Leitartikel

„Dänemark steht vor einer Kultur-Revolution“

Dänemark steht vor einer Kultur-Revolution

Dänemark steht vor einer Kultur-Revolution

Nordschleswig/Kopenhagen
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Die dänische Gesundheitsbehörde empfiehlt Jugendlichen unter 18 Jahren, nicht zu trinken. Da werden sich in Zukunft auch einige Erwachsenengenerationen an die Nase fassen müssen, wenn das klappen soll, meint Chefredakteur Gwyn Nissen.

Wer kennt sie nicht, die Kampagnen der Gesundheitsbehörde: mehr Obst essen, mehr Sport treiben dafür weniger rauchen und trinken – und überhaupt gesünder ernähren. Wenn wir ehrlich sind, wissen wir doch schon alles, aber trotzdem leben wir im Alltag, vorsichtig ausgedrückt, nicht optimal.

Die Jugend in Dänemark ist Europameister im Saufen, die Dänen sind mit dem Verzehr von über 12 Kilo Schokolade und Süßigkeiten Weltmeister, und jeder Haushalt trinkt hierzulande 86 Liter Sprudel pro Jahr. Dabei gibt es auch regionale Unterschiede, wobei Nordschleswig und Süddänemark in diesen Disziplinen Spitze sind: Der Grenzhandel lockt mit seiner Nähe und billigen Preisen.

Die Konsequenzen: In Dänemark leben die Menschen fast drei Jahre weniger als zum Beispiel in Spanien und der Schweiz. Nur in einigen osteuropäischen Ländern ist die Lebenserwartung in Europa kürzer.

Dass die Gesundheitsbehörde immer wieder neue Empfehlungen ausspricht, ist daher selbstverständlich – zum einen, weil es in Dänemark weiterhin einen Nachholbedarf gibt, und weil Experten über die Jahre (noch) schlauer geworden sind. So setzt sich zum Beispiel die empfohlene Ernährungspyramide heute anders zusammen als vor 10 oder 25 Jahren, als noch mehr Fleisch empfohlen wurde.

Ganz aktuell ist die Empfehlung von Sundhedsstyrelsen zum Umgang mit Alkohol: Wurden bisher 14 Einheiten (Genstande) pro Woche für Männer und 7 Einheiten für Frauen als Grenze gesetzt, werden Erwachsene heute dazu aufgefordert, maximal 10 alkoholische Getränke zu sich zu nehmen – und nicht mehr als vier an einem Tag.   

Noch drastischer lautet allerdings die Empfehlung an die Jugend: Wer unter 18 Jahre ist, sollte gar nicht trinken. In Zukunft also keine Feste mit Alkohol? Keine Preisbrecherparty? Kein Putte-Fest für die 11. Klasse am Gymnasium? Keine Wochenendsausen der dänischen Nachschüler?

Das kann man sich bei der heutigen Trinkkultur in Dänemark kaum vorstellen. Genauso wenig, wie man davon ausgehen kann, dass beim 50. Geburtstag, der Herrentour oder der Handball-Abschlussfeier nur vier Gläschen Wein oder Bier getrunken werden.

Alkohol und Hygge gehen hierzulande Hand in Hand. Bei den Jugendlichen und den Erwachsenen. Daher können Eltern auch nicht davon ausgehen, dass ihre Kinder sich an den neuen Empfehlungen orientieren werden, solange die Eltern- und Großeltern-Generationen es selbst nicht hinbekommen.

Um die Empfehlung der Gesundheitsbehörde umzusetzen, ist eine Kulturänderung von einer Größenordnung nötig, wie sie es in Dänemark noch nie zuvor gegeben hat. Mit einer Kampagne ist das nicht getan, sondern hier geht es um ganz neue Grundwerte in der Erziehung.

Es ist leichter, Gesetze und Regeln zu ändern als Kultur. Deshalb werden gute Ratschläge und Empfehlungen in dieser Sache nicht reichen. Es muss auch politisch über Verbote diskutiert werden. Wenn man sich dies nicht traut, wird Dänemark auch weiterhin den Trink- und Hyggemodus wählen. Weil wir es anders gar nicht kennen – und können. Eine neue Kultur muss erst über Generationen gelernt werden. Es wird eine Kultur-Revolution. 

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