Analyse

Warum Mette Frederiksen die europäische Erklärung gegen Rechts nicht unterzeichnet hat

Warum Frederiksen die europäische Erklärung gegen Rechts nicht unterzeichnet hat

Frederiksen hat Erklärung gegen Rechts nicht unterzeichnet

Kopenhagen
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Mette Frederiksen (r.) im Gespräch mit der Chefin der schwedischen Sozialdemokratie, Magdalena Andersson. Die Eine hat die gemeinsame europäische Erklärung unterschrieben, die Andere nicht. Foto: Liselotte Sabroe/Ritzau Scanpix

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48 führende Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten in Europa haben unterschrieben, dass sie nicht mit den rechten Fraktionen im EU-Parlament zusammenarbeiten werden. Doch eine Unterschrift fehlt: die der dänischen Staatsministerin. Walter Turnowsky erklärt, warum der Umgang mit den rechten Parteien so unterschiedlich ist.

Zwei Situationen beschreiben in wenigen Worten den Unterschied der politischen Kultur in Dänemark und in weiten Teilen der EU.

Der Politiker der Dänischen Volkspartei (DF), Peter Kofod aus Hadersleben (Haderslev), plauderte als Europa-Parlamentarier im Fahrstuhl mit einer sozialdemokratischen Abgeordneten aus Deutschland. Als sie erfuhr, dass er der Dänischen Volkspartei und damit der Fraktion „Identität und Demokratie“ (ID) angehört, drehte sie ihm den Rücken zu.

Die dänische EU-Abgeordnete der Sozialistischen Volkspartei, Kira Marie Peter-Hansen, hat „Politiken“ erzählt, dass sie schon mal mit Kofod auf ein Bier ausgegangen ist, spricht von ihrer „Freundschaft mit Peter“. Peter-Hansen gehört der grünen Fraktion an. 

Europäische Abgrenzung nach Rechts

Nicht nur im Aufzug, sondern auch auf politischer Ebene kehren die europäischen Sozialdemokratien den rechten Parteien den Rücken zu. Am Dienstag haben 48 führende Vertreterinnen und Vertreter in Berlin eine Erklärung unterzeichnet, dass sie nicht mit der ID und der ebenfalls rechten „Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer“ (ECR) zusammenarbeiten werden.

„Der Aufstieg rechtsextremer Kräfte in Europa ist eine Bedrohung für das europäische Projekt und eine Bedrohung für die Bürgerinnen und Bürger, ihre Rechte und ihr persönliches Wohlergehen. Er ist Gift für die Demokratie“, heißt es in der Erklärung, unter der unter anderem die Unterschriften der Vorsitzenden der schwedischen Sozialdemokratie, Magdalena Andersson, der Co-Vorsitzenden der SPD, Saskia Esken, und die des spanischen Premierministers Pedro Sanchez zu finden sind. 

Auf Christiansborg sprechen alle mit allen

Nur eine Unterschrift fehlt: die der Vorsitzenden der dänischen Sozialdemokratie, Mette Frederiksen. Die offizielle Erklärung gegenüber „Politiken“ lautet, man habe nicht genug Zeit gehabt, das Dokument zu studieren. 

Die eigentliche Erklärung hängt mit mehreren Faktoren zusammen. Einer davon ist das gemeinsame Biertrinken. Denn im Folketing ist es Usus, dass alle mit allen reden. Dass man jemandem den Rücken zukehrt, ist schlicht undenkbar. Und man plaudert nicht nur gemütlich auf den Gängen, im „Snapstinget“ oder in der „Toga Vin- og Ølstue“ unweit von Christiansborg, sondern man macht auch gemeinsam Politik. 

Arne-Rente mit DF-Unterstützung

Das war bezogen auf die Dänische Volkspartei nicht immer so. Poul Nyrup Rasmussen hatte die rechte Partei als Vorsitzender der Sozialdemokratie noch als „nicht stubenrein“ bezeichnet – und hinzugefügt, sie werde es nie sein. Der letzte Teil des Satzes hatte sich schnell als falsch herausgestellt.

Als Anders Fogh Rasmussen von der rechtsliberalen Partei Venstre Nyrup das Staatsministerium abknöpfte, leitete er eine enge Zusammenarbeit mit DF ein – er war außerdem auf die Unterstützung der Rechten angewiesen. Und seit Mette Frederiksen den Vorsitz der Sozialdemokratie übernommen hat, sind auch in der Arbeiterpartei die Vorbehalte gegenüber DF verschwunden. 

So konnte sie die soeben anlässlich des 1. Mais gefeierte Arne-Rente nur mit Unterstützung von DF durchführen. 

Harte sozialdemokratische Rhetorik

Eine Brandmauer gegenüber DF ist auch deshalb nicht angesagt, weil die Frederiksen-Sozialdemokratie große Teile der rechten Integrations- und Ausländerpolitik übernommen hat. Das gilt nicht nur für die politischen Inhalte, sondern auch für die scharfe – manche würden sagen unversöhnliche – Rhetorik. 

So schimpft der ausländerpolitische Sprecher der Partei, Frederik Vad, einige Männer von „nichtwestlicher Herkunft“ würden eine „Herrscher-Attitüde“ an den Tag legen. Er warnt, scheinbar gut integrierte Musliminnen und Muslime würden die dänische Gesellschaft unterwandern, dänische Werte von sich weisen. Man bemerke, dass er dänisch und nicht demokratisch, freiheitlich oder rechtsstaatlich verwendet.

Mette Frederiksen hatte seine Aussagen ausdrücklich unterstützt. Es wäre also schon fast kurios, wenn sie sich von der DF abgrenzen würde.

DF nicht gleich AfD

Doch auch was die Dänische Volkspartei selbst anbelangt, unterscheidet sie sich von den ID-Fraktionskolleginnen und -kollegen aus der AfD. Sie ist rechtspopulistische, aber nicht rechtsextrem. Parteigründerin Pia Kjærsgaard setzte von Anfang an auf politischen Einfluss. Daher flogen Mitglieder mit extremen Haltungen aus der Partei.

DF ist dementsprechend in der politischen Landschaft in Dänemark eine ganz normale Partei, die allerdings besonders scharfe Meinungen im Hinblick auf die Ausländerpolitik vertritt. Was jedoch nichts daran ändert, dass sie im Europarlament einer Fraktion angehört, die von den europäischen Sozialdemokratien als rechtsextrem wahrgenommen wird. Und so einer Fraktion kehrt man den Rücken zu. 

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