Leitartikel

„Hände und Augen reiben“

Hände und Augen reiben

Hände und Augen reiben

Siegfried Matlok
Siegfried Matlok Senior-Korrespondent
Apenrade/Aabenraa
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Die deutsch-dänischen Beziehungen sind heute so gut wie nie - doch ein tiefer Blick hinter die goldig glänzenden Kulissen offenbart, dass für Friede, Freude, Eierkuchen kein Grund besteht. Die neue Koalitionsregierung in Deutschland wird hierzulande noch manchen überraschen, meint Siegfried Matlok.

Es ist in den letzten Jahren oft genug mehrfach unterstrichen worden, dass die deutsch-dänischen Beziehungen heute so gut sind wie nie zuvor seit 1864. Dass dies mehr ist als nur ein deutsch-dänisches Lippenbekenntnis, haben die Ereignisse mit den 100-Jahr-Feiern in Verbindung mit der Grenzziehung von 1920 bewiesen; gekrönt im wahrsten Sinne des Wortes durch den Staatsbesuch von Königin Margrethe und Kronprinz Frederik vor wenigen Wochen in Berlin und München.

Ein tiefer Blick hinter die goldig glänzenden Kulissen zeigt allerdings, dass kein Grund besteht für Friede, Freude, Eierkuchen „up ewig ungedeelt“. Unter der Oberfläche sind Unstimmigkeiten und Risiken nicht zu übersehen, auch wenn natürlich – und glücklicherweise – keine Gefahr besteht für einen besorgniserregenden Kurswechsel. Die Reaktionen auf die neue deutsche Bundesregierung sind durchaus unterschiedlich. Die 16-jährige Ära Merkel hat dem deutsch-dänischen Verhältnis gut getan, aber was nun, Herr Scholz?

Die dänische Wirtschaft, die beim Staatsbesuch der Monarchin durch ihre starke Beteiligung ihr großes Interesse am wichtigen Handelspartner Deutschland deutlich zum Ausdruck brachte, reibt sich die Hände, denn nicht nur beim Klima und beim in Deutschland so dringend notwendigen digitalen Ausbau wittert sie gute Geschäfte in den kommenden Jahren, sondern auch im Gesundheitswesen und beim Wohnungsbau, wo Lösungen „Made in Denmark“ in Deutschland auch berechtigte Hoffnungen wecken.

Es reiben sich im Lande erwartungsvoll viele die Hände, jedoch reiben sich auch manche die Augen!

Außenminister Jeppe Kofoed wird sich wohl seine Gedanken machen, wenn er von seiner neuen Amtskollegin Annalena Baerbock hört, dass sie eine „feministische Außenpolitik“ führen will, aber es geht um viel mehr, um mehr Europa. Die Ampel schaltet in ihrer künftigen Europapolitik auf Grün, sie wünscht sich eine EU „hin zu den Vereinigten Staaten von Europa“, konkret „einen föderalen europäischen Bundesstaat“, wie es im Koalitionspapier heisst. Was bedeutet das für Dänemark europapolitisch, vor allem innenpolitisch, wo manche frühere EU-Gespenster leicht wieder Oberhand gewinnen können.

Nun bestimmt Deutschland gewiss nicht allein die Zukunft Europas, jedoch sind diese „Visionen“ eine Herausforderung nicht nur für Dänemark. Die Differenzen scheinen unmittelbar beträchtlich, doch sollte man in diesem Zusammenhang nicht übersehen, dass es in der sozialdemokratischen Regierung in Kopenhagen in den vergangenen Wochen bereits eine deutliche Kurskorrektur gegeben hat. Mette Frederiksen wurde wegen ihres Spar-Verhaltens beim Corona-Paket der EU sogar als Skeptikerin bezeichnet, und auch ihre stramme Haltung in der Ausländerpolitik missfiel nicht nur in Berlin.

Um diesen negativen Eindruck zu verwischen, hat sie inzwischen Bemerkenswertes von sich gegeben. In einer grossen Rede anlässlich des 75-jährigen Jubiläums von „Dansk Udenrigspolitisk Selskab“ definierte sie am 29. Oktober den europapolitischen Standort ihrer Regierung poetisch mit den Worten: „Dänemark im Herzen Europas“, also Dänemark als ein Kernland in der EU. Hinter den Kulissen gab es verblüffte Gesichter über diese Kehrtwendung; die starke Chefin im Staatsministerin, Barbara Bertelsen, und der übrigens aus Tondern stammende Departementchef im Außenministerium, Lars Gert Lose, sollen offenbar dabei als Redenschreiber für die Staatsministerin Regie geführt haben. 

Ein anderer Unterschied ist ebenfalls vermerkt worden: Während Mette Frederiksen bei ihrer Rede zur Eröffnung des Folketings eine auch für Dänemark bedrohliche neue sicherheitspolitische Lage beschrieb und ihre Kritik direkt sowohl an Russland als auch an China adressierte, findet sich im Ampel-Vertrag kein Hinweis auf eine veränderte geopolitische Situation Deutschlands und Europas.

Und ein ganz wesentlicher Punkt wird zwischen Kopenhagen und Berlin künftig (noch mehr als bisher) für Irritationen sorgen. Die dänische Migrations-und Ausländerpolitik ist weit entfernt von der neuen Zielsetzung der von Olaf Scholz geführten Regierung, die ganz deutlich andere Signale sendet – nach innen und nach aussen. 
In manchen dänischen Medien haben diese Unterschiede weniger eine Rolle gespielt als die Nachricht, dass Deutschland künftig – jedenfalls teilweise – Cannabis zum Verkauf freigeben wird. Ob diese Legalisierung ein neues blühendes Geschäft im Grenzhandel wird, bleibt abzuwarten, aber immerhin hat „Berlingske“ in einem Kommentar darauf hingewiesen, dass Europa mehr von Deutschland braucht als nur freien Haschisch.

Das war allerdings vom Redakteur nicht freundlich gemeint, sondern zwischen den Zeilen eher als eine Aufforderung zu verstehen, die Unterschiede zwischen Dänemark und Deutschland in Europa nicht zu vernebeln! 

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