Leitartikel

„Realistische Eisenbahnpolitik nötig“

Realistische Eisenbahnpolitik nötig

Realistische Eisenbahnpolitik nötig

Apenrade/Aabenraa
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„Nordschleswiger“-Redakteur Volker Heesch widmet sich in seinem Leitartikel dem Thema Eisenbahnpolitik in Dänemark. Anlass ist ein Gutachten des Transportministeriums in Kopenhagen zum Zustand des Systems Bahn in Dänemark.

Während der vergangenen Monate hat Transportminister Benny Engelbrecht (Soz.) bei kritischen Fragen zur Bahnpolitik der Regierung meist auf die laufende Analyse des dänischen Eisenbahnbetriebs und Schienennetzes verwiesen. Man wolle vor neuen Weichenstellungen die Ergebnisse des „Serviceeftersyn“ abwarten.

Am Dienstag präsentierte die Zeitung „Jyllands-Posten“ Erkenntnisse aus der Durchleuchtung des Systems Eisenbahn in Dänemark, das in den Medien leider oft durch Negativschlagzeilen aufgefallen ist. Im Bericht des Transportministeriums soll „Jyllands-Posten“ zur Erkenntnis gekommen sein, dass der Zug in Dänemark nicht mit dem Auto konkurrieren könne. Außerdem hätten seit 2009 im Eisenbahnbereich in Dänemark investierte 132 Milliarden Kronen nicht die einst versprochenen Verbesserungen für die Bahnreisenden im Königreich gebracht. Während in Schweden, Norwegen und Deutschland seit 2010 zwischen 37 und 21 Prozent mehr Reisende im Personennah- und -fernverkehr auf den Schienen verzeichnet wurden, gab es in Dänemark ein Minus.

Transportminister Benny Engelbrecht erklärte gegenüber „Jyllands-Posten“, dass der neue Bericht auf eine schlechte Ausgangslage der Bahn in Dänemark hinweise. Der Bericht zeige aber auch, dass es nun vorwärtsgehe, mit Entscheidungen für den Kauf neuer elektrischer Züge, Streckenelektrifizierung und der Installation des neuen Signalsystems. Und er forderte die politischen Parteien auf, die Streitäxte zu begraben und auf breiter politischer Basis Beschlüsse zum Ausbau der Infrastruktur in Dänemark, einschließlich des Ausbaus der Bahn, zu treffen.

Solche Aussagen sind beim Thema Eisenbahn in Dänemark nicht neu. So wurde vor über 20 Jahren – auf breiter politischer Basis – beschlossen, die damals vereinbarte Streckenelektrifizierung u. a. von Fredericia nach Aarhus fallenzulassen und stattdessen angeblich wirtschaftlich günstigere Diesel-Schnelltriebwagen anzuschaffen. Bahnkenner wunderten sich bereits damals über neunmalkluge „Fachleute“ in Kopenhagen, denn europaweit setzte man auf zuverlässige, energiesparende elektrische Züge im schnellen Bahnverkehr. Nachdem der Einsatz der IC4-Triebwagen in Dänemark sich als Fiasko erwiesen hatte, sollte ein supermodernes Signal- und Zugsteuerungssystem Abhilfe schaffen.

Auch dort bereits versenkte Milliarden erwiesen sich nicht als Retter des Bahnverkehrs. Die Inbetriebnahme der modernsten Technik soll sich bis 2030 hinziehen. Nach Aussagen des Branchenchefs des auch im Eisenbahnausbau tätigen Verbandes „Dansk Infrastruktur“, Henrik Friis, sei mit der Verzögerung bei der Signaltechnik auch die Verspätung bei der Elektrifizierung der Strecke nach Aarhus bis 2027 verbunden. Man kann sich ausmalen, dass die in den kommenden Jahren bevorstehende Lieferung neuer elektrischer Lokomotiven und Triebwagen den dänischen Bahnbetrieb nicht grundlegend stabilisieren wird, wenn sie auf der wichtigsten Route Kopenhagen-Aarhus wegen fehlender Oberleitungen nicht fahren können.

Zur Verfügung stehen wird bis dahin voraussichtlich eine supermoderne Bahn zwischen Kopenhagen und Rødby. Allerdings steht in den Sternen, wann der Fehmarntunnel für den Verkehr nach Hamburg in Betrieb gehen kann.

Henrik Friis schlägt vor, dass die Streckenelektrifizierung rasch vorangetrieben wird. Mit Baumaßnahmen, die elektrischen Zugverkehr noch mit dem alten Signalsystem zulassen, das ohne Abschirmung gegen Magnetfelder der elektrischen Oberleitungen nicht mehr funktioniert. Friis klagt, dass man sich seit Jahren auf politischer Ebene in Dänemark nicht einig werden kann, ob die großen Städte im Stundentakt per Bahn miteinander verbunden werden sollen. Dabei werde vergessen, dass es gelte, rasch den Bahnbetrieb zu stabilisieren, statt sich in ganz große Vorhaben in ferner Zukunft zu verzetteln.

Dass es geht, mit kleinen Schritten für die Bürger – und auch zum Klimaschutz – den Bahnverkehr auszubauen, zeigt die Reaktivierung von Bahnstrecken und Bahnhöfen in Schleswig-Holstein. Dort sind auch Weichen für den Ausbau der Bahn Niebüll-Tondern gestellt worden. Für relativ wenig Geld könnten auch die Züge von Tondern bis Bramming mit mehr Tempo fahren – und bei grenzüberschreitendem Einsatz von elektrischen Zügen mit Brennstoffzellen oder Batterien in kurzer Zeit das System Bahn konkurrenzfähig machen.

Gerade das deutsch-dänische Grenzland könnte von einer realistischen Eisenbahnpolitik profitieren, um die Region besser mit den Metropolen Kopenhagen und Hamburg zu verknüpfen – und als Urlaubsziel besser für umweltbewusste Gäste erreichbar zu machen, die keine Lust auf Autobahnstaus und klimazerstörende Flugreisen haben.

 

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