Leitartikel

„Schwingungen im Eis “

Schwingungen im Eis

Schwingungen im Eis

Siegfried Matlok
Siegfried Matlok Senior-Korrespondent
Kopenhagen/London
Zuletzt aktualisiert um:

Siegfried Matlok widmet seinen Leitartikel dem Treffen von US-Präsident Donald Trump und die dänische Staatsministerin Mette Frederiksen.

Das grönländische Eis verwandelt sich mit selbst für Wissenschaftlicher verblüffend-dramatischer Schnelligkeit: Eine politische Parallele konnte man am Mittwoch in Watford nördlich von London erleben, wo sich US-Präsident Donald Trump und die dänische Staatsministerin Mette Frederiksen zu einem einstündigen Gespräch trafen. Noch vor wenigen Wochen hatte sich das dänisch-amerikanische Verhältnis eiskalten Temperaturen genähert. Von einer schweren Krise war die Rede, nachdem der US-Präsident die Idee von einem amerikanischen Kauf der zur dänischen Reichsgemeinschaft gehörenden Insel Grönland gelüftet hatte und von Frederiksen mit dem Wort „absurd“ eiskalt abgekanzelt worden war. Sie ging nach dem Treffen nun so weit zu betonen, sie „schwinge“ mit Trump. Politik ist kein Tanz, kann man wirklich von einer Seelenverwandtschaft ausgehen, wenn zwei Staatsmänner sozusagen mit einander schwingen? Wohl kaum, ja hoffentlich nicht, aber die sozialdemokratische Regierungschefin hat zumindest das bilaterale Verhältnis unter Trump wieder auf Normaltemperatur gestellt. Vielleicht ein Stück Opportunismus, um die Gunst der Stunde zu nutzen, ausschlaggebend ist jedoch Realpolitik – in diesem Falle Geopolitik. 

Natürlich wurde zwischen beiden nicht über einen Immobilienhandel US-Grönland gesprochen, aber dennoch drehte sich alles um die Situation dieser Insel im Nordatlantik, die sich sicherheitspolitisch verschärft hat und die deshalb nach Jahren amerikanischen Desinteresses wieder im Blickfang Washingtons steht. Frederiksen hat u. a. darauf hingewiesen, dass ihr eine zunehmende russische U-Boot-Aktivität in der Arktis große Sorgen bereitet: Sozusagen als „Goodwill“ hat sie 1,5 Milliarden Kronen aus dem Verteidigungsetat im Handumdrehen umgeschichtet, um der arktischen Großmacht Dänemark mehr Schutz zu bieten. Wahrlich kein Geld aus der Portokasse; zum Vergleich klagen ja die Volksschullehrer des Landes darüber, dass ihnen die neue Regierung nur eine Milliarde zusätzlich bereitstellen will. Darüber hinaus hat Dänemark anstelle der Kanadier eine Ausbildungsaufgabe im Irak übernommen und weitere Kampfflugzeuge für die Nato zugesagt. 

Ob Frau Mette aus Kopenhagen nun im Weißen Haus „everbodys darling“ geworden ist, bleibt abzuwarten, aber sie hat, wie sie diese Krise geschultert, gemeistert hat, außen- und sicherheitspolitisch zweifelsohne an Statur gewonnen, kann nicht nur innenpolitisch punkten. Vieles wird künftig jedoch darauf ankommen, wie sie, die durchaus ein Herz für Grönland mitbringt, sowohl Grönland als auch die Färöer in der Reichsgemeinschaft „bei Laune“ hält.  Die Grönländer sehen in der sicherheitspolitischen Zuspitzung – inoffziell – sogar eine Chance und waren verärgert, dass Frederiksen ihren eigenen Regierungschef nicht am Gespräch mit Trump teilnehmen ließ. Die Tatsache, dass die USA nun ein siebenköpfiges Konsulat in Nuuk einweihen wollen, ist ebenso zu beachten wie einige unabhängige Abwärtsbewegungen auf den Färöern. Ihre Fischerei-Geschäfte mit den Russen (trotz Nato-Sanktionen) wurden in Kopenhagen stillschweigend hingenommen, die Ankündigung, dass die Regierung der christlichen Schafsinseln nun eine eigene diplomatische Vertretung in Jerusalem eröffnen will, zeigt jedoch, wie komplex die  Reichsgemeinschaft ist und wie viel Fingerspitzengefühl Kopenhagen zum Erhalt der Reichsgemeinschaft aufbringen muss, um eines Tages nicht unangenehm überrascht zu werden.  

Bemerkenswert in diesem Zusammenhang, dass sich nun auch Deutschland  in der Arktis politisch zu Wort meldet. Deutsche Polarforschung ist seit den Tagen von Alfred Wegener, dessen Grönland-Expedition im Jahr 1930 tödlich endete, international Spitze. Zurzeit läuft eine Arktisexpedition – Projekt „MOSAiC“ – mit dem Forschungseisbrecher Polarstern aus Bremerhaven, der sich ein Jahr durch das Polarmeer driften lässt, von Sibirien über den Nordpol bis Grönland, um die Dicke des Eises zu messen. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat kürzlich eingestanden, „dass wir uns vielleicht in den letzten Jahren nicht ausreichend für diese strategische Frage interessiert haben“. Die Bundesregierung hat erst im August Leitlinien deutscher Arktispolitik beschlossen. Dabei handelt es sich schwerpunktmäßig um Klima, Umwelt, Naturschutz und wissenschaftliche Aspekte, aber es finden sich auch Sätze, dass „die Entwicklungen in der Arktis auch die sicherheitspolitischen Interessen Deutschlands betreffen“.

Natürlich wünscht Berlin, dass Streitfragen einvernehmlich gelöst werden, plädiert nachdrücklich „für die Beibehaltung eines eindeutig defensiven Charakters jedweder militärischer Maßnahmen“, bekennt sich jedoch zugleich zur  Bündnisverpflichtung, will heißen, „dass sich EU und Nato mehr mit den sicherheitspolitischen Implikationen der Arktis beschäftigen“. Wie ernst dieser neue deutsche Kurs als Folge der klimatisch-sicherheitspolitischen  Veränderungen genommen wird, bewies eine Premiere in der deutschen Botschaft Nordhavn Kopenhagen, wo Botschafter Detlev Rünger Anfang der Woche mit 100 Gästen, darunter dem dänischen Arktis-Botschafter Thomas Winkler  und einem offiziellen Vertreter Grönlands, erstmalig die Lage in der Arktis diskutierte.

Das Eis ist gebrochen, bleibt aber höchst verwundbar! 

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