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Johannes letzter Tag am Schreibtisch im Rathaus

Johannes letzter Tag am Schreibtisch im Rathaus

Johannes letzter Tag am Schreibtisch im Rathaus

Tingleff/Tinglev
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Johannes Christensen hat am 30. Juni noch an seinem Schreibtisch im Apenrader Rathaus gesessen. Am 1. Juli hat er frei. Auch an den folgenden Tagen werden die Kolleginnen und Kollegen ihn dort nicht finden. Er befindet sich dann nämlich im Ruhestand – fast. Foto: Karin Riggelsen

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Nach 50 Jahren ist aber noch nicht ganz Schluss. Der 68-jährige Tingleffer wird nämlich noch bis zum Jahresende gebraucht.

„Heute ist mein letzter Arbeitstag als Vollzeitmitarbeiter der Kommune – nach 50 Jahren“, bestätigt Johannes Christensen. Wenn man wie er seit seinem 18. Lebensjahr im Ort gelebt hat, dann ist es sicherlich in Ordnung, ihn als Tingleffer zu bezeichnen, auch wenn er ursprünglich aus Bollersleben (Bolderslev) stammt.

Johannes Christensen kennen die meisten dennoch nicht aufgrund seiner 50-jährigen Berufskarriere. Sein Hobby hat ihm einen gewissen Bekanntheitsgrad verschafft – zumindest bei Nordschleswigerinnen und Nordschleswigern in der Altersgruppe 50+.

Musikalisches Talent vererbt

In jungen Jahren füllte er mit seiner Band die Tanzlokale und Beatclubs der näheren und ferneren Umgebung. Später verdiente er sich als Mitglied einer Partyband ein nettes Zubrot. „Aber das ist auch schon ewig her. Bestimmt schon mehr als zehn bis zwölf Jahre. Dieses Feld überlasse ich jetzt ganz der nächsten Generation“, sagt Christensen schmunzelnd.

„Die nächste Generation“ sind seine Söhne Kim und Allan Riggelsen, die das musikalische Talent des Vaters geerbt haben und die Hälfte des vierköpfigen Tanzorchesters „4Fun“ ausmachen.

Die Drumsticks wirbeln noch

Johannes Christensen hat seine eigenen Musikinstrumente allerdings auch nicht eingemottet. Es gibt kaum ein Orchester oder eine Band in der näheren Umgebung von Tingleff, wo er nicht schon auf die Pauke beziehungsweise auf die Drum gehauen hat.

Für seine „alten Tage“ hat er jedoch jetzt ein Engagement gefunden, das ihm musikalisch und menschlich sehr entgegenkommt.

Vor rund anderthalb Jahren erhielt er nämlich einen Anruf aus Reppel (Rebbøl). Die dort ansässige Swing Band suchte einen Schlagzeuger. Seitdem spielt er in dem Orchester mit. „Unsere Auftritte sind vornehmlich bei Veranstaltungen von ,Ældre Sagen’ und in Pflegeheimen. Das macht großen Spaß“, sagt der 68-Jährige.

Früher Chefs, heute Kollegen

Mit zwei Bandkollegen hatte Christensen in seiner beruflichen Laufbahn auch lange zu tun. Albert Johannsen war einst sozialdemokratischer Stadtratsabgeordneter der damaligen Kommune Tingleff und war in dieser Zeit Vorsitzender des Sozialausschusses. Zu der Zeit hieß Tingleffs Sozialverwaltungschef Poul Nielsen und war damit viele Jahre der direkte Vorgesetzte von Johannes Christensen. Beide sind Trompeter der Rebbøl Swing Band.

Bis zum Jahresende will die Kommune nicht auf seine Expertise bei den Treffen des sogenannten Rehabilitierungs-Teams verzichten. Foto: Karin Riggelsen

Maschineschreiben gelernt

Dass er kein Handwerker werden würde, war dem heute 68-Jährigen schon früh klar. „Ich bin handwerklich gänzlich unbegabt; habe zehn Daumen“, sagt er über sich selbst.

„Ich wusste deshalb, dass die berufliche Zukunft für mich wohl eher in einem Bürojob zu suchen ist. Ich entschied mich aus diesem Grund auch gezielt gegen das Realexamen, sondern machte die 8., 9. und 10. Klasse, weil ich dann so ein Fach wie Maschineschreiben hatte, und das würde ich doch künftig brauchen, war ich überzeugt. Damals wurde ja noch alles auf Schreibmaschinen geschrieben. Computer gab es ja noch nicht wirklich“, erinnert sich Johannes Christensen an diese Zeit Ende der 1960er Jahre.

Nach der 10. Klasse hängte er noch die Handelsschule dran. Dann war er bereit für eine Lehrstelle. Im Tingleffer Rathaus war eine in der ökonomischen Verwaltung frei. Das war im Jahr 1971. Johannes Christensen hatte gerade sein 18. Lebensjahr vollendet.

