Grenzüberschreitendes

Gerhard Bertelsen: Müssen Barrieren in der Fehmarnbeltregion schon jetzt abbauen

Gerhard Bertelsen: Barrieren in der Beltregion angehen

Gerhard Bertelsen: Barrieren in der Beltregion angehen

Apenrade
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Das Tunnelportal am Fehmarnbelt, wie es einmal aussehen soll. Foto: ICONO A/S/Femern A/S/dpa

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Gerhard Bertelsen ist ein Kind der Minderheit, früheres Stadtratsmitglied für die Schleswigsche Partei in Sonderburg, Wirtschaftsexperte und heute als Mitglied im Interreg-Ausschuss tätig. Im Interview mit dem „Nordschleswiger“ spricht er über die Chancen, die der Fehmarnbelttunnel für die Region eröffnet und wie die deutsche und die dänische Minderheit dabei unterstützen können. 

Der Fehmarnbelt-Tunnel wird die Region Seeland ab 2029 fest mit dem südlichen Schleswig-Holstein verbinden. Die Hürden für ein zweites Grenzland müssen jetzt erkannt und beseitigt werden, meint Gerhard Bertelsen im Interview mit dem „Nordschleswiger“. Dabei spielen seiner Meinung nach die Minderheiten im bestehenden Grenzland und gezielte Interreg-Projekte eine große Rolle. 

Als du in den Interreg-Ausschuss eingetreten bist, hast du meiner Kollegin Ilse Jacobsen 2021 gesagt, du tust das zum Wohle des Grenzlandes. Was ist deine Motivation?

Gerhard Bertelsen: „Für mich persönlich bedeutet das Grenzland die Zusammenarbeit der Minderheiten und dass wir unser Wissen und unsere Kompetenzen dort einbringen, um die Zusammenarbeit zwischen den zwei Ländern als eine Art Katalysator zu fördern. Ich als Ökonom bin der Meinung, wir sollten kein Geld ausgeben nur des Geldes wegen. Wenn es nichts anderes einbringt, als dass die Firmen Geld verdienen, dann sollte man vorsichtig sein. Das ist ein Balanceakt. Es gibt glücklicherweise eine Kontrolle, ob eines der langfristigen Ziele der Zusammenarbeit eines Interreg-Projektes erreicht wird. Weil das Geld immer knapper wird, ist es wichtig, dass wir die richtigen Projekte erarbeiten.

Wenn wir als Nordschleswiger heute noch gefragt werden, bist du Deutscher oder Däne, dann haben wir immer gesagt, wir sind Europäer. Das ist die Kernaussage. Und dann ist Interreg eben europäisch. Das versuche ich auch in Gesprächen und beim Netzwerken zu vermitteln. Als Kind der Minderheit weiß ich, dass die Minderheit kleiner und kleiner wird, wenn nicht neue Leute dazukommen. Daher heiße ich jeden Zuzügler willkommen, aber er ist keine Minderheit im Sinne der Minderheit. Es ist eine Interessengemeinschaft, in der gemeinsam daran gearbeitet wird, die deutsche und dänische Kultur weiterzupflegen. Das ist ja heute die Minderheit. Und zum Glück kommen neue Leute dazu, die auf beiden Seiten der Grenze die Minderheiteninstitutionen nutzen und sich engagieren. Aber auch die bezeichne ich nicht als Minderheit, aber sie sind wertvoll für die Gemeinschaft.“

Gerhard Bertelsen
Gerhard Bertelsen sieht Interreg als Brückenbauer zwischen Seeland und dem südlichen Schleswig-Holstein. Foto: Karin Riggelsen

Welche Rolle spielt Interreg bei der Entwicklung der Region Fehmarnbelt als Grenzland?

„Die Entwicklung steckt ja noch in den Kinderschuhen. Viel Kommunikation ist ja immer noch auf Englisch, weil viele Seeländer kein Deutsch können. Bei uns in unserer Region ist es oftmals so, dass die Leute, die sich da engagieren, von vornherein die Sprache und auch die Kultur so ein bisschen kennen. Es ist einer der großen Vorteile für Seeland und Ostholstein, dass wir bei Interreg in einem Ausschuss zusammen sind. Jedes Mal, wenn diskutiert wird, von der dänischen oder von der deutschen Seite, findet immer ein Erfahrungsaustausch statt. Die Erfahrung, die wir seit mittlerweile 40 Jahren der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit haben, das kommt der neuen Region dort sehr zugute.“

Was passiert am Fehmarnbelt bereits konkret?

