-, sondern auch die Lebensqualität derjenigen, die vor Ort leben und arbeiten. Gleichzeitig können alle die, die aus verschiedenen Gründen auf ein Fahrzeug angewiesen sind, trotzdem an ihr Ziel kommen. Eine Win-win-Lösung für alle. 

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