Leitartikel

Die lieben Nachbarn

Die lieben Nachbarn

Die lieben Nachbarn

Apenrade/Aabenraa
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Schwedens Regierungschef Stefan Löfven (Bildmitte). Foto: Mats Andersson/TT/Ritzau Scanpix

In Dänemark bestimmen nationalistische Sichtweisen und Ausgangspunkte die öffentlich Debatte. Es ist eine der herausragenden Eigenschaften der Menschen in Dänemark, offen über alles zu sprechen und dennoch meist unwahrscheinlich friedlich und freundlich zu bleiben, meint Cornelius von Tiedemann.

In Schweden steht die Wahl vor der Tür, und derzeit sieht es so aus, als würde mindestens jeder fünfte Wähler die Schwedendemokraten wählen, eine der sogenannten „rechtspopulistischen“ Parteien, die derzeit in Europa im Aufschwung sind.

In Dänemark wird das zum Anlass genommen, einmal mehr genüsslich über die Schweden herzuziehen. Viel zu politisch korrekt seien sie, so die gängige Meinung. Und viel zu „undemokratisch“ im Umgang mit den „Rechtspopulisten“. Deshalb sei das zu erwartende Ergebnis ein Protest der mundtot Gemachten gegen die Ignoranz der Elite.
In Dänemark, wo die Dänische Volkspartei inzwischen als ebensolche, als Volkspartei, weitgehend anerkannt wird, herrscht die Auffassung vor, dass es richtig sei, auch Rechtspopulisten, Nationalisten, Nationalkonservativen, oder wie auch immer sie genannt werden, den politischen und öffentlichen Einfluss zu gewähren, den ihre Wahlergebnisse widerspiegeln.

In Schweden werden Ausländerfeindlichkeit und kulturelle Intoleranz hingegen als fortschrittshinderliche und gesellschafts- und demokratieschädigende Haltungen mehrheitlich abgelehnt und gemieden. Dies wiegt in der öffentlichen Debatte dort schwerer als das Repräsentationsargument, das in Dänemark am höchsten gewertet wird.

So dramatisch, wie es in Dänemark oft dargestellt wird, nämlich, dass die Schwedendemokraten in der Berichterstattung so gut wie gar nicht stattfinden, ist es derweil schlichtweg nicht. Nach der Wahl 2014 haben sich die Medien in Schweden zum allergrößten Teil davon verabschiedet, wertend über die Schwedendemokraten zu berichten, sie zu ignorieren oder ihre Standpunkte zu verhöhnen. Das politische „Embargo“ allerdings besteht weiter. Im Stockholmer Reichstag sind die Schwedendemokraten noch immer nicht „stubenrein“.  

Anders in  Dänemark. Hier  wählt  auch mindestens jeder Fünfte ganz rechts. Der Unterschied: In Dänemark werden ihre Argumente als legitim behandelt, schließlich stehen viele Wähler dahinter. Das ist tatsächlich zutiefst demokratisch und anständig. Das Problem: Die Ziele der „Rechtspopulisten“ sind dies nicht immer. Das nehmen die Schweden mit in die Gleichung, die Dänen nicht. Das ist der Unterschied.

In Schweden sind die Ansichten der „Rechtspopulisten“ noch nicht mehrheitsfähig.   In Dänemark gehören nationalistische Töne zum Alltag. In Schweden machen Tabus es häufig schwer, eine konstruktive, kritische Debatte abseits der Diffamierung zu führen – in Dänemark wird hingegen nicht selten als naiv belächelt oder verbal eingeschüchtert, wer sich als Kosmopolit und/oder Humanist outet.

Auch in Schweden beteiligen sich Nationalisten gleichberechtigt an der öffentlichen Debatte, ihre Argumente werden aber von der politischen (und öffentlichen) Mehrheit zurückgewiesen. In Dänemark bestimmen derweil nationalistische Sichtweisen und Ausgangspunkte die öffentlich Debatte. Es ist eine der herausragenden Eigenschaften der Menschen in Dänemark, offen über alles zu sprechen und dennoch meist unwahrscheinlich friedlich und freundlich zu bleiben. Deshalb kann sich auch jeder, egal welcher politischen Ansicht, in diesem Land frei und sicher fühlen.

Doch damit das auch so bleibt, damit Demokratie und Toleranz witerhin großgeschrieben werden, ist es an der Zeit, den Blick auch  einmal ohne die höhnische Brille über den Öresund zu werfen. Vielleicht lässt sich, bei allem hysterischen Quatsch, den die Schweden machen, bei allem Unsinn, den die Dänen reden, ja doch etwas finden, was man voneinander lernen kann – von den lieben Nachbarn.

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