„Ganz langsam entstehen dort auch Kultur- und Sprachenprojekte im Interreg. Vieles fängt ja mit der Kultur an, wie hier bei uns. Dann erst kamen die Industrie dazu und der Tourismus. Was der Vorteil ist, ist, dass die ganzen Kulturprojekte dazu geführt haben, dass die Voraussetzungen auch für das sprachliche Verständnis eigentlich vorhanden waren, weil vieles über die Schulen südlich und nördlich der Grenze gelaufen ist. Die Strukturen müssen auf Seeland erst wachsen. Heute gibt es ja nur die Fähre. Das heißt, der Verkehr und der Austausch von Arbeitskraft zwischen Deutschland und Dänemark sind praktisch nicht vorhanden. Jetzt werden in den vielen Projekten zum Beispiel Kiel und Lübeck mit ihren Krankenhäusern und Universitäten mit welchen auf Seeland zusammengebracht. Dort fängt man jetzt an, wo wir bereits vor vielen Jahren angefangen haben. In vielen Interreg-Projekten sind daher Expertinnen und Experten aus Nordschleswig oder Südschleswig einbezogen, weil wir diese Erfahrungen schon gemacht haben.“

Es gibt zwei große Barrieren für die Fehmarnbelt-Region: die Sprache und den Preis für die Tunneldurchfahrt. Wie schätzt du diese Hemmnisse ein?

„Da wird man eine Lösung finden, weil sowohl Dänemark als auch Deutschland Arbeitskräfte fehlen. Hoffentlich sind es nicht dieselben, aber oftmals ist es ja so. In verschiedenen Industrien und Gewerbebereichen gibt es ja auch die Möglichkeiten für einen Austausch. Wenn es dort keinen Platz gibt, gibt es ihn vielleicht in Deutschland. Ich glaube daher nicht, dass es an den Kosten für eine Tunneldurchfahrt scheitern wird. Da wird eine Lösung gefunden werden. Bürgerinnen und Bürger aus Schweden und Dänemark pendeln ja auch. Not macht bekanntlich erfinderisch, und wenn man den Austausch von Arbeitsplätzen und Kultur haben will, dann muss man auch die Voraussetzungen schaffen. Da glaube ich an eine Lösung für Pendlerinnen und Pendler. Es ist wichtig hier zu erwähnen, dass das Regionskontor in Pattburg die Pendlerinnen und Pendler in den neuen Regionen bereits mit abdeckt.“

Und die Sprache?

„Es ist wichtig zu sagen, dass Dansk Industri da eine klare Ansage gemacht hat, dass der Deutschunterricht generell mehr gefördert werden soll – nicht nur in Süddänemark. Hier sind wir ja schon recht weit. Viele wählen Deutsch später aber ab, weil sie es für viel zu kompliziert halten. Die jungen Leute haben immer noch nicht realisiert – und das ist verständlich, warum Deutsch wichtig für uns ist. Das wissen wir als Ältere, und die Industrie weiß das, aber unsere Kinder und Enkelkinder sind so erzogen, dass Englisch die Weltsprache ist. Wenn man die kann, kann man alles. Das kann man auch. Nur, bei enger Zusammenarbeit ist halt die Muttersprache ein großer Vorteil.

Da wollen wir hin, dass es natürlich ist, dass, wenn du mit Deutschen zu tun hast, du die Sprache auch kannst. Ob dann die Deutschen alle Dänisch lernen, das ist für mich nicht so entscheidend, obwohl es ein Vorteil wäre. Es ist gut, wenn sie das machen. In Betrieben, die mit Dänemark zu tun haben, könnte man das anbieten. Ich sage aber nicht, dass man nicht Dänisch lernen soll in Deutschland. Nur wenn man die Industrien und die Importe und Exporte betrachtet, ist Deutschland immer noch das Zugpferd – auch für die dänische Industrie. Was die Sprache betrifft, glaube ich, dass beide Seiten bessere Ergebnisse erzielen, wenn sie die jeweilige Sprache können. Ein kommendes Interreg-Projekt soll sich auch explizit mit dieser Aufgabe beschäftigen.“

Kann sich die Fehmarnbelt-Region so entwickeln wie hier, oder sehen wir eher sowas wie die Öresundregion, wo die Entwicklung ja etwas hinter den Erwartungen zurückgeblieben ist?

„Alles, was in der Öresundregion falsch gelaufen ist, das muss am Fehmarnbelt besser gemacht werden. Ich glaube, dass es eine Barriere ist, wenn die Tunnelnutzung zu teuer ist. Das sieht man ja auch hier in Jütland. Wenn ich Tickets für ein Konzert in Kopenhagen habe und dann noch 1.000 Kronen Brückengebühr dazukommen, fahre ich vermutlich seltener dorthin. Wir müssen uns daher jetzt die Frage stellen, welche Barrieren es in der Beltregion gibt. Wenn es dort klappen soll, müssen wir jetzt schon an diesen Barrieren arbeiten. Wenn wir die nicht angreifen, dann wird es schwierig. Das Risiko ist ja, dass es sich dann wie die Öresundregion entwickelt.“

Es gibt auch Stimmen, die sagen, dass mit dem Tunnel die eigentlichen Profiteure Hamburg und Kopenhagen sind, nicht so sehr die Region Fehmarnbelt.

