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Dänischer Ex-Minister und FDP-Politiker: Deutsches Volk ist nicht rechtsextrem

Dänischer Ex-Minister und FDP-Politiker: Deutsches Volk ist nicht rechtsextrem

Dänischer Ex-Minister: Deutschland ist nicht rechtsextrem

DN
Kopenhagen
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Tom Høyem ist Minister in der Regierung von Poul Schlüter und FDP-Stadtratspolitiker in Karlsruhe gewesen. Foto: DK4

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Der ehemalige Grönlandminister Tom Høyem fordert einen anderen Umfang mit der AfD und warnt vor ihrer Isolierung. Im Fernseh-Interview auf „DK4“ erinnert er dabei auch an ein Stück Marzipan, das in Dänemark Geschichte machte.

Kein dänischer Politiker kennt die deutsche Politik so gut wie Tom Høyem. Der frühere Grönlandminister für die Zentrums-Demokraten in der Regierung Schlüter war nicht nur jahrelang Rektor der Europaschule in Karlsruhe, sondern vertrat noch bis vor Kurzem 20 Jahre lang die FDP im Stadtrat der süddeutschen Großstadt. 

In einem Interview mit dem Fernsehsender „DK4“ spricht der heute 82-jährige Høyem offen über den nach seiner Ansicht mangelhaften Umgang der deutschen Politik mit der AfD.

„Ich kann mich nicht so aufregen wie manch anderer über die AfD. Gewiss, es gibt Politiker, die rechtsextrem sind und mit denen ich nicht in einer Stube sitzen möchte, denn die Partei – einst Professoren-Partei unter der Leitung des Euro-Skeptikers Professor Meuthen –  ist ja immer extremer geworden, aber das bedeutet ja nicht, dass das deutsche Volk heute rechtsextrem eingestellt ist.“  

So Høyem in einem Interview in der Sendung „Dansk-tysk med Matlok“, das vor den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen aufgenommen wurde. Nach seinen Worten sind die Stimmengewinne für die AfD vielmehr eine Reaktion auf eine Politik, die nach Ansicht vieler zu tolerant gewesen ist, im Rückblick besonders bezogen auf die Merkel-Parole „Wir schaffen das“ während der Flüchtlingskrise 2015.

Was nach seiner Meinung schiefläuft, „ist die Tatsache, dass man die AfD in Deutschland immer mehr isoliert und der Partei dadurch einen Freifahrtschein gibt ohne jede politische Mitverantwortung“. 

Fehlende Dialogbereitschaft 

Sein Beispiel: „Ich war 20 Jahre lang FDP-Mitglied im Stadtrat von Karslruhe, und mein Nebenmann war der AfD-Fraktionsvorsitzende, ein Nuklear-Ingenieur. Zwar ein Mann mit scharfen Meinungen – jedoch nicht wie Höcke –, und ich konnte nicht verstehen, wenn die anderen Stadtratsmitglieder von mir verlangten, dass ich nicht mit ihm reden sollte. Man hat heute 25 Prozent der deutschen Wähler, die auf die AfD stimmen. Das sind ja keine bösen Menschen, weil sie mit der geführten Regierungspolitik unzufrieden sind, und man sollte sie deshalb nicht ausgrenzen.“ Høyem fasst Deutschlands politisches Problem von heute auf „DK4“ so zusammen: „Das politische Gespräch stirbt, weil die Dialogbereitschaft fehlt, die wir aus Dänemark, kennen.“  

Im Interview wird Høyem auf eine ähnliche Gesprächslosigkeit in der dänischen Politik hingewiesen, die es bei den sogenannten Umbruchwahlen (jordskredsvalget) 1973 gab, als niemand mit dem rechten Mogens Glistrup sprechen wollte, bis der damalige CD-Chef Erhard Jakobsen sich mit ihm traf und sogar öffentlich-aufsehenerregend mit Glistrup ein Marzipan teilte.  „Das ist natürlich in Deutschland gar nicht möglich, auch ein DF-light oder eine Lösung wie mit den Schwedendemokraten ist bisher in Deutschland ausgeschlossen, denn es gibt einen entscheidenden Unterschied: die deutsche Geschichte, also was tun?“, fragt Matlok?

Høyem: „Der frühere Staatsminister Poul Nyrup Rasmussen hat einmal über DF gesagt: Stubenrein werdet ihr nie. Das war jene Haltung, die Erhard Jakobsen grundsätzlich abgelehnt hat, nicht wegen der Person Glistrup, sondern wegen des Respekts vor den dänischen Wählerinnen und Wählern, die die Partei demokratisch gewählt hatten.“

Deutsche Vergangenheit und die heutige Generation

Høyem betont: „Die deutsche Geschichte ist für dich und mich wichtig, die Erinnerungskultur ist positiv und wird auch stets gepflegt, um aus der Geschichte zu lernen. Aber die jüngeren Generationen sind es müde, habe keine Lust, im Fernsehen stets Programme über den Zweiten Weltkrieg sehen zu müssen. Wir haben heute eine Generation, für die die Vergangenheit wirklich Vergangenheit ist. Wenn man aber die AfD zu einer reinen Nazi-Partei machen will, dann ist das völlig übertrieben. Und die Tatsache, dass sogar manche AfD-Versammlungen wegen Demonstranten nicht stattfinden können, geht auch über das hinaus, wie wir in Dänemark politische Gegensätze austragen. 

Ich bin nicht für eine Zusammenarbeit mit der AfD, aber wenn sie über 25 Prozent Wählerinnen und Wähler hinter sich hat, dann muss man darüber nachdenken, wie man die Partei auf irgendeine Weise in eine Mit-Verantwortung hineinziehen kann. Jetzt kann die AfD immer wieder behaupten: Es ist die Schuld der anderen, der etablierten Parteien.  Diese ‚Unschuld‘ muss man ihnen nehmen“, sagte Høyem.

35 Missionen für Demokratie 

Insgesamt hat er 35 Missionen als internationaler Wahlobservateur durchgeführt – u. a. in der Ukraine, in Bosnien, Palästina, und nun zuletzt sogar sowohl für die dänische als auch für die deutsche Regierung in Aserbaidschan. Seine zunehmende Sorge gilt dem großen und kleinen Parlamentarismus. Während in unseren Ländern bedauerlich eine Demokratie-Müdigkeit festzustellen sei – zurzeit oft sogar eine radikale Stimmung gegen gewählte Politikerinnen und Politiker –  kämpfen Bürgerinnen und Bürger in diesen Ländern hart um das Recht auf Demokratie. In diesen Ländern werden die Bevölkerungen zwar die westliche Demokratie nicht im Verhältnis 1:1 übernehmen wollen, aber er, Høyem, hofft dennoch, dass sie erkennen, dass die Demokratie ihnen insgesamt größere Vorteile bringt als autoritäre-zentralistische Regierungsformen.  

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