Leitartikel

„Wo ist Venstre?“

Wo ist Venstre?

Wo ist Venstre?

Nordschleswig/Sønderjylland
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Die beiden großen bürgerlichen Parteien Dänemarks stecken tief in der Krise. Das hat nicht nur mit dem Coronavirus zu tun, schreibt Chefredakteur Gwyn Nissen.

Die bürgerlichen Parteien in Dänemark stecken in einer tiefen Krise – und sie kommen aus dem Keller nicht raus. Vor allem die beiden tragenden Parteien im blauen Block, Venstre und die Dänische Volkspartei, sacken in den Meinungsumfragen immer weiter ab. Das hängt gewiss mit der Beliebtheit der sozialdemokratischen Staatsministerin Mette Frederiksen und ihrer Handhabung der Corona-Krise zusammen. Aber nicht nur, denn man muss sich vor allem fragen, wo Venstre ist.

Seit der Wahl im Sommer 2019, als die Partei noch mit Lars Løkke Rasmussen an der Spitze überraschend zu einem starken Ergebnis kam (23,4 Prozent der Stimmen), ist es nur noch bergab gegangen. Venstre scheint die Krise in Verbindung mit dem Vorsitz-Wechsel nicht verkraftet zu haben. Dazu noch eine Corona-Krise, in der Spitzenmann Jacob Ellemann Jensen hinter Frederiksen nur noch eine Statistenrolle einnimmt, und der Ex-Vorsitzende Løkke, der immer wieder dazwischenfunkt und somit seinen Nachfolger untergräbt.

Schließlich ist da noch die Untersuchungskommission gegen Ex-Ausländerministerin Inger Støjberg, die möglicherweise gegen dänische und internationale Regeln verstoßen hat, als sie verheiratete Asylbewerber auseinanderzwingen wollte, wenn es sich um eine minderjährige Braut handelte.

Statt hinter der eigenen zweiten Vorsitzenden zu stehen, sind die Venstre-Politiker im Fall Støjberg auffallend still. Niemand traut sich offenbar, sich auf ihre Seite zu stellen – um nicht gemeinsam mit ihr zu stürzen. Während Dänemark inmitten der Corona-Krise steht, kämpft Venstre gegen sich selbst und die eigene Krise an.

Stattdessen buhlen die Dänische Volkspartei und die Neuen Bürgerlichen um die Gunst der bei den Wählern beliebten Inger Støjberg. Und zwar direkt und ohne Rücksicht auf Venstre: Es stehe ihr frei, sich den Neuen Bürgerlichen anzuschließen, so NB-Parteichefin und Støjberg-Freundin Pernille Vermund.

Sollte Støjberg tatsächlich stürzen und wegen der fehlenden Unterstützung die Partei wechseln, dann wird sie nicht nur Wählerstimmen von Venstre mitnehmen, sondern auch die rechten Stimmen in Dänemark für die von ihr gewählten Partei sammeln. Sie könnte zum Beispiel die Neuen Bürgerlichen zur größten rechten Partei Dänemarks machen und DF noch weiter in den Sumpf ziehen.

Alles in allem bedeutet ein schwaches Venstre aber einen geschwächten blauen Block, der laut den neuesten Meinungsumfragen nur unwesentlich größer ist als die Sozialdemokraten allein. 60 Prozent würden derzeit für eine der roten Parteien stimmen. Auch ein Grund, warum die bürgerlichen Parteien derzeit keine Wahl provozieren möchten. Sie hätten keine Chance.

Der Weg aus der Krise ist daher lang. Die größte Chance auf eine Besserung scheint ein schnelles Ende der Corona-Krise zu sein, um somit Mette Frederiksen einer Plattform zu berauben. Danach können Venstre und DF am eigenen Parteiapparat laborieren, was derzeit genauso schwierig erscheint, wie die Suche nach einem Impfstoff gegen das Coronavirus.

 

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