Leitartikel

„Nicht nur Täter oder Opfer“

„Nicht nur Täter oder Opfer“

„Nicht nur Täter oder Opfer“

Apenrade/Aabenraa
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Volker Heesch setzt sich mit Henrik Skov Kristensens Disputation zum Umgang der Minderheit mit der eigenen Geschichte auseinander. Es gab nicht nur Täter und Opfer, meint er. Doch „auch Mitläufer tragen Verantwortung, u. a. als Wegbereiter von potenziellen Tätern“.

Die öffentliche akademische Veranstaltung am vergangenen Freitag im großen Hörsaal des Alsion mit der Disputation über die als Doktorarbeit eingereichten Schriften Henrik Skov Kristensens  war sicher eine Sternstunde der lange währenden historischen Aufarbeitung  der Geschichte der deutschen Minderheit in Nordschleswig.

Deutlich wurde aber auch, dass auch die eingehenden wissenschaftlichen Untersuchungen des Leiters des Museums Fröslevlager nicht alle Aspekte  der „dunklen Vergangenheit“ der deutschen Minderheit beleuchtet haben. Während die Opponenten des Doktoranden, die Professoren Kim Salomon und John T. Lauridsen,   beispielsweise nachbohrten, ob  der Autor nun zum Schluss gekommen ist, die juristische Aufarbeitung der Verstrickungen  zahlreicher deutscher Nordschleswiger  als Helfer der Besatzungsmacht, Freiwillige der Waffen-SS oder  Mitglieder der gleichgeschalteten Verbände der Minderheit im Zuge der Rechtabrechnung sei gerecht gewesen, lieferte der frühere „Nordschleswiger“-Chefredakteur und Sekretariatschef  Siegfried Matlok   in seinem Beitrag als externer Opponent interessante  Fakten als Zeitzeuge und Akteur, die  trotz  der Fülle  des  von  Skov Kristensen ausgewerteten Materials ein  differenzierteres Bild des Umgangs der Minderheit mit der NS-Zeit belegen als den Schluss, die deutschen Nordschleswiger hätten sich bis in jüngste Tage gegen eine selbstkritische Betrachtung der eigenen Geschichte gesperrt. 

Skov Kristensens Buch „Straffelejren“ enthält jede Menge Lesestoff, der den Nachgeborenen vermittelt,  wie es einigen Tausenden deutschen Nordschleswigern ab 1945 ergangen ist, was den verurteilten Personen vorgeworfen worden ist und wie die juristischen Konsequenzen fast die gesamte  Minderheit über viele Jahre gefangengenommen haben.

Gerade angesichts der friedlichen deutsch-dänischen  Gegenwart darf der Blick zurück in schlimme Zeiten nicht  unterbleiben. Skov Kristensen erklärte in seiner Einleitung, dass es nicht zulässig sei, in der wissenschaftlichen Geschichtsforschung danach zu schielen, was politisch opportun ist.  Er fühle sich dem Grundsatz des deutschen Historikers von Ranke verpflichtet, darzustellen, „wie es eigentlich gewesen ist“.

Dazu gehört, dass auf dubiose Weise im Schutze einer Wagenburgmentalität der Minderheit Namen von Kriegsverbrechern auf Gedenktafeln des „Ehrenhains“ landeten.
Aber Matlok hat zu Recht auch an die Personen aus der Minderheit erinnert, die 1945, wie  Pastor Beuck, der Minderheit den Spiegel vorgehalten haben. Und er erwähnte den Umstand, dass die Positionierung  von Ex-NS-Funktionären  innerhalb der Minderheit im Gleichschritt mit ehemaligen braunen     Akteuren erfolgte, die bis in die 1970er Jahre in Schleswig-Holstein  wichtige Positionen innehatten.

Wir können die Geschichte nicht zurückdrehen. Aber es sollten doch die Verdienste  der offenbar zu wenigen jüngeren Nordschleswiger nicht  unterschlagen werden, die schon vor Jahrzehnten – lange vergeblich –  Selbstkritik und Bekenntnis zu  Verfehlungen  der Minderheit in der NS-Zeit  zu ihrer Sache gemacht hatten.  Und traurig ist, dass es lange versäumt worden ist, an den aus Nordschleswig stammenden deutschen Widerstandsmann Jens Jessen zu erinnern, der seinen Einsatz zur Beendigung der Hitler-Tyrannei mit dem Leben bezahlen musste.
Während der Disputation wurde mehrfach der Spruch „Opa war kein Nazi“ zur Beschreibung  der in Deutschland zu beobachteten Aufarbeitung der unangenehmen eigenen Geschichte  genannt, die Rolle der Angehörigen der eigenen Familie zu beschönigen, sich selbst zu entlasten.

Skov Kristensen hat dargestellt, dass sich Angehörige der deutschen Minderheit vielfach aufgrund der Behandlung nach dem Kriege als Opfer aufgefasst haben, was eine Auseinandersetzung mit eigenen Verfehlungen blockiert habe.

 Leider war es so, dass schon unsere Großväter im Ersten Weltkrieg mit Bajonetten ihre „Feinde“ durchbohrt  haben und der eigene Vater als Scharfschütze im Zweiten Weltkrieg „Gegner“ getötet hat. Und es tröstet nicht, dass  ein Hochbetagter noch  75 Jahre  später berichtet, dass es ihm auch während der schrecklichen Kämpfe leidgetan hat. Festzustellen ist, dass es nicht nur Täter oder Opfer gegeben hat.  Viel mehr Menschen sind hierzulande Mitläufer gewesen,  haben sich Illusionen hingegeben und sich im Glanz der aufschneiderischen Nazi-Herrlichkeit gesonnt.  
Das entschuldigt nichts, denn auch Mitläufer tragen Verantwortung, u. a. als Wegbereiter von potenziellen Tätern.

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Cornelius von Tiedemann
Cornelius von Tiedemann Stellv. Chefredakteur
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