Leitartikel

Demokratischer Tiefpunkt

Demokratischer Tiefpunkt

Demokratischer Tiefpunkt

Apenrade/Aabenraa
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Foto: Bent Midstrup/Ritzau Scanpix

Es ist 25 Jahre her, da schossen in Dänemark Polizisten auf Demonstranten. Ein demokratischer und immer noch umstrittener Tiefpunkt in der Geschichte des Landes, der noch schlimmer hätte ausgehen können, meint Chefredakteur Gwyn Nissen.

„Skyd efter benene.“ Ein kurzer prägnanter Satz. Ein Befehl. Ein Stück dänische Geschichte.

Es war die Nacht nach der Abstimmung über die Edinburgh-Absprache. Die dänischen Wähler hatten im Juni 1992 gegen den EU-Vertrag von Maastricht gestimmt, und nun mussten sie am 18. Mai 1993 wieder zur Wahlurne. Dänemark hatte inzwischen vier EU-Vorbehalte einbauen lassen, und diesmal stimmten 56,7 Prozent der Wähler mit Ja.

EU-Gegner  gaben  in Kopenhagen ihrem Frust freien Lauf. Sie lieferten sich mit der Polizei eine regelrechte Straßenschlacht auf dem Nørrebro. Steine (angeblich vier Tonnen) hagelte es  über die Polizei. 92 Beamte wurden verletzt. Und dann fielen die Schüsse und die Worte: „Skyd efter benene“ (Schießt auf die Beine). Zum ersten Mal  seit dem Zweiten Weltkrieg schossen Polizisten in Dänemark auf Demonstranten. 113-mal  lösten die Beamten einen Schuss – elf Personen wurden dabei angeschossen.

In den darauffolgenden Tagen wurde der Polizeieinsatz verteidigt, während die gewalttätigen Demonstranten für ihr Verhalten kritisiert wurden. Erst nach massivem Druck bestellte die Regierung eine Woche später einen Bericht – es sollte der erste von insgesamt sechs Berichten über die „EUnruhen“ sein.

Die ersten fünf wurden dafür kritisiert, nicht unparteiisch genug zu sein – zwei hatte die Polizei selber gemacht, zwei die Reichsadvokatur und einen der Ombudsmand. An dem letzten Bericht arbeiteten drei Juristen von 1996 bis 2000. Auch sie kamen allerdings zu dem Ergebnis, dass die Polizei keine andere Wahl gehabt hatte, als auf die Demonstranten zu schießen. Die Situation sei für die Beamten lebensbedrohlich gewesen.

„Damit haben wir im 18.-Mai-Fall endlich einen Punkt gesetzt“, sagte die Venstre-Politikerin Birthe Rønn Hornbech damals. Aber auch heute noch – wie das dänische Fernsehen DR1 am Donnerstag aktuell berichten wird – ist der Fall  genauso umstritten wie vor 25 Jahren. Es war ein demokratischer Tiefpunkt in der Geschichte Dänemarks, der noch schlimmer hätte ausgehen können.

„Skyd  efter benene“ – war das ein Befehl? Oder   vielleicht sogar Rücksichtnahme, um Schlimmeres zu verhindern?

 

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