Leitartikel

„Weniger Bürokratie wagen – keine schlechte Idee, oder?“

Weniger Bürokratie wagen – keine schlechte Idee, oder?

Weniger Bürokratie wagen – keine schlechte Idee, oder?

Apenrade/Aabenraa
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Staatsministerin Mette Frederiksen schlägt in ihrer Neujahrsansprache vor, nochmal ganz neu im Bereich der Altenpflege anzufangen. Doch wenn Politikerinnen und Politiker „reinen Tisch machen“ wollen, dann sollte ein jeder die Augenbraue hochziehen und besonders genau hinschauen, meint Nils Baum.

Staatsministerin Mette Frederiksen möchte weniger Bürokratie wagen. Diesen Wunsch äußerte sie in ihrer Neujahrsansprache, in der sie „etwas Weitreichendes“ vorzuschlagen hatte. Und dachte dabei an die umfangreiche Regulierung und Gesetzgebung im Seniorenbereich, bei der sie reinen Tisch machen möchte und nochmal „neu anfangen“ will.

Als Begründung führte sie an, dass ältere Menschen in Dänemark heutzutage nicht die Pflege erhalten, die sie verdienten. Sie wünscht sich stattdessen eine Wohlfahrtsgesellschaft mit mehr Herz als Kontrolle, mit mehr gesunder Vernunft als Vorschriften.

Bei der Gewerkschaft FOA, die die öffentlichen Angestellten in der Altenpflege organisiert, zeigt man sich erfreut über den Vorschlag. Und veranschaulicht den Grund für die Begeisterung an einem Beispiel: Das Prinzip der fachlichen Bewertung, inwieweit eine bestimmte Maßnahme notwendig ist, gehöre als erstes abgeschafft. Wenn beispielsweise eine Person ihr Bein gebrochen hat und deshalb das Pflegepersonal eine halbe Stunde mehr Zeit für diesen Menschen aufwenden möchte, dann muss dieser zeitliche Mehraufwand bislang zunächst von einem kommunalen Verwaltungsangestellten beurteilt und gegebenenfalls genehmigt werden.

Die Praxis zeige laut FOA, dass solche Genehmigungen in vielen Fällen erst nach mehreren Tagen kommen, und oftmals sei der Bedarf in der Zwischenzeit dann gar nicht mehr da, entweder weil die Patientin oder der Patient wieder genesen oder inzwischen gestorben ist. Eine zügige Entscheidung durch das Personal vor Ort könne eine solche Situation vermeiden helfen.

Das klingt gut. Die Altenpflege ist seit Jahren von „New Public Management“-Ideen verwässert worden, bei der für alles genaue Vorgaben existieren und individuelle Bedürfnisse in starre Korsetts gepresst werden müssen. Doch passt ein industrielles Vorgehen nicht zu individueller menschlicher Pflege.

Auf der anderen Seite sichern genau formulierte Regeln auch Rechte und schützen damit den Anspruch der Senioren auf bestimmte Pflegeleistungen. Darauf macht der Kommunalforscher Roger Buch aufmerksam. Denn die wachsende Zahl an älteren Menschen in Dänemark führt dazu, dass auch die Ausgaben für die Pflege immer weiter steigen. Die Kommunen haben darauf unter anderem damit reagiert, mehr Menschen in ihren eigenen vier Wänden Pflegeleistungen zukommen zu lassen, statt ihnen einen Platz im Altenheim zuzubilligen; und irgendwann wurde damit begonnen, dann auch die Leistungen in der häuslichen Pflege zu reduzieren.

Deshalb ist die Idee von Staatsministerin Mette Frederiksen, im Bereich der Altenpflege reinen Tisch machen zu wollen und nochmal ganz neu anzufangen, womöglich ein bisschen zu viel des Guten.

Jede Staatsministerin und jeder Staatsminister möchte gerne durch ihre bzw. seine Neujahrsansprache in Erinnerung bleiben, und deshalb braucht es eine markante Botschaft. Aus parteipolitischer Sicht ist das verständlich. Zu markant sollte es aber auch nicht werden, denn wie die eingangs beschriebene Problematik zeigt, ist hier Fingerspitzengefühl verlangt.

Wenn die Kommunen in der Ausgestaltung der Altenpflege völlig freie Hand bekämen, dann könnte das im schlimmsten Fall zu einer sehr ungleichen Leistungsverteilung von Pflegeleistungen kommen und damit ein mehr als unglückliches Ungleichgewicht zwischen einzelnen Landesteilen schaffen.

Deshalb gilt auch am 1. Januar dasselbe, was für alle übrigen Tage des Jahres gilt: Das Finden eines gangbaren Mittelweges, bei dem verschiedene Aspekte bestmöglich austariert werden. Im Falle der Altenpflege wäre das die richtige Balance zwischen dem Entfernen überflüssiger bürokratischer Erschwernisregulierungen und dem Bewahren der regelbasierten Absicherung eines bestimmten Pflegestandards. Und vielleicht sollten dazu dann auch einmal die Pflegebedürftigen selbst befragt werden.

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