Zeiten des Umbruchs

Es war eine Zeit des Umbruchs. 1970 war in Dänemark eine Kommunalreform vollzogen worden. Die Kommune Tingleff war aus den sechs Gemeinden Bjolderup, Buhrkall (Burkal), Bülderup (Bylderup), Rapstedt (Ravsted), Uk (Uge) und Tingleff gebildet worden.

Allerdings stellte Johannes Christensen aber schon bald fest, dass ihm der Bürgerkontakt fehlte. „Auf die Dauer waren die trockenen Zahlen mir dann doch zu langweilig“, gesteht er.

Nach seiner Ausbildung blieb er noch ein paar Jahre in der Finanzabteilung, bewarb sich dann aber für die Sozialverwaltung.

Wechsel in die Sozialverwaltung

Er war viele Jahre dort als Sachbearbeiter und später als Sozialvermittler tätig und hat sein Wissen mit ständigen Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen auf den neuesten Stand gebracht.

Nach der jüngsten Kommunalreform 2007 wechselte Johannes Christensen ins Rathaus der neu gebildeten Großkommune Apenrade (Aabenraa).

Er übernahm dort zunächst andere Aufgaben, als aber 2013 das sogenannte „Rehabilitierungs-Team“ gebildet wurde, wobei es sich um ein abteilungsübergreifendes Dialog- und Koordinierungsforum handelt, das bei komplexeren Problemstellungen zusammentritt, um gemeinsam mit dem Bürger oder der Bürgerin zu entscheiden, unter welchen Voraussetzungen eine Ausbildung oder ein Arbeitsplatz bestritten werden kann, wurde Johannes Christensen ins Boot geholt.

Spannende Herausforderung

„Das war und ist wirklich eine spannende Aufgabe. Das ist sicherlich auch mit ein Grund dafür, dass ich nicht schon mit 60 Jahren in den Vorruhestand gegangen bin und dass ich auch nicht mit 65 Jahren, wie es mir möglich gewesen wäre, in Rente gegangen bin. Ich werde zudem noch eine Weile auf der Gehaltsliste des Rathauses bleiben, weil ich noch bis zum Ende dieses Jahres an drei monatlichen Sitzungen des Rehabilitierungs-Teams teilnehme“, erzählt Johannes Christensen.

Fächerübergreifender Ansatz

Der ganzheitliche Ansatz, mit dem in diesem Gremium gearbeitet wird, kommt seiner persönlichen Denkweise entgegen. „Ich gehöre ja noch einer Generation von Sozialverwaltungsmitarbeitern an, an die sich die Bürger mit einer Frage gewandt haben, wo es sich aber im Gespräch herausstellt, dass es in dem Leben dieser Person auch andere Probleme oder Herausforderungen gibt, die nicht unbedingt in das Ressort der Sozialverwaltung fallen. Zu Tingleffer Zeiten haben wir die Bürger nicht zum nächsten Kollegen geschickt, sondern haben uns auch dieses Problems angenommen. Ich bin quasi damit aufgewachsen, fächerübergreifend zu denken“, sagt Johannes Christensen völlig wertfrei. Es war einfach so.

Ein kleines (konstruiertes) Beispiel:

Ein Bürger beantragt im Rathaus finanzielle Hilfe, damit seine Kinder am Sommercamp des Sportvereins teilnehmen können. Frage: Warum kann er den Aufenthalt nicht selbst zahlen? Antwort: Er ist arbeitslos. Frage: Warum ist er arbeitslos? Antwort: Er hat seinen Job wegen seiner Alkoholsucht verloren. – Die ganzheitliche(n) Lösung(en): Ihm und seinen Kindern ist im ersten Moment mit den 1.000 Kronen für die Sommercamps geholfen. Damit er jedoch wieder eine feste Arbeit bestreiten und künftig selbst für die Hobbys seiner Kinder aufkommen kann, wird dem Mann eine Suchttherapie genehmigt.

Der 68-jährige Tingleffer freut sich darauf, künftig mehr Zeit für die Familie, fürs Reisen und für seine Hobbys zu haben. Foto: Karin Riggelsen

Seine Arbeit wird wertgeschätzt

Dass Johannes Christensen im Laufe seiner 50 Jahre auf diesem Gebiet eine gewisse Expertise aufgebaut hat, die auch der Arbeitgeber wertzuschätzen weiß, freut ihn natürlich.

„Mit den drei monatlichen Sitzungen bis zum Jahresende kann ich mich peu à peu an das Rentnerdasein gewöhnen. Das passt mir ganz gut, so halte ich noch eine Weile den Kontakt zu den Kollegen“, sagt Christensen.

Was steht außer Musik machen noch auf der Liste des Bald-Rentners?

„Ich werde ganz sicher mehr Zeit mit meiner Frau in unserem Sommerhaus verbringen. Wir werden auch mehr verreisen, in die Toskana zum Beispiel. Ich habe mir zudem vorgenommen, wieder mehr Badminton und Tennis zu spielen und hätte mehr Zeit für meine Enkelin, wenn sie das denn überhaupt will. Sie ist ja inzwischen groß“, stellt er lachend fest.

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