Interview
Maike Minor: „Ich hoffe, die Erfahrungen des MTV wirken in der Minderheit nach“
Maike Minor: „Ich hoffe, die Erfahrungen des MTV wirken nach“
Maike Minor: „Ich hoffe, die Erfahrungen wirken nach“
Diesen Artikel vorlesen lassen.
Nachdem der MTV Apenrade gut eineinhalb Jahre einen Sexismus-Fall debattiert hat und zu einem Ergebnis gekommen ist, spricht die Betroffene in dem Fall jetzt über ihre Höhen und Tiefen im Verlauf und ihre Entscheidung, den Vorfall dem Vorstand zu melden.
Im MTV Apenrade (ehemals „Männerturnverein“, jetzt „Mein Turnverein“) wurde eine Satzungsänderung vorgenommen, die darauf hinweist, dass geltende Werte, Politik und Richtlinien des Deutschen Jugendverbandes für Nordschleswig und des Bundes Deutscher Nordschleswiger einzuhalten sind. Das gilt auch für die Null-Toleranz-Haltung der Sexismuspolitik.
Diesem Beschluss ging eine gut eineinhalb Jahre lange Diskussion voraus, die ein Sexismus-Fall während einer Vereins-Aktivität auslöste. Bei der Betroffenen handelt es sich um Maike Minor, die im Interview mit dem „Nordschleswiger“ darüber spricht, wie es ist, eine solche Erfahrung zu machen, diese zu melden und für Konsequenzen zu kämpfen.
Maike, vor etwas mehr als eineinhalb Jahren ist im Kontext einer Vereins-Aktivität eine Situation entstanden, in der du das Handeln deines Gegenübers ganz klar als sexuellen Übergriff einordnest. Ist das etwas, das dir in diesem Moment schon bewusst war?
„Ja, mir war in dem Moment ganz klar: Das ist übergriffig. Und es hat meinerseits auch direkt in der Situation eine eindeutige Zurückweisung gegeben.“
Dann war die Situation beendet. Wie ging es dir danach?
„Ich war erst einmal überrumpelt. Es ist vergleichbar mit einem Auffahrunfall: Alles läuft normal und nach üblichen Normen und plötzlich tut jemand völlig unerwartet etwas, das diesen Normen nicht entspricht.“
Du hast gesagt, in der Situation gab es deinerseits eine klare Zurückweisung. Im Nachhinein wurde dieser Vorfall aber im Verein diskutiert. Wie kam es dazu?
„Die Situation entstand ja im Vereins-Kontext, und ich war zu diesem Zeitpunkt im Vorstand des MTV. Ich hatte mir überlegt, dass ich mir dort gern Hilfe holen wollte.“
Hilfe für dich persönlich? Oder Hilfe im Sinne von: Wir brauchen für solche Fälle ein Hilfesystem, auf das Betroffene zurückgreifen können?
„Nein, das habe ich zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht so reflektiert. Diese übergeordneten Gedanken, dass die Auseinandersetzung mit meinem Fall auch Auswirkungen für andere haben kann, die kamen erst im späteren Verlauf.
Aber zu diesem Zeitpunkt ging es mir erst einmal nur um mich persönlich. Ich wusste: Das war nicht okay, und das ist jemand, dem werde ich wieder begegnen. Damit musste ich irgendwie umgehen, und dabei wollte ich einfach Hilfe von meinen Kollegen und Kolleginnen haben.“
Du hast dich also entschieden, den Vorfall anzusprechen. An wen wendet man sich in so einer Situation?
„Na ja, ich habe mir überlegt, wer dafür ein offenes Ohr haben könnte, an wen ich mich wenden könnte. Das war ein reines Bauchgefühl.“
Deine Entscheidung, den Vorfall im Vorstand anzusprechen, hat eine Debatte losgetreten, die auch öffentlich geführt wurde. War das ein Selbstläufer?
„Nein. In dem Verlauf hatte ich natürlich meine Höhen und Tiefen. Aber vor jedem Schritt habe ich mich gefragt: Will ich das? Ich habe schon das Gefühl, dass ich bis zu einem gewissen Punkt die Kontrolle hatte, ob es dazu kommt, dass mein Fall im Verein, aber auch darüber hinaus in der Minderheit diskutiert wird.“
Was meinst du damit, dass du Höhen und Tiefen hattest?
„Anfangs war ich noch ziemlich aufgerüttelt. Als ich an den Vorstand herangetreten bin, musste ich erst einmal feststellen, dass so gar kein Wissen darüber vorhanden war, was in so einer Situation zu tun ist. Dass es bereits die Sexismus-Politik der AG Gleichstellung gab, das wusste zu dem Zeitpunkt noch niemand von uns – ich selbst ja auch nicht.“
Und das war dann ein Tief?
„Ja. Das war für uns alle im Vorstand Neuland. Wir waren ein wenig hilflos. Und dann hat man ja bestimmte Abwehrmechanismen. Die haben nicht nur andere, sondern man entwickelt sie auch selbst, um sich zu schützen. Das kann zum Beispiel sein, dass man sagt: Ach, das war bestimmt nicht so schlimm. Das bekommen wir schon geregelt. Mach dir keine Gedanken, das war sicher nicht so gemeint.“
Und diese Beispiele hast du auch so zu hören bekommen?
„Ja. Anfangs. Aber dann haben wir das ja überwunden.“
Ein Hoch also?