„Das Risiko ist, wie gesagt, da, wenn man das nicht rechtzeitig anpackt. Einige Interreg-Projekte sollen gerade die neue Region fördern. Wenn sie das nicht schaffen, dann ist Interreg fehlgeschlagen. Es geht nicht nur darum, Geld für diese Vorhaben oder sporadisches Projektmanagement zu beschaffen, Interreg ist auch langfristige Zusammenarbeit im laufenden Geschäft.“

Interreg-Projekte schlagen also schon im Vorfeld Brücken über den Fehmarnbelt?

„Ja, sie bieten die Möglichkeit. Nur muss man sich im Vorfeld die Bewertungen der Vorhaben anschauen − und die Anforderungen. Wir hatten jetzt zum Beispiel das dritte Mal ein Projekt eines Unternehmen aus demselben Themenbereich, und da wurde nun deutlich gemacht, dass es sicherlich das letzte Mal ist, wo das Konzept akzeptiert wird. Denn ein Projekt muss auch irgendwann mal in eine operative Phase eintreten, wo es im täglichen Geschäft und den einzelnen Betrieben oder Universitäten verankert wird, die zusammenarbeiten, und wo keine Mittel mehr benötigt werden. Nur wenn das passiert, werden wir auch langfristig diese Zusammenarbeit haben.

Ich sage nicht, dass es die Lösung ist, aber es kann eine Lösung sein, wenn man die richtigen Projekte bewilligt. Wenn man Ideen nicht nur einreicht, um Geld zu bekommen, damit man auf deutscher und auf dänischer Seite etwas erreichen kann und wenn das erreicht ist, ist es vorbei. Es geht bei Interreg auch um Nachhaltigkeit. Nach den Projekten soll die Zusammenarbeit in den Verwaltungen oder bei den Projektpartnern so eng sein, dass auch bei der laufenden Arbeit und der Zukunft zusammengearbeitet wird, um gemeinsame Ziele zu erreichen.“

Welche Rolle spielen die natürlich gewachsenen Minderheiten dabei?

„Unser Vorteil hier ist, dass wir die Minderheiten haben. Die sind immer vertreten und vermitteln zwischen deutscher und dänischer Kultur. Die Zusammenarbeit zwischen deutscher und dänischer Minderheit hat sich dermaßen positiv entwickelt und nimmt seit den späten 90er-Jahren Fahrt auf, sodass wir heute die gemeinsamen Interessen viel mehr fördern.

Ein Beispiel ist die Demo gegen die Grenzkontrollen am Gründonnerstag von SSW und SP. Es gibt politische Zusammenarbeit über die Grenze hinweg. Das klappt, und ich bin der Meinung, dass wir, wenn wir auf der dänischen Seite unsere Interreg-Sitzungen haben, als Minderheit sehr großen Einfluss nehmen können und auch erklären können, warum etwa ein Deutscher so oder so reagiert und welche kulturellen Unterschiede es gibt. Das sind Dinge, die unterschwellig übergeben werden. Unbewusst hat man als Minderheit immer einen positiven Einfluss auf beide Seiten durch die Kenntnisse der beiden Kulturen. Das haben die Menschen in der Beltregion nicht.“

Gibt es noch weitere Barrieren neben der Sprache?

„Es gibt dieselben Barrieren, die wir auch in unserer Region haben. Es ist die Sprache einerseits. Das ist aber eine Barriere, die nur von vornherein abschreckt. Wenn du erst mal da bist, dann lernst du die Sprache ganz schnell. Dann gibt es aber die Anerkennung von Ausbildungen. Das gilt nicht nur für Lehrlinge, wo vielleicht einzelne Module nicht anerkannt werden, sondern auch für Ausgebildete. Bist du Krankenschwester in Deutschland, kannst du nicht ohne Weiteres Krankenschwester in Dänemark sein. Da muss erst eine Nachschulung gemacht werden. Das wird auf Seeland auch ein Problem werden, wenn du Arbeitskraft anziehen willst.

Gehälter sind ein weiteres Problem, und das betrifft hauptsächlich Lehrlinge. Wenn du etwa als Däne nach Deutschland kommst, bist du in einem ganz anderen System. Das sind auch Fragen, die geklärt werden müssen. Wie kann ich mir als Auszubildender in Kiel oder auf Sylt ein Leben gestalten? Daran wird in vielen Gremien gearbeitet.“

Geht es um eine Angleichung von Gehältern?

