Leitartikel

„Krisenmanagement ohne Vorbilder“

Krisenmanagement ohne Vorbilder

Krisenmanagement ohne Vorbilder

Nordschleswig/Sønderjylland
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„Nordschleswiger“-Redakteur Volker Heesch kommentiert das Vorgehen der dänischen Politik bei der eingeleiteten Rückführung der Gesellschaft aus der Corona-Krise.

Viele Zuschauer werden bei der Dienstag direkt im Fernsehen übertragenen Pressekonferenz mit Regierungschefin Mette Frederiksen, Ministern und Fachleuten deren gegenüber früheren Auftritten seit dem Beginn der Corona-Krise in Dänemark etwas entspanntere Gesichtszüge registriert haben.

Gesundheitsminister Magnus Heunicke teilte mit, man habe die Corona-Epidemie unter Kontrolle. Am Mittwoch ließ es sich Frederiksen nicht nehmen, persönlich Kinder und Personal in einer der nach wochenlanger Zwangsschließung wiedereröffneten Schule zu besuchen. Alle seien sehr froh gewesen, dass der Schulbetrieb wieder anläuft, berichtete die Politikerin, die seit Dienstagabend mit Vertretern der Folketingsparteien über die nächsten Schritte bei der Rückführung Dänemarks aus der Corona-Krise berät.

Vorsicht ist weiter beim Umgang mit der Corona-Epidemie geboten. Denn deren Ausmaß und auch heute nicht absehbaren Konsequenzen waren auch hierzulande lange unterschätzt worden, was ein Blick in die Zeitungen vor gar nicht so vielen Wochen verrät. So meldete der Verband der praktischen Ärzte Mittwoch, dass ein 63-jähriger Kollege, der bei Kopenhagen tätig gewesen ist, trotz intensiver medizinischer Behandlung infolge einer Corona-Infektion verstorben ist.

Wichtig ist, dass bei der Wiederaufnahme des Schul- und Kindergartenbetriebs Eltern und Personal die erlassenen Vorsichtsmaßnahmen ernst nehmen. Es muss genau überwacht werden, ob die Öffnung zu einem erneuten Anstieg der Corona-Infektionen führt. Es werden in diesen Tagen ja auch berufliche Ausbildungen, u. a. in der Krankenpflege, teilweise wieder aufgenommen, auch kehren viele an ihre Arbeitsplätze in der Privatwirtschaft zurück.

Die Erfahrungen sind von großer Bedeutung, wenn weitere Bereiche der Gesellschaft „wiederbelebt“ werden. Der Direktor des staatlichen Seruminstituts, Kåre Mølbæk, hatte Dienstag unterstrichen, dass das „Herunterfahren“ des ganzen Landes seit Mitte März und die verordnete Distanz zwischen den Menschen den Ansteckungsdruck deutlich vermindert habe. Man habe nicht überreagiert, so Staatsministerin Mette Frederiksen.

Zwangsweise erwarten Dänemark wie viel Länder weltweit noch reihenweise Krisenreaktionen. So teilte die dänische Nationalbank am Mittwoch mit, dass der dänische Staat bis zum Juli nicht weniger als 250 Milliarden Kronen auftreiben müsse, um die vielen Rettungsmaßnahmen für die Wirtschaft und Institutionen finanzieren zu können. Es sei mit der Ausgabe von neuen Staatsanleihen in Höhe von 125 Milliarden Kronen zu rechnen.

Der Beginn der politischen Verhandlungen über die weiteren Schritte zur Wiederinbetriebnahme Dänemarks zeigte, dass sich der politische Burgfrieden im Verlauf der Corona-Krise seinem Ende nähert. So wird von vielen Parteien eine Wiederaufnahme der Arbeit in den Gerichten gefordert. Radikale und Konservative sprechen sich für eine Wiederöffnung kleinerer Unternehmen aus, u. a. Zahnarztpraxen oder Krankengymnastikfirmen, um diese vor dem Ruin zu bewahren. Während die Dänische Volkspartei Entlastungen für die ältere Generation fordert, will die Einheitsliste Einrichtungen der Jugendhilfe reaktivieren.

Mette Frederiksen sicherte sich bereits durch die Ankündigung, die nächsten Schritte werden jeweils medizinischen Experten zur Prüfung vorgelegt.

Noch nicht thematisiert wurde in der Landespolitik eine von der Wirtschaft im Grenzland und der Touristikbranche herbeigesehnte Wiederöffnung der deutsch-dänischen Grenze. Es bleibt zu hoffen, dass die deutsche und die dänische Regierung die besondere Situation der Grenzlandbewohner in ihre Vorkehrungen einbeziehen.

Die weltweit verbreitete Geschichte der alten Leute, die sich wegen der Sperrauflagen nur am Grenzübergang treffen können, sollte auch an die menschlichen Härten der Grenz-Abschottungsmaßnahmen erinnern, deren Einführung im Kampf gegen Corona-Gefahren nie überzeugt hat. Die EU-Kommission hat in ihrem aktuellen Anti-Corona-Konzept ausdrücklich zur nachbarschaftlichen Abstimmung der nationalen Maßnahmen aufgerufen.

Obwohl die Corona-Krise und deren Bewältigung mit ganz neuen Herausforderungen verbunden ist und dem Krisenmanagement keine Vorbilder zur Verfügung stehen, bedürfen die nächsten Schritte einer kritischen politischen Debatte und einer demokratischen Kontrolle. 

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