„Ja. Danach hatte ich den Hinweis bekommen, dass es die AG Gleichstellung und auch eine Sexismus-Politik gibt – die ja eigentlich Anti-Sexismus-Politik heißen müsste. Ich habe mich jedenfalls an die AG gewendet. Diese war dann auch involviert, um den Vorstand dabei zu unterstützen, mit dem Fall umzugehen. Da gibt es einen Leitfaden, was zu tun ist. Mir wurde aber geraten, mich aus diesem weiteren Vorgehen zurückzuziehen, weil ich ja betroffen bin. Das war auch sinnvoll, denke ich.“
In diesem weiteren Verlauf wurde dein Fall lange behandelt und besprochen. Jetzt gibt es ein Ergebnis. Nämlich eine Satzungsänderung, in der der Verein sich zu den Richtlinien des Bundes Deutscher Nordschleswiger und somit auch der AG Gleichstellung bekennt. Es gilt also eine Null-Toleranz-Politik gegenüber Sexismus und sexuell übergriffigem Verhalten. Ist das ein Ergebnis, das du dir gewünscht hast?
„Es ist ein Ergebnis, mit dem ich leben kann. Es ist gut, dass es diese Satzungsänderung gibt und ich glaube, dass der Verein aus dem Vorfall und dem späteren Verlauf viel gelernt hat.“
Die Satzungsänderung bringt doch aber eigentlich nichts Neues. Die AG Gleichstellung gab es ja schon vor deinem Fall und die Minderheit, genauer gesagt der BDN als Dachverein, hat sich mit oder ohne deinen Fall zur Richtlinie gegen Sexismus bekannt. Was ändert sich dadurch?
„Das ist richtig, die gab es schon. Aber was nützt das, wenn diejenigen, die die Angebote der Minderheit nutzen, die Richtlinie nicht kennen? Die Frage ist ja: Wie kann man vorbeugend arbeiten? Wie kann man an einem Klima und einer Kultur arbeiten, in der klar ist, dass es eine Null-Toleranz-Haltung gegenüber Sexismus und sexuell übergriffigem Verhalten gibt? Das passiert ja nicht, weil man ein Papier auf eine Homepage stellt. Wenn es aber in die Vereinssatzung aufgenommen wird, können Betroffene dort nachschauen und wissen, was die Haltung des Vereins dazu ist, und an wen man sich wenden kann.“
Bei der Frage nach deiner Haltung zu dem Ergebnis hast du etwas gezögert. Weil du nicht 100 Prozent zufrieden bist?
„Die Frage ist schwer zu beantworten, denn ich bin betroffen. Ich denke, so wie es jetzt ist, ist es gut. Ich kann mich damit abfinden und blicke insgesamt positiv auf den Verlauf.“
Was – außer dem Ergebnis – ist an dem Verlauf positiv?
„Ich kann natürlich nur aus meiner Perspektive sprechen. Aber ich habe es so empfunden, dass dieser Vorfall auch für alle Beteiligten etwas Besonderes ist. Ich glaube, der Verein hat mit der Suche nach dem richtigen Umgang in diesem Fall wichtige Erfahrungen gesammelt.
Der Vorstand hat auch noch mal gesagt, dass man aus diesem Fall und der Auseinandersetzung damit gelernt hat. Zum Beispiel, dass es bei sexueller Belästigung darum geht, wie der oder die Betroffene das empfindet. Und das ist doch etwas Gutes.“
… aber?
„Wenn ich den ganzen Verlauf rückblickend anschaue, muss ich sagen: Es hat zum Glück – an manchen Stellen gerade so – aber an allen Stellen zum richtigen Zeitpunkt die richtige Hilfe gegeben. Sowohl für mich als auch für den Verein.
Gleichzeitig sehe ich das Problem darin, dass es Zufall war.“
Was müsste also passieren?
„Ich würde es gut finden, wenn die Minderheit mit dem Thema an übergeordneter Stelle weiterarbeitet. Wenn es eine oder zwei feste Personen gibt, die man als betroffene Person kontaktieren kann.
Es gibt zwar die AG Gleichstellung, aber die hat viele Mitglieder. Und ich weiß nicht bei jedem, welche Einstellung sie zu dem Thema haben, ob sie eine offizielle Funktion haben oder ob sie überhaupt ein Mandat haben.
Ich denke, es sollte eine oder zwei Personen geben, die vielleicht auch eine Schulung gemacht haben, die sie auf diese Situation vorbereitet, sodass sie angemessen reagieren können.
Ich glaube, dass das erste Gespräch, das man nach so einem Zwischenfall führt, ausschlaggebend dafür ist, wie es in der Sache weitergeht. Und ob es weitergeht.“
Würdest du anderen, die ähnliches erfahren, dazu raten, es so zu machen wie du und es anzusprechen?
„Das ist sehr individuell, und es gibt vermutlich keine pauschale Antwort dafür. Ich würde mir wünschen, dass der oder die Betroffene dann so mutig ist und sich Hilfe holt. Und es wäre natürlich wünschenswert, wenn das in einem gesetzten Rahmen passiert, in dem klar ist, was zu tun ist und wer dabei unterstützen kann.
Die Hilfe kann ja unterschiedlich aussehen, je nachdem wie sehr einen das Erlebte erschüttert,und was einem dann hilft. Wenn es aber zum Beispiel eine geschulte Ansprechperson gibt, an die man sich für ein Gespräch wenden kann, würde das schon sehr helfen. Dann kann es ja auch sein, dass es in diesem Rahmen bleibt. Aber die Person weiß: Da ist jemand, der kennt sich damit aus, und ich muss mir keine Gedanken um die Reaktion machen.“
Retrospektiv: Bist du froh, die Debatte in Gang gesetzt zu haben? Oder bereust du die Entscheidung?
„Es gab solche und solche Momente. Und ich bin ja auch nicht die Erste, die eine Sexismus-Debatte losgetreten hat – die gab es auch schon vorher. Aber ich denke … oder ich hoffe natürlich schon, dass die Erfahrungen, die jetzt gemacht wurden, auch nachwirken.“