„Es geht darum, die Barrieren wegzunehmen, wenn ein junger Mensch nach Deutschland oder Dänemark kommt, um seine Ausbildung zu machen. Und da ist es die Sprache, die Anerkennung der Ausbildung in beiden Ländern, und dann darf es nicht am Geld scheitern. Die müssen sich ja sicher und wohl fühlen. Diese ganzen Sachen müssen geklärt werden. Und die gelten ja auch für Arbeitnehmende. Ein Beispiel sind Grenzpendlerinnen und Grenzpendler. Der Großteil pendelt aus Deutschland nach Dänemark. Warum ziehen die nicht her? Das hängt oftmals mit diesen Barrieren zusammen. Wenn die alle weg wären, dann wäre es egal. Dazu gehören auch die Grenzkontrollen. Das gehört ja zusammen. All diese Dinge müssten wir gar nicht diskutieren, wenn man EU-weit vieles angleichen würde.“

Wächst durch Zuzüglerinnen und Zuzügler am Fehmarnbelt so etwas wie eine neue Minderheit? Und wie definiert man eigentlich, wer Minderheit ist?

„Ich würde vorsichtig sein mit dem Begriff Minderheit. Die wirst du dort ja nicht künstlich schaffen wollen. Es ist keine Minderheit, es ist mehr eine Interessengemeinschaft, wo zwei Sprachen gefördert oder angewendet werden im Bereich Wirtschaft, Ausbildung oder Kultur. Mit Minderheit hat das nichts zu tun. Das kann auch eher Konflikte, fördern als dass es Vorteile bringt. Bis 1945 konnten viele Menschen in Kopenhagen und auf Seeland Deutsch. Deutschland war das Land der Kulturen und Sprachen, und Dänemark war das Land für die Militärausbildung. Es war normal, dass man in Dänemark Deutsch spricht. Auch nach der Abstimmung 1920. Der Bruch kam nach dem Zweiten Weltkrieg, wo keiner mehr mit Deutschland oder der deutschen Sprache etwas zu tun haben wollte. Ohne diesen Krieg wäre diese Thematik heute überhaupt kein Problem. Dann wäre die deutsche Sprache immer noch eine Zweitsprache in Dänemark, weil wir ja historisch gesehen immer zusammengearbeitet haben – bis zu den beiden Weltkriegen.“

Also basiert die Minderheit heute eigentlich auf Sprache und Kultur?

„Ja, das tut sie. Und nicht nur Sprache, denn wir haben ja bei uns keine reinen Sprachschulen. Das erkennen auch die Menschen, die ihre Kinder auf die deutschen Schulen schicken und erkennen das auch an. Sie nehmen teil an den ganzen Traditionen, die wir haben – Ostern, Laternelaufen – das ist wichtig.“

Würde es dann überhaupt Sinn ergeben, wenn der Bund Deutscher Nordschleswiger (BDN) oder die Schleswigsche Partei (SP) sich in der Fehmarnbelt-Region engagieren?

„Wir haben ja Verbindungen nach Kiel, gemeinsame BDN-Sitzungen der Minderheit mit Vertreterinnen und Vertretern aus Schleswig-Holstein. Es geht mehr um die Frage: Wie hilft man der Fehmarnbelt-Region? Und wie können wir sie als zweisprachig und zweikulturell unterstützen in Projekten? Da müsste man vielleicht Vertreterinnen und Vertreter der Minderheiten in Projekten einsetzen statt irgendjemanden, zum Beispiel aus Vejle, zu nehmen, der diese Kenntnis nicht hat. Das Wissen, das wir über Zusammenarbeit − nicht zwischen Minderheiten, aber zwischen deutscher und dänischer Kultur und Sprache – haben, die Erfahrung, die können wir einbringen.“

Wie könnte eine Unterstützung durch die Minderheiten denn aussehen?

„Man könnte etwa Seminare auf dem Knivsberg anbieten, wo wir etwas über dänische Kultur oder die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Dänemark mit unserer Erfahrung lehren können. Das sind Initiativen, wo ich denke, das könnte hilfreich sein. Das können die Deutschen nicht selbst machen, und das können auch die Seeländer nicht selbst machen. Da wären der BDN und die dänische Minderheit südlich der Grenze prädestiniert. Wir haben die Bildungsstätten und die Strukturen sind da. Hier sind Synergieeffekte möglich, und da müssen auf Seeland oder im Raum Lübeck nicht extra Einrichtungen geschaffen werden.“

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