Leitartikel

„Grenzenlose Grenze“

Grenzenlose Grenze

Grenzenlose Grenze

Siegfried Matlok
Siegfried Matlok Senior-Korrespondent
Apenrade/Aabenraa
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Bei den Grenzkontrollen und der Grenzöffnung hätte einiges besser laufen können – findet der ehemalige Chefredakteur des „Nordschleswigers“, Siegfried Matlok.

Still und heimlich – jedenfalls ohne die sonst so bevorzugte große propagandistische Ankündigung – ist nun also eine „Grenzöffnung“ in Kraft treten;  auch mit der Zusage, dass nun die längst fällige Öffnung  für die kleinen Grenzübergänge zwischen Dänemark und Deutschland schleunigst Realität wird. Da die Grenze ja im wahrsten des Wortes nie völlig geschlossen war, ist die Formulierung Grenzöffnung ja fast schon ein Eingeständnis, dass manches während der bisherigen Grenzkontrollen wahrlich anders, vor allem besser hätte laufen können.

Es ist ein wichtiger Schritt zur Normalisierung, wenn man sich jetzt nur – wie früher – mit „Stichproben“ begnügen will. Auch da kommt es natürlich darauf an, wie man diese Maßnahme im einzelnen täglich umsetzen will. Die kritischen Augen im Grenzland bleiben geöffnet, und es ist gut, dass neben den beiden Minderheiten auch andere politische Kräfte aktiv gewesen sind,  um die Hindernisse abzubauen, die in den letzten Monaten bei vielen Menschen im Grenzgebiet  immer mehr Ungeduld und Verärgerung hervorriefen.

Während bei der „Schließung“ vor allem innenpolitische Gründe – Stichwort Corona – als ausschlaggebend angeführt wurden, dürfte jetzt  nicht  nur das permanente Drängen aus dem Grenzland für die so herbeigesehnte Korrektur gesorgt haben. Zweifelsohne hat auch der stetige Wunsch der EU, die Binnengrenzen zwischen den Mitgliedsländern so schnell wie möglich wieder im Geiste von Schengen zu öffnen, für Kopenhagen eine außenpolitische Rolle gespielt. Machen wir uns aber nichts vor: sollte sich die Corona-Lage in unseren beiden Ländern wieder dramatisch verschlechtern, dann wird man in der dänischen Regierung keine Sekunde zögern, um dann die aus Kopenhagener Sicht wieder notwendigen Maßnahmen zu ergreifen.

Ein solches Szenarium wünscht sich keiner. Nicht nur für die Politik muss es nun darum gehen, gründlich zu untersuchen, zu überprüfen, warum es mit Corona und den Grenzkontrollen so gelaufen ist. Staatsministerin Mette Frederiksen wird allgemein wegen ihrer Entschlossenheit zum Handeln gelobt, aber die Frage, ob auch die Handhabe an den Grenzen  klug verwaltet wurde, ist dringend einer näheren Prüfung zu unterziehen. Da wurden Entscheidungen getroffen, die jedenfalls im deutsch-dänischen Grenzland nur für Kopfschütteln gesorgt haben. Man denke z. B. an die plötzliche Erfindung Kopenhagener Amtsstuben, hier das Prinzip von „kærester“ einführen zu wollen; allemal eine Steilvorlage für „æ Rummelpot“.  Und auch die Art und Weise, wie der Verkehr in den letzten Sommermonaten mit den langen Staus von der Grenzpolizei geregelt wurde, ist kritikwürdig und vor allem verbesserungswürdig.  

Natürlich: die Grenze liegt fest, daran hat sich auch 100 Jahre später nichts geändert, aber just in diesem Jubiläumsjahr eine Grenze zu erleben, die wieder mehr geschlossen als geöffnet war, hatte sich keiner selbst im Albtraum vorgestellt. Auch, wenn man die Corona-Krise in der Gesamtbeurteilung der Ereignisse nicht unberücksichtigt lassen darf.

Das deutsch-dänische Grenzland will leben – auch mit Grenzen, aber nicht mit Hindernissen, die der Zusammenarbeit und dem Zusammenwachsen im Wege stehen.

Dabei sollten wir uns aber auch selbstkritisch etwas an die Nase fassen, wir Journalisten, die  doch so gern die verbale Zuspitzung lieben.

Formulierungen, dass man die Ankunft der ersten deutschen Sommer-Touristen mit dem Fall der Berliner Mauer verglich oder die Grenzkontrollen etwa mit den DDR-Methoden in Verbindung brachte, dienen einer sachlichen Diskussion ebenso wenig wie etwa die Behauptung, 2020 sei so schlimm wie 1920!

Ein bisschen mehr Geschichtskenntnisse wären wünschenswert, um nicht solche törichten Vergleiche heranzuziehen, auch wenn die zunehmenden  Irritationen durchaus verständlich waren.

Glücklicherweise sind wir 2020 ja meilenweit von dem entfernt, was uns einst so getrennt und so belastet hat. Die gute grenzüberschreitende Zusammenarbeit hat unter diesen Grenzkontrollen zwar gelitten, aber nicht die Zuversicht in die gemeinsame Zukunft. Im Gegenteil, zeigt uns doch die Entwicklung seit März dieses Jahres, dass die gemeinsamen Positionen von Deutschen und Dänen im Grenzland noch stärker als je zuvor sind und ihre Wirkung erzielt haben  - nun endlich auch mit durchschlagendem Erfolg!  Der Neuanfang bringt neue Hoffnung für ein neues Kapitel im fast grenzenlosen Mit- und Füreinander!

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