Leitartikel

„Ehrlichkeit bei Thema Pensionsalter nötig “

Ehrlichkeit bei Thema Pensionsalter nötig

Ehrlichkeit bei Thema Pensionsalter nötig

Apenrade/Aabenraa
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Menschen sind verschieden – und unterschiedlich belastbar. Gefragt ist ein solidarischer und gerechter Sozialstaat, meint Volker Heesch.

Während des Parteitags der Sozialdemokraten am vergangenen Wochenende zählten die Themen Pensionsalter und vorzeitiges Ausscheiden aus dem Arbeitsleben  eine  herausragende Rolle. Partei- und Regierungschefin Mette Frederiksen  wiederholte in Anwesenheit des Haderslebener Brauereiarbeiters Arne Juhl das Versprechen ihrer Partei, hart belasteten Beschäftigten vor Erreichen des in den kommenden Jahren altersmäßig immer   weiter hochgeschraubten Pensionierungsstichtags eine Altersversorgung zu gewähren.

Juhls  schweres Arbeitsleben und dessen Wunsch nach einem „ehrenvollen“ vorzeitigen Ausscheiden aus dem Arbeitsleben hatte im Wahlkampf  für Aufsehen gesorgt.  

Während der vergangenen Monate war betont worden, dass die Befreiung von der offiziellen Altersgrenze  nur für Beschäftigte gelten sollte, die mindestens 40 Jahre geschuftet haben, und nur für Berufe, die als besonders belastend eingestuft werden.

Für Aufmerksamkeit sorgte vor allem  Mette Frederiksens an die Dänische Volkspartei (DF) gerichtete Bitte, die sozialdemokratische Minderheitsregierung dabei zu unterstützen, die frühere Pensionsierungsmöglichkeit für „abgearbeitete“ Beschäftigte  parlamentarisch durchzuboxen.

Immerhin waren die  Radikalen, Stütze der neuen Regierung,  an der  Reform  für eine „Seniorførtidsreform“ der abgewählten Regierung Løkke Rasmussen beteiligt, und sie sind aktuell nicht bereit, weitere finanzpolitisch belastende Wohltaten zu verteilen. Und der Radikalenchef Morten Østergaard stellte klar, dass seine Partei nicht bereit sei, beim  Recht auf niedrigeres Pensionsalter bestimmten Berufsgruppen eine Extrawurst zu gewähren.

In diesem Zusammenhang sollte  man sich daran erinnern, dass sich in der Debatte, welche Beschäftigten irgendwann besonders abgearbeitet sind, neben  Vertretern körperlich  schwer arbeitender Gruppen auch Lehrkräfte, Krankenpfleger oder Sozialpädagogen meldeten, die leider durch berufliche Belastungen vorzeitig das Handtuch werfen mussten – und aufgrund der geltenden Bestimmungen bei der Gewährung von Seniorpension oder der Frühpensionierung einen wahren Spießrutenlauf von Begutachtungen und Tests durchlaufen müssen, um eine angemessene Versorgung zugesprochen zu bekommen.

Im Hintergrund steht immer die Zielsetzung, das in den kommenden Jahrzehnten durch steigende Versorgungsbürden der alternden Gesellschaft vor Herausforderungen stehende Sozialsystem nicht zu überlasten.
Das bekommen die Beschäftigten aktuell zu spüren, die  jahrzehntelang für die Vorruhestandsordnung „Efterløn“ eingezahlt haben, aber  inzwischen finanziell so ungünstig dastehen, dass sich kaum noch jemand diese Form des vorzeitigen Ausscheidens aus dem Arbeitsleben leisten kann.  

Und aus der Gruppe der Frühpensionierten kommt die Nachricht, dass sich die Zahl derjenigen deutlich erhöht hat, die innerhalb des ersten Halbjahres nach Zuteilung der Sozialleistung versterben, weil in vielen Fällen das Verfahren  zur Anerkennung der gesundheitlichen Einschränkungen extrem lang ausgefallen ist.

Zu befürchten ist, dass die finanziellen Belastungen des Sozialstaates durch Reformeinschnitte  und pauschale Anhebung von Pensionsgrenzen nicht vermindert  werden. Oft werden nur andere Kassen belastet, weil sich gestresste Beschäftigte z. B. krank melden, wenn sie keine Aussicht auf eine vorzeitige Pensionierung haben. Die Politiker sollten auf jeden Fall ehrlich bei diesem Thema sein und auf keinen Fall theatralisch unterschiedliche Berufsgruppen gegeneinander ausspielen.

Vor allem sind alle Menschen verschieden – und unterschiedlich belastbar. Gefragt ist ein solidarischer und gerechter Sozialstaat.

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