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„Das Meer verwischt (nicht) alle Spuren – oder warum Umweltminister Heunicke endlich in die Puschen kommen sollte“

Das Meer verwischt (nicht) alle Spuren

Das Meer verwischt (nicht) alle Spuren

Kopenhagen
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Braunalgen erdrücken die Pflanzen am Meeresboden. Foto: Asger Ladefoged/Ritzau Scanpix

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Früher als sonst blühen die Algen in unseren Gewässern und ersticken das übrige Leben. Doch weil wir die sich ausbreitenden Wüsten am Meeresboden nicht sehen können, verdrängen wir sie nur allzu gerne, meint Walter Turnowsky.

Man geht barfuß einen Strand auf dem festen Sand entlang, der von den Wellen überspült wird. Kaum ist man drei Schritte weiter, sind die eigenen Fußstapfen schon wieder verschwunden. Das Meer verwischt die Spuren.

So wie es auch die Verschmutzung mit Abwässern und Nährsalzen verwischt. Die Abwässer werden schnell unsichtbar, und die Nährsalze können wir ohnehin nicht sehen. Und was sich unter der Wasseroberfläche abspielt, sehen viele Menschen auch nicht.

Unter diesen vielen Menschen dürften auch so einige Entscheidungsträgerinnen und -träger sein. Wie sonst ist es zu erklären, dass sie zugelassen haben, dass wir die Gewässer jahrzehntelang geschändet haben. Das Meer verwischt eben alle Spuren.

Bis man einmal etwas genauer hinschaut. So wie mein Freund und ich, als wir am Montagabend in die Wathosen hüpften, um bei Kopenhagen ein paar Stunden zu angeln. Der schöne Tangwald, den wir uns als Platz auserkoren hatten, war vollkommen von Braunalgen überzogen. Auf Dänisch tragen sie den treffenden Namen „Fedtemøg“.

Dass dies nicht nur ein Phänomen dieses Platzes ist, belegen Unterwasseraufnahmen aus dem ganzen Land, die mir als Angler in diversen Facebook-Gruppen begegnen. Bereits im April, deutlich früher als sonst, begann der „Fedtemøg“ damit, Tang und Seegras das Licht wegzunehmen, es zu erdrosseln.

Diese Fußstapfen haben wir nachdrücklich in den Meeresboden gedrückt –  doch wie erwähnt, für viele bleiben sie unter der Wasseroberfläche verborgen. Wir wissen zwar seit Jahrzehnten, dass wir sie dort hinterlassen, aber solange wir keine Bilder davon sehen, wird verdrängt, was wir da anrichten.

So waren es auch Bilder von toten Hummern, die in den 80er-Jahren erstmalig die Politik weckten. Bereits damals war eigentlich bekannt, dass das Meer unsere Spuren eben nicht verwischt, aber wir mussten sie erst sehen, bevor wir unsere Abdrücke nicht mehr verdrängen konnten. 1987 wurde der erste Plan zum Schutz der Gewässer, bekannt als „Vandmiljøplan I“, angenommen. 

Abwasser durfte nicht mehr ungeklärt ins Meer geleitet werden, so wie das unter anderem in der Apenrader Förde geschah. Die Stelle, wo die Chose an die Wasseroberfläche quoll, war vom Volksmund nach der damaligen Bürgermeisterin „Cammas Øje“ („Cammas Auge“) getauft worden. 

Auch der Dünger der Landwirtschaft sollte besser genutzt und so weniger Nährsalze in die Gewässer gespült werden. Dass dies nicht reichen würde, war eigentlich damals schon bekannt. Dasselbe galt für „Vandmiljøplan II“ (1988),  „Vandmiljøplan III“ (2004), „Aftale om Grøn Vækst“ (2009), „Vandplan I“ (2014) und „Vandplan II“ (2016).

Doch obwohl immer genauere Daten belegten, dass dies nicht reicht, wurde diese Erkenntnis immer wieder vom politischen Alltag weggespült. Eifrig nachgeholfen haben dabei so einige Vertreterinnen und Vertreter der Verbände der Landwirtschaft, die Zahlen hinterfragt und die Umweltfachleute zum Teil diffamiert haben. 

Braunalgen erdrücken das Seegras. Die Fotos aus dem „Berlingske“-Artikel „Dødvande“ haben dazu beigetragen, die Politik wachzurütteln. Foto: Asger Ladefoged/Ritzau Scanpix

Es brauchte im vergangenen Jahr wiederum Bilder, um die Fußspuren am Meeresboden erneut ins politische Bewusstsein zu rufen. Da war bereits vermeldet worden, dass der Sauerstoffschwund so umfassend war wie seit 20 Jahren nicht. 

Videoaufnahmen zeigten dann, dass der Boden des Vejle Fjord so gut wie tot ist. Im Laufe von 70 Stunden Unterwasseraufzeichnungen konnten die Biologinnen und Biologen nur eine Flunder entdecken. 

Bei einer Aktion von Greenpeace und dem Sportfischerverband im April wurde der Vejle Fjord „beerdigt“. Foto: Arthur Cammelbeeck/Ritzau Scanpix

Die Bilder riefen auch Umweltminister Magnus Heunicke (Soz.) auf den Plan. „Wir haben versagt“, gestand er laut „Politiken“ und ließ sich im August in einem Boot im heimatlichen Karrebæk Fjord ablichten. Er versprach, zeitnah einen akuten Plan für die Meeresumwelt vorzulegen und Maßnahmen zur notwendigen Reduktion der Stickstoffverschmutzung zu ergreifen.  

Einen Monat nach diesen Aussagen wurden er und der Rest der Bevölkerung von Videos und Fotos in „Berlingske“ daran erinnert, wie umfassend dieses Versagen ist. Zwei Fotojournalisten hatten über zwölf Monate den Zustand der Gewässer aufgezeichnet. Die Aufnahmen zeigen die sterbenden Unterwasserlandschaften.  

Am Mittwoch, mehr als acht Monate nach dem Interview am Karrebæk Fjord, kam dann das akute Paket von Heunicke. Als er während der Corona-Krise Gesundheitsminister war, sah akut bei ihm noch etwas anders aus. 

Das Paket hilft lediglich zwei Förden: dem Limfjord und dem Vejle Fjord, von dem das Video mit dem toten Meeresgrund stammt.  Der Alsensund sowie die Flensburger, Apenrader und Haderslebener Förde müssen noch ein wenig abwarten – bis irgendwann einmal später in diesem Jahr.

Lebloser Boden in der Flensburger Förde (Archivfoto) Foto: Privat

Dann möchte der populäre Minister Gespräche zu einer neuen Regulierung des Nitrats einleiten. Zunächst werde noch gerechnet, was notwendig sei, sagt er zu „Ritzau“.  

Wann die Gespräche zu einem Ergebnis führen werden und wann dies dann in Handlung umgesetzt wird, ist noch ungewiss. Aber bis dahin werden wohl noch so einige Wellen über den Strand rollen. 

Die Folgen eines weiteren Zögerns werden sie jedoch nicht wegschwemmen können. 

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